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18. Juli 2011, 15:02 Kultur

Romeo & Julia - Freilichtspiele Luzern

Dominik Erb - In Luzern wurde die erste komplett Schweizerdeutsche Fassung von Romeo & Julia aufgeführt. Die brühmteste Tragödie von Shakespeare für einmal in "Bärndütsch" und "Innerschwizer Dialäkt".

Ein Romeo, der Berndeutsch spricht. Eine Julia mit Innerschweizer Dialekt. Das ist gewagt und gleichzeitig gewöhnungsbedürftig. Liegt doch so viel Poesie und sprachliche Vielfalt in Shakespeares Werken. Es sind Worte, die verzaubern. Worte, die nachdenken lassen. Worte, die durch Mark und Bein gehen. In Bühnendeutsch vermag man diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Aber wie ist es in Schweizerdeutsch? Als unter den Menschen die Sprachen verteilt wurden, hatte wohl niemand damit gerechnet, dass in der urchigen Alpenrepublik Schweiz jemals die grösste aller Liebesgeschichten aufgeführt würde. Denn das Schweizerdeutsch lässt die Poesie über weite Strecken verpuffen. Man hatte den Eindruck, sie sei gefangen in den engen Netzen der kantigen Dialekte. Leider muss man sagen. Denn die Übersetzung verdient ein Lob und Anerkennung. Sie bot stilistische Feinheiten ebenso wie subtil verpackte Portionen an Witz und Schalk.

Ebenso gewagt wie gewöhnungsbedürftig und gleichzeitig brilliant in ihrer Gestaltung, war die Kulisse des Stücks. Als ich vor Beginn des Theaters die leeren und kargen Kulissen besichtigt habe, dachte ich mir: Was? Das ist schon alles? Ich hatte eine pompöse Konstruktion, ein Haus mit Balkon und Garten erwartet. Als ich dann im Programmhetft die Worte des Regisseurs, Livio Andreina, las, er wolle keine pseudoromantische Inszenierung, wusste ich, dass die Kulisse diese Absicht unterstreichen sollte. Sie war schlicht, dezent und harmonisch eingebettet in die wunderbare Panoramawelt im Hintergrund mit saftig grüner Wiese, blau schimmerndem See und imposanter grau-weisser Bergwelt. Die Bühne war Ausdruck dafür, dass weniger eben auch mehr sein kann. Das Prunkstück der Bühne bildete eine rollbare Konstruktion aus Metallstreben, die in Form einer rundlichen Kutsche mit Kuppel zusammengebaut war. Sie konnte gezielt entlang eines begehbaren Wassergrabens, der die Bühne in zwei Schauplätze teilte, verschoben werden. Zwei Seiten, die symbolisch betrachtet auch die zerstrittenen Adelsfamilien Montague und Capulet darstellten, aus dessen Familien die beiden Protagonisten, Romeo und Julia, stammen.

Überwältigt und zugleich enttäuscht lautet mein Fazit nach etwas mehr als zwei Stunden Tragödie. Schauspielerische Glanzlichter setzten etwa Christoph Keller als Romeo, Roger Kaufmann als Mercutio oder Valentin Schroeteler als Benvolio. Sie alle haben die Rollen, die ihnen zu Teil waren, nicht nur exzellent gespielt, sie haben sie leidenschaftlich und mit jeder Faser ihres Körpers gelebt. Schauspielkunst in seiner reinsten Form. Leider fiel Judith Koch als Julia leicht ab. Sie spielte teils grossartig, teils vermochte sie aber Textunsicherheiten nicht gänzlich zu kaschieren. Nichts desto trotz war sie mit ihrer klaren und sanftmütigen Stimme, gepaart mit ihrem zarten und filigranen Wesen genau die richtige Besetzung für diese anspruchsvolle Rolle.

Beeindruckend war auch die Kampfchoreografie, die von Lukas Schmocker inszeniert wurde. Atemberaubende Stunts, stilsichere Fecht-Duelle und realistisch anmutende Kampfeinlagen liessen den Puls des Publikums mehrmals höher schlagen.

Eigentlich viel Lobenswertes, für ein Stück, dessen Interpretation äusserst anspruchsvoll ist. Wäre da nicht die Schlussszene gewesen. Die berühmte Szene, in der Romeo & Julia sich das Leben nehmen. Dieser emotionsgeladene Moment, bestehend aus leidenschaftlicher Liebe und dem Verlangen für diese Liebe zu sterben, weckt hohe Erwartungen ans Publikum. Diese Gefühlsaudrücke kamen aber in zugeschnürter Verpackung daher. Einerseits war die Szene zurückhaltend und phlegmatisch gespielt. Andererseits verzichtete der Regisseur auf eine ergreifende Inszenienrung mit Kerzen, Rosen oder dergleichen. Ein von Wasser umgebener Sarg, daneben nackter Holzboden und dämmriges Scheinwerferlicht. In den letzten Wortklängen verstummte gar die live gespielte und eigens für das Stück komponierte Musik. Es herrschte Stille, und das bevor die eigentliche Stille eintrat.

Ruhe und Dunkelheit erfüllten dann den Ort, an dem zuvor Liebe, Hass, Intrigen, Leid und Leidenschaft im Mittelpunkt standen. Das Publikum blickte zögernd zur Bühne. Die Schauspieler, auf den dunklen Holzlatten verharrend, blickten erwartungsvoll zurück. Genau für diesen Moment hatte jeder von Ihnen Monate lang Text gelernt, Dialoge geprobt, Gestiken verinnerlicht, Bewegungsabläufe studiert und Choreografien durchgespielt. Das Publikum musste nächstens applaudieren. Es würde ihnen das verdiente Gefühl schenken, dass alle Mühen, alle Strapazen und alle Schmerzen sich gelohnt haben. Es würde ihen eine Erfüllung geben, die keine Gage und kein Geld der Welt ersetzen kann. Es würde in ihnen Zufriedenheit, Stolz und Befriedigung hervorrufen. Aber auch Dankbarkeit und Demut. Dieser Moment des Beifalls, der die unerträgliche Stille der Anspannung und Ungewissheit bricht, dieser Moment ist unbezahlbar und unbeschreiblich schön.

Die Stille wurde gebrochen. Die Tribühne, die noch vor Sekundenbruchteilen in völliger Anspannung verharrt war, begann zu klatschen. Unbeschwert, wohlwollend und euphorisch. Die Schauspieler genossen es sichtlich, vier bis fünf Mal auf die Bühne zu kommen und sich vor dem Beifall spendenen Publikum verneigen zu dürfen.

Gemessen am Applaus des Publikums war die Aufführung ein voller Erfolg. Kein Feuerwerk der Gefühle. Aber eine wunderbar inszenierte Geschichte von Leidenschaften und Abgründen der Menschen.

Das Stück wird noch am Dienstag, 19. Juli, und Mittwoch, 20. Juli, in Luzern aufgeführt.

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