Kurzfilme Border Lines @ Zurich Film Festival
Gregor Schenker - Das Kurzfilmprogramm der Sektion Border Lines zeigt sechs ganz unterschiedliche Werke, die sich mit ganz unterschiedlichen Arten von Konflikten befassen. Zu denken geben sie aber alle gleichermassen.
Chrigi (CH 2009, 7 min. Regie: Anja Kofmel)
Als sie zehn Jahre alt war, hörte sie von der Ermordung ihres Cousins Chrigi im fernen Kroatien. Jetzt erinnert sie sich an ihr Kindheitsidol und wie sie sich damals das aufregende Leben des jungen Schweizer Journalisten vorgestellt hat.
Dieser Animationsfilm besteht aus einer Abfolge unruhiger, ruckelnder Schwarzweiss-Bilder, die Leinwand ist durchgehend in Bewegung. Man kann sich dieser Dynamik nicht entziehen, ebenso wenig der Stimme von Julia Schmalbrock. Kofmel überrascht und erstaunt mit ihren visuellen Einfällen, wenn Kühe zu gefährlichen Monstern werden oder Chrigi im Dschungel riesige Schlangen aus dem hochgelegenen Plumpsklo vertreibt. Diese Einfälle passen zu den Erinnerungen eines kleinen Mädchens, die (vor dem Hintergrund eines fernen Konfliktes) zwischen Märchen- und Albtraumhaftem pendeln.
Die Biographie ihres Cousins hat Kofmel auch zum abendfüllenden Film Chris the Swiss inspiriert.
Waramutseho! (F/CAM/BEL 2009, 21 min. Regie: Auguste Bernard Kouémo Yanghu)
Kabéra (Clément Ntahobari) und Uwamungu (Steve Achiepo) studieren in Frankreich, wohnen zusammen, trainieren im selben Staffellauf-Team. Sie stammen beide aus Ruanda. Es ist 1994. Während in der Heimat der Völkermord tobt, versuchen sie verzweifelt, Kontakt zu ihren Familien aufzunehmen. Schliesslich hört Kabéra von seinem Vater, dass Uwamungus Verwandte umgebracht wurden – und dass seine Familie daran beteiligt war.
Waramutheho! erschüttert. Die pure Ohnmacht der beiden Protagonisten, die kaum mehr tun können, als den Krieg in der Heimat am Bildschirm zu verfolgen, nimmt einen mit. Dass man den Konflikt nur durch TV-Berichte und Anrufe miterlebt, betont seinen Wahnsinn umso mehr. In Ruanda ermorden sich Nachbarn gegenseitig, in Frankreich nimmt kaum jemand Notiz davon. Die Sinnlosigkeit der Gewalt ist absolut.
Kwa Heri Mandima (CH 2010, 11 min. Regie: Robert-Jan Lacombe)
Robert-Jan Lacombe wächst in Zaire auf. Drei Monate, nachdem er mit seiner Familie das Land verlassen hat, bricht dort ein Krieg aus. Alles, was ihm von Afrika bleibt, sind alte Fotos.
Der Film erweist sich als eine Montage von Familienfotos, kommentiert von Lacombe. Er erzählt von seiner Kindheit in Zaire, von seinen Freunden, vom Kulturschock in Europa. Wo liegt seine wahre Heimat? Und wer ist Michael Jackson? Ein sehr persönlicher Film, unter anderem mit dem Pardino d'oro am Locarno Film Festival ausgezeichnet.
Weil der Mensch Mensch ist (DE 2007, 28 min. Regie: Stephan Hilpert & Frauke Finsterwalder)
Im Falken-Zeltlager der Sozialistischen Jugend Deutschlands singt man nicht nur die Lieder von Bertolt Brecht, die einzelnen Gruppen wählen auch Vertreter, die für sie im "Parlament" des Lagers sprechen. Nils ist einer dieser Vertreter.
Beginnt Weil der Mensch ein Mensch ist als ein Film über die pädagogisch wertvolle Vermittlung von demokratischen Prozessen, so wandelt er sich allmählich zu einer Art Herr der Fliegen-Szenario: Nils wird aufgrund seiner schwierigen Art (er leidet an ADS) abgewählt und zum Opfer von Mobbing. So ähnlich muss es Trotzki ergangen sein. Die Gewalt im Kleinen erscheint als Modell für die Gewalt im Grossen. Düstere Aussichten für die Demokratie.
Prayers for Peace (USA 2009, 8 min. Regie: Dustin Grella)
Dustin Grella findet am Zaun einer Kirche Blätter mit Gebeten für die gefallenen Soldaten im Irak. Darunter auch der Name seines jüngeren Bruders Devin. Erst wenige Monate im Dienst, kam dieser bei einem Bombenattentat ums Leben.
Die Bilder und Videos auf der Festplatte seines Computers dienten Grella als Vorlage, die er auf eine Wandtafel projizierte und mit Pastellstiften nachmalte. Es entstand ein Animationsfilm mit filigranen Bildern, die er Vergänglichkeit des Lebens entsprechen. Die Erinnerungen Grellas werden mit der letzten erhaltenen Audioaufnahme seines Bruders abgeschlossen.
Wagah (DE/IND /PAK 2009, 13 min. Regie: Sepuyo Sen)
Das Städtchen Wagah ist der einzige Grenzposten zwischen Indien und Pakistan. Jeden Abend halten die Grenzsoldaten beider Länder eine Militärparade, deren grosses Finale das Einholen der Flagge darstellt. Die Paraden werden mitunter von tausenden von Menschen besucht, die ihre "Mannschaften" lautstark anfeuern.
Die hochgradig ritualisierten Paraden mit ihrer exakt geplanten, äusserst grotesken Choreographie und den farbenfrohen Uniformen wirken wie von einem anderen Stern. Der patriotische Taumel der Massen ist fast schon beängstigend. Dennoch, bei aller Rivalität der beiden Länder tragen die Paraden auch zur Völkerverständigung bei – die Soldaten beider Armeen stimmen ihre Rituale aufeinander ab. Und manch ein Zuschauer äussert den Wunsch nach Frieden zwischen Pakistan und Indien.
Dokumentarisch und persönlich sind diese Kurzfilme. Sie handeln von echten Konflikten, die reale Menschen betreffen. Das breite Spektrum der Themen und der künstlerischen Herangehensweisen sorgt für Abwechslung; man lacht, man ist berührt, man ist entsetzt. Kein einziger misslungener Film befindet sich darunter. Eine ausgezeichnete Mischung.
Das Programm läuft in der Sektion Border Lines.
Weitere Vorstellungen:
- So, 25. Sept, 13:00, corso 4
- So, 02. Okt, 21:15, corso 4