Die Wolkenknacker
Gregor Schenker - In der aktuellen Ausgabe des Studiversum ist ein Artikel abgedruckt, der Pseudowissenschaften und Verschwörungstheorien das Wort redet. Und er zeigt dabei anschaulich, wie deren Anhänger argumentieren.
Hinter dem Cloudbuster (hier auch als „Himmelsakupunktur“ bezeichnet) stecke die Orgon-Theorie. Entwickelt wurde diese ab den späten 1930ern von Wilhelm Reich. Es handelt sich dabei um ein esoterischen Konzept, dessen Grundaussage in etwas so lautet: Wir sind von Unmengen kosmischer Energie (eben dem Orgon) umgeben, die man beispielsweise mittels Orgonakkumulatoren sammeln und nutzbar machen kann. Reich hat auch den Cloudbuster erfunden, mit dem man das Orgon in der Atmosphäre und somit das Wetter beeinflussen könne.
Die Ideen vom Orgon gehört in einen grösseren Theoriekomplex von der Energie aus dem Nichts; in dessen Kontext immer wieder auch Viktor Schauferberg, Nikola Tesla oder das Energetisieren von Wasser auftauchen – so auch im vorliegenden Artikel.
Die Orgonomie hat bis heute viele Anhänger (eben auch Abdellaziz oder dessen Mentor Bernd Senf); Organakkumulatoren und ähnliche Gerätschaften sind Verkaufsschlager, die für viel Geld über den Tisch gehen. Das ändert jedoch nichts daran, dass es seit siebzig Jahren weder eine plausible theoretische Erklärung noch einen halbwegs objektiven praktischen Wirkungsbeleg für das Orgon oder die zugehörigen Apparate gibt (es sind höchstens Anekdoten und subjektive Berichte greifbar, deren Aussagekraft zwangsläufig gleich null ist – dazu gehört auch die Geschichte vom Regen in der Sahara). Stattdessen sind die vermeintlich orgonistischen Phänomene meist ganz herkömmlich zu erklären. Näheres zum Orgon gibt es hier, hier oder hier.
Die Fakten widersprechen also seit Jahrzehnten der Orgonomie und ihren Anhängern. Führt das bei diesen zu einem Umdenken? Nein. Stattdessen weichen sie auf Verschwörungstheorien aus, wie es auch der Artikel antönt: Da ist die Rede davon, dass der Cloudbuster „von der herrschenden wissenschaftlichen Meinung […] verspottet“ werde. Reichs Entdeckungen seien „vom Mainstream (unter anderem auch von Albert Einstein)“ abgetan worden. Und die USA hätten „Reichs Schriften zum Thema ‚Orgon’ verbrennen“ lassen.
Das läuft auf folgendes zentrales Argumentationsmuster hinaus: Dass die Theorie vom Orgon keine Anerkennung findet, liegt nicht etwa daran, dass besagte Theorie falsch wäre, sondern daran, dass der böse Wissenschafts-Mainstream zu blind ist, um deren Genialität zu erkennen, oder dass die Regierung die Wahrheit unterdrückt (sehr beliebt als Bösewicht sind bei solchen Energie-Esoterikern natürlich auch Energiekonzerne). Der Urheber der Theorie indes wird zum visionären Märtyrer.
Das findet man ganz ähnlich auch bei der Homöopathie und Samuel Hahnemann, deren Weisheit angeblich von der ignoranten Ärzteschaft und der Pharmaindustrie unterdrückt werden. Oder bei der Prä-Astronautik und Erich von Däniken, die bei den arroganten Archäologen kein Gehör fänden. Oder beim Intelligent Design und Richard Sternberg, die von skrupellosen Atheisten mit ihrer säkularen Agenda bekämpft würden.
Ein Uni-Studium sollte einem kritisches Denken nahe bringen und damit das Durchschauen solcher „Argumente“ sowie das Unterscheiden zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft ermöglichen. Dass Reich und seine Jünger ausgerechnet in einem Studi-Magazin beworben werden, macht nachdenklich.
Natürlich spricht nichts dagegen, die vorherrschende wissenschaftliche Meinung kritisch zu hinterfragen – das ist die Voraussetzung dafür, dass überhaupt neues Wissen erworben werden kann, und längst Alltag in der Wissenschaft. Hier werden keine Dogmen aufgestellt, sondern Theorien beständig überprüft, abgeändert oder verworfen.
Umgekehrt kann und darf es aber nicht sein, dass man an Ideen festhält, die noch keiner objektiven Überprüfung standhielten und wiederholt ihrer Unwissenschaftlichkeit überführt wurden – wie eben die Orgon-Theorie. In diesem Sinne: Bitte etwas mehr kritisches und wissenschaftliches Denken, auch und besonders an der Uni!
*Aebersold, Silja: „Es werde Regen“. In: Studiversum, Nr. 38, April 2011, S. 9.
Ich schwanke beim Lesen zwischen "ist das jetzt alles ironisch geschrieben" und "meint sie das ernst?"
Medienkritik haben wir hier schon lange nicht gemacht - weiter so!