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28. Oktober 2011, 20:33 Bücher Kultur

Lewinsky gibt Startschuss für Buchfestival

Claudia Maag - Charles Lewinsky eröffnete gestern im Schauspielhaus Zürich das Buchfestival «Zürich liest `11» Er stellte seinen neuen Roman «Gerron» vor. Ilja Trojanow folgte mit einer musikalischen Inszenierung seines Klima-Romans «Eistau».

«"Du, Gerron", hat er zu mir gesagt und nicht "Du, Jud". Es ist gefährlich, wenn ein Mann wie Rahm deinen Namen kennt.» Diese Gedanken schiessen dem Protagonisten Kurt Gerron durch den Kopf, kurz bevor er erfährt, weswegen er zu Obersturmführer Rahm gerufen wurde. Ehemals Schauspieler, nun eingesperrt, soll er seine Fähigkeiten ein letztes Mal beweisen und einen verlogenen Film drehen, der das erniedrigende Leben im Ghetto von Theresienstadt als Paradies darstellt. Drei Tage hat er Zeit sich zu entscheiden, ob er gegen sein Gewissen handeln soll oder sein Leben und das seiner Frau riskiert.

Charles Lewinsky hielt im Pfauen bei der Eröffnung des Buchfestivals «Zürich liest `11» die Festrede und plauderte danach mit der Moderatorin Monika Schärer über seinen neuesten Roman. Eine faktenreiche und doch erfundene Lebensgeschichte. «Natürlich hat der wirkliche Kurt Gerron nicht drei Tage Bedenkzeit erhalten», erzählt Lewinsky. Als Jude im Jahr 1944 bat man den Obersturmführer nicht um Bedenkzeit, wenn man überleben wollte. Dieser Zeitrahmen gehört zu den erfundenen Umständen, um der Geschichte einen Rahmen zu geben.

Drei Jahre brauchte der 65-Jährige für die Recherche über den Meister der banalen Komik und das Verfassen des Buches. Vermutlich die Hälfte basiere auf Fakten; die restliche Welt Gerrons hat Lewinsky glaubhaft entstehen lassen. «Ich lese so viel wie möglich, aber ohne System», gibt der Autor zu. Was hängenbleibe, werde verwendet. Der Computer im Kopf werde schon wissen, was wichtig sei. Das Buch besticht durch eine direkte Sprache, die einen sofort hineinzieht. Lewinsky schafft es erneut, uns im Kopfkino so unmittelbar in Kultur- und Zeitgeschichte zu transferieren, dass wir fast glauben, dabei zu sein. Mit leicht gekräuselten Lippen meinte Lewinsky, nach der Fertigstellung eines Werkes komme die Bestrafung für jeden Autor - die Lesereise.

Im Anschluss folgte die Schweizer Premiere einer musikalischen Inszenierung von Ilja Trojanows Klima-Roman «Eistau». Komponiert wurde diese „Romanmusik“ vom südafrikanische Komponisten Hans Huyssen. Zusammen mit dem Ensemble «cosi facciamo» (Antoinette Lohmann und Michaela Reingruber) vertonte er das Leben des Protagonisten Zeno, eines Mannes der die Gletscher so sehr liebt, dass er an ihrem Sterben verzweifelt. Es war ein Wechselspiel des leger auf einem Barhocker sitzenden Trojanows, der Stellen aus seinem Roman rezitierte und dem Ensemble. Die Bratsche zupfte, das Cello war rastlos, das Saxophon erzählte von düsteren, einsamen Stunden. Es bedurfte einer Weile, bis die gesprochenen Worte und die klassischen Klänge verknüpft werden konnten. Dies zeigte sich auch in dem nun spärlicher gefüllten Saal. Beim zeitgleichen Auftritt verschmolzen dann klassische Musik und die Worte des resignierten Zeno.

Claudia Maag

Infobox
Charles Lewinsky wurde 1946 in Zürich geboren. Er arbeitete als Dramaturg, Regisseur und Redaktor, seit 1980 als freier Autor. Er schreibt Hörspiele, Romane und Theaterstücke, TV-Shows und Drehbücher. Sein Roman «Melnitz» wurde mittlerweile in zehn Sprachen übersetzt. Ausgezeichnet für sein Schaffen wurde Lewinsky unter anderem mit dem Preis der Schweizerischen Schillerstiftung für «Johannistag» 2001, Tele-Preis (2002), Best Foreign Novel für «Melnitz», Foreign Literature Learned Society (Peking, 2008), Prix du meilleur livre étranger für «Melnitz», (Paris, 2008) und Prix Lipp
für «Melnitz» (Genf, 2009)

Gerron, 2011, books.ch CHF 29.90

Ilija Trojanow wurde 1965 in Bulgarien geboren. 1971, kurz vor seiner Einschulung, flohen seine Eltern mit ihm über Jugoslawien und Italien nach Deutschland, wo sie in München politisches Asyl erhielten. Trojanow wurde mit verschiedenen Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter der Bertelsmann-Literaturpreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb (1995), Marburger Literaturpreis (1996), Adalbert-von-Chamisso-Preis (2000), Berliner Literaturpreis (2007) und der Mainzer Stadtschreiberpreis (2007).

Eistau, 2011, books.ch CHF 29.90

Buchfestival noch bis Sonntag, 30.10.11
www.zuerich-liest.ch

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