Michael von der Heide
Silvan Gertsch - Michael von der Heide geniesst die "Freie Sicht" auf seinem neuen Album. Der Sänger spricht im Interview über Ironie, den provinziellen Charakter Zürichs und Workshops:Hast du dir schon mal überlegt, Workshops zum Thema „Wandlungsfähigkeit“ anzubieten?Michael von der Hei...
Hast du dir schon mal überlegt, Workshops zum Thema „Wandlungsfähigkeit“ anzubieten?
Michael von der Heide: Noch nicht. Aber ich habe im letzten Jahr einen Workshop geleitet an der Jazz Schule in Bern. Dort gings um Bühnenperformance. Also eigentlich ums genaue Gegenteil.
Aber du siehst dich als wandlungsfähig an?
Vielseitig. Wandlungsfähig ist für mich eher etwas oberflächliches – wie bei Madonna. Vielseitig hingegen hängt mit den Interessen zusammen. Insbesondere in Bezug auf die Musik. Man trägt zum Beispiel einen traurigen Text vor, ohne pathetisch zu klingen. Man spielt keine Rollen, das hat nichts mit Marketingstrategien zu tun. Aber das soll nicht wertend klingen, nicht dass du mich falsch verstehst!
Auf deinem neuen Album "Freie Sicht" klingt alles sehr reduziert.
Das war auch das Ziel, so etwas wie einen Einheitsklang zu kreieren. Eine in sich stimmende Platte. Und ich habe von vielen jetzt das Feedback gekriegt, dass das so sei.
Aber trotz der ruhigen Grundstimmung hast du viele Feinheiten und stilistische Abzweigungen eingebaut?
Das ist nicht bewusst geschehen. Wir sassen nicht da und dachten, dass wir beispielsweise noch einen jazzigen Song auf dem Album haben müssten.
Wieso hast du dich auf diese ruhige Seite besonnen?
Weil ich ruhiger geworden bin (lacht).
Zusammenhängend mit dem Alter?
Das hast du gesagt (lacht). Ich bin noch jung – in Anbetracht der Tatsache, dass man hundert jährig werden kann... Ich habe in den letzten zwei Jahren schon auch schnellere Songs aufgenommen, die ich eigentlich zu Beginn noch aufs Album nehmen wollte. Aber wir haben uns dann im Endeffekt entschlossen, die schönsten Songs auszuwählen.
Wie wichtig ist dir die Ironie als Stilmittel? Du singst in einem Song: „Immer wenn du denkst, die Welt ist schlecht. Dann hast du recht.“ Und im Hintergrund spielt eine verspielte, liebliche Melodie.
Das stimmt, eine leichte Ironie ist darin schon enthalten. Aber man muss aufpassen. Ich sage ja nicht, dass die Welt schlecht ist. Ich sage, dass sie schlecht ist, wenn du das denkst! Es bringt ja nichts, wenn du selber das Gefühl hast, die Welt sei schlecht und jemand anderes will dich aufmuntern mit den Worten: „Nein, das ist nicht so“. In einer solchen Situation ist die Ironie natürlich ein schönes Stilmittel.
Gehen wir noch einmal zur Musik zurück. Kann man deine ruhigere Stimmung auch so deuten, dass du von der Popmusik weg gehst hin zu den Chansons?
Der Trend läuft ja schon länger in eine akustischere Richtung. Ich war in den letzten Jahren viel akustisch unterwegs, deshalb wollten wir die Platte auch so aufbauen, damit sie mehr Wertigkeit kriegt.
Du hast ein illustres Produzententeam im Rücken gehabt um Annette Humpe (Ideal, Ich + Ich). Wie wichtig waren die?
Sehr wichtig. Mit Annette bin ich schon seit zehn Jahren befreundet und sie wollte unbedingt, dass ich die CD mit ihrem Team zusammen aufnehme. Ich habe in Berlin mit diversen Produzenten Demos gemacht und mich letztlich tatsächlich für ihr Team entschieden. Da stimmte alles. Sie sind jung – und sie kennen den von der Heide nicht. Die hatten kein Bild von mir, haben mich korrigiert, wenn es sein musste. Es ging nur um die Musik.
War es schon früher ein Thema, mit Leuten aus ihrem Umfeld etwas aufzunehmen?
Ich habe schon früher mit ihr zusammen Songs gemacht. Annette hat immer zu mir geschaut und mir Leute vorgestellt in Deutschland. Wir führen eine nette, musikalische Freundschaft. Ich habe mit ihrem Team schon zusammengearbeitet, als es noch nicht in der Hitparade war. Und diese Leute mögen mich und meine Musik, das ist sehr wichtig.
Du rauchst während des Interviews. In einem deiner Songs singst du aber, dass du das Rauchen aufgegeben hast.
Doch ich werde noch manchmal schwach. So geht die Zeile weiter. Und manchmal bedeutet in diesem konkreten Fall oft (lacht).
Und weiter geht’s, dass du gerne mal in Frankreich leben würdest. Wie viel Autobiographisches steckt in deinen Songs?
Viel. Aber nicht eins zu eins. Ich habe schon mal ein Jahr in Paris gelebt beispielsweise. Dieses Stück ist deshalb autobiographisch, weil man die erste grosse Liebe nie vergisst – es sei denn, man behält sie das ganze Leben. Und selbst dann vergisst man sie nie.
Ist die Musik also wie eine Therapie für dich? Du verarbeitest Erlebtes?
Nein. Musik mag zwar für viele Leute eine gute Therapieform sein. Je nachdem, wie es einem geht, hört man andere Musik. Aber ich schaue Musik nicht als Therapie an. Ich mache auch für andere Leute Musik, sonst könnte ich zuhause am Piano sitzen...
Auf dem Album ist Adrian Stern als Gast dabei.
Er war früher mein Gitarrist, bevor er Solokünstler wurde. Das ist eine musikalische Freundschaft, wir haben schon öfters Songs zusammen geschrieben. Annette hat ja auch noch auf einem Song mitgesungen, sie wollte das unbedingt. Sie fand, dass eine Frauenstimme fehle und sang sie gleich selber ein.Früher hättest du diese Stimme noch selbst gesungen...
Genau. Sie meinte, dass ich es dieses Mal nicht selber übernehmen solle – man merke zu gut, dass das meine Stimme sei.
Du pendelst zwischen Berlin und Zürich, zwischen zwei Grossstädten.Berlin ist eine Grossstadt, aber Zürich doch nicht. Ich wohne seit 14 Jahren hier. Zu Beginn übte die Stadt mit ihrer Grösse schon noch einen gewissen Reiz aus. Aber wenn wir heute überlegen, wo wir auswärts essen gehen wollen, dann kommt uns nichts in den Sinn.
Gehst du auch nicht oft in die Natur, um Energie zu tanken?Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Mit 16 fand ich, dass es jetzt reicht. Klar gehe ich in Berlin ab und zu in die Parks. Und wenn ich älter bin, kann ich mir auch vorstellen, wieder auf dem Land zu wohnen. Aber es geht ja noch einen Moment, bis ich hundert jährig werde... (lacht).