Roland Emmerich: «Kunst gegen Establishment»
Andreas Rohrer - Roland Emmerich hat sich mit der Verfilmung der Shakespeare-Identitätsfrage einen «Herzenswunsch» erfüllt. Warum er zur Zeit auf Schauspieler statt Special Effects steht und was Shakespeares Theater mit dem Internet teilt, sagt der Querdenker und Blockbuster-König im students.ch Interview.
Roland Emmerich sitzt mit dem Rücken zu Sonnenuntergang und malerischer Aussicht über Zürich in einer Suite des Dolder Grand Hotel. Er grinst schelmisch, besteht auf «du», ist erschöpft aber erzählfreudig. Der 55jährige Wahl-Amerikaner fällt vom Deutsch immer wieder ins Englische. In Hollywood hat Emmerich mit Filmen wie Independence Day, The Day After Tomorrow und 2012 ein Vermögen gemacht. Geblieben ist er der kauzige Querkopf, den er seit seinem Abschlussfilm an der Münchner Filmhochschule markiert (schon damals hat er das Budget um das 50-fache gesprengt). Er lehnt sich zurück, relaxt.
Roland, dein Shakespeare-Drama erscheint als Plädoyer für Andersdenker.
Ja, genau. Es gibt viele, die anders denken und ganz besonders in der Wissenschaft – im Falle von Shakespeare die Literaturwissenschaft – wird man zu Tode gebrüllt, wenn man nicht «Mainstream» ist, sozusagen. Aber: offensichtlich gibt es sehr viele, die anders denken, sonst würden nicht so viele Leute meine Filme angucken.
Du eröffnest den Film ganz in Shakespeare-Manier mit einem Prolog. Entschärfst du damit nicht gleich den Claim im Sinne von «hier wird nur eine Fassung der wirklichen Geschichte gezeigt»?
Für den Prolog entschied ich mich erst ganz am Schluss. Während der Produktion waren wir immer mit dem Problem konfrontiert, dass wir uns erklären mussten. Wir begannen, den Rohfassungen des Films ein Facts-Sheet beizulegen und von da an waren die Reaktionen viel besser. Damit der Film funktioniert, muss man Fakten immer wieder ändern, neue Dinge hinzufügen, und so weiter – dramatic licence nennt man das. Historisch ist das auf jeden Fall angreifbar. Mit dem Prolog im Theater macht man klar, dass man eine Geschichte erzählt.
In England ist Shakespeare ein heiliges Thema. Wie waren deine Eindrücke auf Promotour in London?
Das Publikum am Londoner Film Festival hat den Film begeistert aufgenommen. Das hat mich sehr erstaunt. Mit wem ich mich seit einer Weile rumschlage, ist der Shakespeare Birthplace Trust. Für die ist mein Film natürlich Majestätsbeleidigung und die Person William Shakespeare eine undiskutierbare Gegebenheit sozusagen.
In «Anonymous» stellst du auch die Forderung an die Kunst, eben genau zu diskutieren und aufzuwühlen, als dringend nötig dar. Wie siehst du das Gewicht der «Macht der Worte» damals und heute?
Da hätte ich vor drei Jahren wohl eine andere Antwort gegeben... Aber jetzt, mit all dem, was in der Arabischen Welt passiert ist und auch was mit der «Occupy»-Bewegung gerade geschieht, das alles zeigt, dass das Wort und die Kommunikation sehr gewichtig sind. Auch mit den Namensvettern meines Films, den Hackern «Anonymous» entsteht vieles. Kommunikation über das Internet, und das ist reine «Macht des Wortes», ist die heutige Form des Elisabethanischen Theaters, das ich im Film darstellen möchte: Ein Ort, wo das Volk sich austauscht und ein Ort, der eben genau deshalb grosse Gefahren birgt für das Establishment.
Siehst du Shakespeare, wie auch dich, als Aufklärer des Volkes?
Ich glaube, das Shakespeare seine Stücke – wie Hamlet, der sein eigenes Schauspiel über seine Familie insziniert — geschrieben hat, um dem Königshaus und dem Adel einen Spiegel vorzuhalten.
Mit Queen Elizabeth (Vanessa Redgrave) schafft Roland Emmerich auch seine erste grosse Frauenfigur. Eine besondere Herausforderung?
Über Elizabeth habe ich neben dem Earl of Oxford klar am meisten gelesen und recherchiert. Ich wollte wissen, wer diese Frau war. Für mich war sie eine sehr ängstliche und unentschlossene Frau. Also genau entgegen der gängigen Meinung, dass sie stark und unantastbar war, lese ich sie als verunsicherte und machthungrige Frau.
Du hast den Film deine «single greatest filmmaking experience» genannt. War «Anonymous» ein reines Herzensprojekt?
Ja, das war ein Herzensprojekt. Ich konnte viel mit Schauspielern arbeiten, was ich eigentlich mittlerweile am meisten liebe. Mit dem Alter möchte ich weg von den Effekten und hin zu den Menschen (schmunzelt). Und endlich ein reines britisches Ensemble, herrlich!
«Anonymous» – ab 10. November im Kino.
Offizielle Website zum Film