Mit den Eltern zum Testament ans Theaterspektakel
Robert Salzer - Das Performance-Kollektiv She She Pop verhandelt in ihrer Produktion Testament die Beziehung der Kinder zu ihren alternden Vätern. Grund genug für mich, mit meinen eigenen Eltern im Selbstversuch ans Theaterspektakel zu gehen.
Als ich las, dass die Performance Testament des Kollektivs She She Pop ans Theaterspektakel kommt, zögerte ich nicht lange. Nun wollte ich den Spiess umdrehen. Es war an der Zeit, meinen Eltern zu weiterer kultureller Bildung zu verhelfen beziehungsweise statt dem anstehenden Besuch am Freitag Abend bei ihnen zuhause, gemeinsam wegzugehen - also sozusagen ein angenehmes "Parentsitting". Ausserdem dachte ich mir, dass über das Stück schon genug geschrieben wurde und es interessant sein könnte, das Erlebnis eines Besuchs zu schildern. Wer mehr über das Geschehen auf der Bühne lesen will, findet im Internet einige (fast ausnahmslos überschwängliche) Kritiken.
In Testament untersucht She She Pop auf ihre Art den Generationenkonflikt. An der Struktur von Shakespeares King Lear verhandeln sie mit ihren eigenen Vätern Erbe und anstehende Pflege. Nachdem meine Eltern dreimal den Platz gewechselt haben, da vor uns zu grosse Leute sassen, kann es losgehen. Ich sitze in der Mitte, rechts und links von mir die Eltern. Das Stück beginnt damit, dass die Kinder erzählen, wie man den Respekt ihrer Väter gewinnt. Während ich überlege, was es denn bei meinem Vater sein könnte, fragt er mich beim Auftritt der Väter, ob das denn jetzt „echte“ sind. Ich nicke. Meine Eltern sind noch skeptisch.
Spätestens aber, wenn der eine Vater, ein Physiker, die Wechselwirkung zwischen Liebe und Vermögen mit Differentialgleichungen erklärt, hat She She Pop meine Mutter auf ihrer Seite. „Hast Du die Gleichung aufgeschrieben?“ raunt mir die diplomierte Mathematikerin zu und lacht laut. Ich schüttle den Kopf und halte den Zeigefinger an den Mund. Damals in der Oper wäre das umgekehrt gewesen, geht es mir durch den Kopf. Da hätte ich auf etwas hingewiesen und sie mich um Ruhe gebeten.Die nächste Bemerkung kommt von meinem Vater als einer der Protagonisten ein Gedicht vorträgt. „Der hatte einen Schlaganfall. Das sieht man an dem einen Auge, das sich immer hochzieht beim Sprechen“, flüstert er mir ins Ohr. Er ist Radiologe, er muss es wissen, denke ich mir.
Später geht es um die Pflege der Eltern. Eine Performerin liest runter, was dann alles zu tun sein wird: Die dritten Zähne reinigen, das verpinkelte Bad putzen. „Robert, was kommt auf Dich zu?“, lacht meine Mutter. Vor einigen Wochen haben mir meine Eltern von der Idee erzählt, eine Alters-WG zu gründen mit befreundeten Pärchen. Sie wollen auf keinen Fall irgendwann pflegebedürftig ins Altersheim. Ein Freund erzählte mir vor kurzem, dass seine Eltern mit ihm in wenigen Wochen zum Notar gehen wollen, um das Testament vorzubereiten. Das Thema ist also auch bei uns aktueller denn je.
Genau das erklärt so glaube ich den Jubel, den Testament auslöste: Jeder Zuschauer erkennt etwas aus seiner eigenen Familie, sei es eine Situation, eine Bemerkung oder ein herrschender Konflikt. Mein Vater scheint etwas zu erkennen, als eine der Töchter ihren Vater anschnauzt: „Hier wird nicht verhandelt, hier werden harte Forderungen gestellt!“. Mein Vater lacht. Etwas irritiert und fragend schaue ich rüber. Er lacht weiter.
Nach zwei sehr kurzweiligen Stunden nehme ich mit meinen Eltern noch einen Dessert in einem der Speiesezelte. Beiden scheint das Stück gefallen zu haben, wir diskutieren noch einige Zeit weiter und landen wieder bei den Plänen meiner Eltern. She She Pop hat uns durch die Ausbreitung ihrer Geschichte über die eigene nachdenken lassen.