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26. Juni 2011, 18:04 Kultur Festivals

Die Kuckucksuhr an der Josefstrasse

Robert Salzer - Das Projekt "CiudadesParalelas" versucht in vier verschiedenen Städten alltägliche Räume wie Bahnhöfe, Shoppingcenter oder Wohnblöcke in eine Bühne zu verwandeln. Die beiden students.ch-Redaktoren Gregor Schenker und Robert Salzer lassen den Besuch eines solchen Ortes Revue passieren.

Robert: Am letzten Donnerstag haben wir gemeinsam eine Tour von "CiudadesParallelas"/"Parallele Städte" besucht. Was ist Dir geblieben?

Gregor: Naja, vieles. Zunächst sicher mal die nicht-klassisch-theatralische Natur des Ganzen. Konkret gesagt: Wir haben uns ja Dominic Hubers "Haus (Prime Time)" angesehen, was nicht auf einer Theaterbühne gespielt wurde ...

Robert: Genau. Die Bühne war ein Haus in der Nähe der Josefwiese und die "Schauspieler" die Bewohner desselben.

Gregor: Zuerst aber mussten wir an der Kasse - in dem Fall war das der Sindi Markt, ein zweckentfremdeter Quartierladen - Abspielgeräte mit Kopfhörern holen gehen.

Robert: Ich habe schon etwas verdutzt geschaut als ich mit dem Velo den Spielort suchte und an einer Menschentraube vorbeifuhr, die auf der dunklen Strassenseite stand und mit Kopfhörern ausgestattet auf eine Häuserwand starrte. Zumindest wusste ich dann, dass der Sindi Markt nicht weit sein kann.

Gregor: Wer da völlig ahnungslos vorbeikam, hat sich sicher gewundert. Einige Passanten haben dann auch "eingegriffen" und beispielsweise die Darsteller, die im Erdgeschoss aus dem Fenster guckten, angesprochen.
Jedenfalls mischten wir uns in die erwähnte Menschentraube, mit den Kopfhörern auf dem Schädel ...

Robert: Aus den Kopfhörern hörten wir die Stimme einer oder mehrer Personen, die in einer Wohnung im besagten Haus leben. Es war glaube ich die Aufzeichnung eines Interviews mit der entsprechenden Person?

Gregor: Oder ein Zusammenschnitt (jedenfalls ohne Interviewer-Stimme). Während also diese aufgezeichneten Monologe liefen, wurde die Wohnung der betreffenden Leute von innen her beleuchtet (ging das Programm zur nächsten Person über, wurde die Wohnung wieder dunkel) - wie bei einem Adventskalender, bei dem man ein Türchen aufmacht. Oder wie bei einer grossen Kuckucksuhr.
Während man den Leuten zuhörte, konnte man sie dabei beobachten, wie sie in ihrem Heim alltäglichen Handlungen nachgehen. Die dabei entstehenden Geräusche wurden über eine Live-Schaltung ebenfalls in die Kopfhörer gesendet, so als Untermalung der Monologe. Jedenfalls erkläre ich mir das so.

Robert: Die Monologe wurden mit Livegeräuschen gemixt, so habe ich das auch wahrgenommen. Teilweise waren es auch Geräusche aus den Zimmern der anderen Hausbewohner.
Ich fand die Vermischung von Spiel und Realität spannend. Auf der einen Seite wussten die Hausbewohner, dass sie zwei Stunden lang beobachtet werden konnten und haben auch immer wieder theatrale Elemente eingebaut wie das Erscheinen am Fenster, sobald ihre Geschichte erzählt wird. Auf der anderen Seite wurde ja ihr Leben ausgestellt und sie haben den Zuschauern einen grossen Einblick in ihre Privatsphäre gegeben. Irgendwie hatte das auch was Voyeuristisches.

Gregor: Es wär spannend zu erfahren, wieviel von dem, was sie gemacht haben, geprobt, und wieviel davon ganz freies Verhalten war - wie gesagt, mitunter haben die Darsteller ihre "Monologpausen" genutzt, mit irgendwelchen Fussgängern zu schwatzen.
Apropos voyeuristisch: Ich hab mich meinerseits genau so beobachtet gefühlt, spätestens dann, als der Fotograph Schnappschüsse von der Strasse gemacht hat.

Robert: Stimmt. Dann hat sich die Situation umgekehrt. Ausserdem haben einen die vorbeilaufenden jungen Leute, die in Richtung Hardbrücke ins Ausgehviertel pilgern, auch komisch angeschaut: "Was genau machen die da eigentlich mit ihren Kopfhörern?"
Mir ist noch etwas an den Geschichten der Hausbewohner aufgefallen. Fast alle haben von Kunst erzählt. Ging Dir das gleich?

Gregor: Zu den jungen Leuten: Stimmt, da ist man als Zuschauer selbst zu einer Art Darsteller oder zumindest Requisit geworden.
Was die Kunst angeht: Ja, stimmt ebenfalls. Der Fotograf, die ehemalige Tänzerin, die angehende Filmstudentin, der Typ mit der Kunst-Nonsens-Firma (oder was genau das war) ... Die Gegend um die Josefwiese herum ist aber auch ein ziemliches Kunst-Nest, wie mir scheint.

Robert: Ich hab mich gefragt, ob das mit der Gegend zu tun hat oder mit Zürich oder mit der jetzigen Zeit?

Gregor: Kann schon sein, dass das über die Gegend hinaus geht. Dass man sich für Kunst interessiert oder sich künstlerisch ausdrückt, ist ja nichts Aussergewöhnliches mehr. (Ich denk da an mein Kaff von Heimatdorf: Selbst da gibt es eine kleine "Kunstmesse".) Ein Vorteil der Wohlstandsgesellschaft? Auch über Blogs oder YouTube kann sich jede und jeder der Welt künstlerisch mitteilen - oder eben als Darsteller in einem Theaterprojekt wie "Prime Time". Das "CiudadesParalelas/Parallele Städte"-Projekt versucht eh, die Leute mitten im Alltag abzuholen.

Robert: Zürich ist übrigens der vierte Halt von "Parallele Städte". Zuvor war es in Berlin, Buenos Aires und Warschau zu sehen. Insgesamt acht Einzelprojekte sind jeweils Teil davon - unter anderem das eben besprochene "Haus (Prime Time)" von Dominic Huber. Dasselbe Szenario wurde also schon in Kreuzberg, Buenos Aires und einem Plattenbau in Warschau gezeigt. Die Unterschiede in den Geschichten und in der Inszenierung je nach Stadt würden mich interessieren. Ist die Beobachtung, dass die Leute, wenn sie über sich reden, auch über ihre künstlerische Tätigkeit sprechen, ebenfalls in den anderen Städten gemacht worden?

Gregor: In den bereits bespielten Städten hat man ja Aufzeichnungen gemacht - die könnte man sich im Festivalzentrum im Schiffbau ansehen oder natürlich auf der offiziellen Website: http://www.ciudadesparalelas.com.
Man kann also gut Vergleiche ziehen und schon allein deshalb ist das Projekt immens interessant. Lola Arias und Stefan Kaegi haben da wirklich was ganz Tolles geschaffen und "Prime Time" macht Lust, sich auch die anderen Stationen anzugucken.

Weitere Informationen zu den genauen Spielzeiten auch auf der Website des Schauspielhauses.

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