Melancholia @ Zurich Film Festival
Patrick Holenstein - Blau ist die Farbe der Melancholie. Blau ist bei Lars von Trier auch Melancholia, der Planet, der sämtliche Figuren beeinflusst - oder doch nicht? So genau weiss man das beim neuesten Streich des dänischen Regisseurs nämlich nie. Vielleicht erfüllt Melancholia deshalb alle Erwartungen.
Die ersten paar Minuten sind – wie schon bei Lars von Triers letztem Film, Antichrist - bedeutungsschwangeres, brillant-visuelles und poetisches Kino. Dass sämtliche Elemente, die später im Film wieder aufgegriffen werden, bereits präsent sind, merkt man als Zuschauer erst nach und nach. Der Anfang stellte dann auch gleich klar, woran man ist. Jedes Detail ist penibel geplant, Zufall gibt es nicht und manches wirkt fast abstrakt, sogar etwas surreal, einem Märchen ähnlich. Und doch macht die Perfektion einen Teil der unwirklichen Faszination aus. Die brillante Kameraarbeit und die perfekten Sets sind jedoch nur ein Teil von Melancholia.
Im Zentrum steht eigentlich die Beziehung zwischen den beiden Schwestern und der Wandel, den sie im Laufe der Geschichte durchlaufen. Justine (Kirsten Dunst) wird als labile, emotionale und sehr zerbrechliche Person eingeführt, deren Handeln von ihrer Depression bestimmt wird. Sie nimmt an ihrer eigenen Hochzeit lieber ein Bad oder pinkelt auf den Golfplatz, anstatt zu feiern. Sehr zum Ärger von Claire (Charlotte Gainsbourg - die Tochter von Serge Gainsbourg hat mit Lars von Trier schon bei Antichrist gearbeitet), die klar als Fundament des schwesterlichen Bündnisses gezeigt wird. Sie organisiert die Hochzeit und wird hilflos in einen Strudel aus Verständnis für Justines Krankheit, Ärger über deren Aktionen und die Sorge um ihre Schwester hineingezogen. Sie wirkt anfangs gefestigt, verfällt aber zunehmend in die Panik, dass Melancholia das Ende bedeuten könnte.
Lars von Trier kann also nicht nur provozieren. Er, Enfant Terrible des europäischen Films, der als einziger Mensch am Filmfestival von Cannes als Persona non grata gilt, nachdem er sich auf der Pressekonferenz zur Weltpremiere von Melancholia als Nazi bezeichnet hatte, der allerdings auch Perlen wie Breaking The Waves als Leistungsausweis vorbringen kann, hat einen Film hingelegt, der zum Denken anregt und seine wahre Intensität wohl erst nach einiger Zeit offenbart. Von Trier wurde in Cannes verbannt, nicht so sein Film. Kirsten Dunst erhielt für ihrer Darstellung die Silberne Palme und könnte auch bei den Oscars durchaus eine Rolle spielen.
Was soll man da noch sagen? Lars von Trier wird mit Melancholia erneut die Zuschauer spalten. Der Film ist oft sehr ruhig und poetisch, nimmt sich wahnsinnig viel Zeit für die beiden Hauptfiguren, und fokussiert ihre Entwicklung. Dass dabei Nebendarsteller wie Charlotte Rampling oder Kiefer Sutherland etwas untergehen, nimmt man in Kauf. Allerdings sind die Geschichte und die Symbolik von Melancholia so vielschichtig, dass eine Visionierung wohl nicht reicht, um sämtliche Aspekte zu erfassen, und doch kann Melancholia über die ganze Länge packen, ja sogar begeistern. Manche werden die Gegensätze zwischen dem gestylt fotografierten ersten Teil und dem unruhigen zweiten Teil voller schneller Schnitte und hektischer Kameraschwenks lieben, andere werden nichts damit anfangen können. Schön passt dazu das Zitat einer Zuschauerin im Anschluss an den Film: „Jetzt ist mir schlecht!“
- Bewertung: 4,5 von 5
- Dauer: 134 Minuten
- Regie: Lars von Trier
- Darsteller: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland
Picture Credit: Zurich Film Festival Press Picture