Rhys Ifans: «Ich war Lady Gaga mit einem Penis»
Andreas Rohrer - Der Waliser Rhys Ifans ist Rockstar (Super Furry Animals) und coolste Nebenrolle der Welt (Spike in «Notting Hill»). In Roland Emmerichs «Anonymous» spielt er den Mann, der Shakespeares Stücke geschrieben haben soll. Ifans über sexy Männer der Renaissance, revolutionäre Kunst und drohende Prügel.
Rhys Ifans, bekannt aus Notting Hill und Harry Potter VII, spielt als Edward De Vere seine bisher grösste Rolle. Ifans fläzt lässig auf einem Ledersofa in Zürich, seine beeindruckend grosse Erscheinung steckt in Chelsea Boots und schwarzer Lederjacke. Auf dem Handgelenk ein Schwalben-Tattoo, das er mit seiner Ex-Verlobten Sienna Miller teilt. Erster Eindruck: Richtig geiler Typ.
Rhys, du fährst schweres Geschütz auf: Du spielst den «Mann der Shakespeares Stücke schrieb». Wie stehst du Edward De Vere, dem Earl of Oxford, gegenüber?
Das ist eine sehr gewichtige Debatte, vorallem in England. Interessant ist, dass niemand weiss, was wirklich war: Niemand weiss mit absoluter Sicherheit, wer diese unglaublich schönen und extraordinären Texte verfasst hat. Ich sehe es als meine Pflicht, als Schauspieler und Performer, wie es auch Pflicht ist für Akademiker, Studenten und das Publikum, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Nur der Dialog bringt uns weiter. Aus meinen Recherchen zur Vorbereitung kann ich nur sagen: Dieser Edward De Vere war ein vardammt interessanter Mann, und es könnte etwas dran sein, dass er Shakespeares Werk verfasst hat. Er bereiste ganz Europa, er war hoch gebildet, ein Multilinguist und darüber hinaus hatte er durch seinen noblen Status Einblick in den geheimnisvollen und paranoiden Hof von Königin Elisabeth.
Du sagst es, Edward De Vere war ein wahrer Mann der Renaissance und nicht zuletzt – wie soviele seiner Zeitgenossen – sexuell äussert aktiv in alle Richtungen. Wie hast du dich in dieser Hinsicht auf den Charakter vorbereitet?
Lesen, lesen und nochmal lesen! Der Mann hatte anscheinend seine Gegenspieler des Cecil-Clans genau im Auge. Er varabscheute deren Art von «nouveau riche» ohne Adel im Blut. De Vere war ein unglaublich stolzer Mann, absolut extrovertiert: Er trainierte die perfekte Kunst des Schwertkampfes, er schaute sich bei seinen Reisen nach Italien den italienischen Stil ab und adaptierte Kleidung und Posen. Er war Avant-Garde! Er war auch süchtig nach Aufmerksamkeit und sein Anwesen war berühmt-berüchtigt für die ausschweifenden Partys: Alkohol, Sex... der Earl of Oxford liess es krachen wie ein Rock'n'Roller. Deshalb war ich so begeistert von der Rolle!
Im Film sagt De Vere, dass ihm die italienischen Frauen als sehr offenherzig und willig aufgefallen sind. Hast du auch in diese Richtung recherchiert?
(schmunzelt) Ich sag jetzt mal: In der Renaissance muss es sehr interessant gewesen sein, die Welt zu entdecken. Kulinarisch wie sexuell!
Du bist bisher vorallem in Nebenrollen aufgetreten. Mit «Anonymous» und «The Amazing Spider-Man» (2012) ändert dies. Wie kam der Sprung?
Meine Karriere geschah sehr zufällig. Ich hatte nie ein Manifesto. Ich halte Karriereplanung für schädlich, du wirst dadurch zu abgehoben. Ich reagiere einfach auf Angebote und wähle aus, was ich machen möchte. Mit «Anonymous» machte ich einen grossen Schritt nach vorne. Ich reisse mich aber nicht aktiv um Rollen, ich bin einfach schnell gelangweilt und nehme mich gerne neuen Projekten an.
Du bist in der Vergangenheit etwas in der Rolle des «coolen und verhängten Kumpels» steckengeblieben. Hat dich das nicht gelangweilt mit der Zeit?
Doch. (lacht) Seit Spike (Anm. d. Red. Hugh Grants Mitbewohner in «Notting Hill») war ich einfach dieser Typ. Aber das war vor 10 Jahren...
Hast du deshalb von Roland Emmerich auch die Rolle von De Vere verlangt, und nicht den lustig besoffenen Shakespeare?
Hm.. Ich glaube vor 10 Jahren hätte ich mich auf Shakespeare gestürzt. Aber jetzt bin ich 44. I'm wiser and I've lived and lost. Ich bin wirklich erwachsen geworden und meine emotionale Palette bietet mehr, als einen witzigen Mitbewohner. Das möchte ich in die Schauspielerei übertragen. Mit 44 noch ein lumpiger Mitbewohner zu sein... Da würd ich mir Sorgen um mich selber machen. (lacht)
Was war die grösste Herausforderung für dich bei der Arbeit als Earl of Oxford!
Stell dir vor, der Mann soll Shakespeares Werke geschrieben haben. Es ist total strange, eine Figur zu spielen, die 10 Millionen mal gescheiter ist als du selbst! Und: Die Hauptrolle ist definitiv ein weiterer Schritt an die Öffentlichkeit. Das Paradoxe an der Schauspielerei ist ja, dass du dich eigentlich als Person unsichtbar machst und die Welt aus einer fiktiven Position beobachtest. Je länger du dies jedoch machst, umso genauer beobachtet die reale Welt dich. Was dich als Künstler stark macht, ist genau, dass du nicht Teil der realen Welt bist. Als Schauspieler liebe ich es – in erster Linie auf der Bühne – Applaus zu bekommen. Wenn ich aber einkaufen gehe und Paparazzis kommen, möchte ich alle verprügeln. Damit muss ich umzugehen lernen.
«Anonymous» ist auch ein Plädoyer dafür, dass Kunst die Realität mitgestalten soll...
...when fact and fiction sleep together, the baby they produce ist the truth. So ist es.
Hast du persönlich die Anforderung an deine Schauspielkunst, Leute wachzurütteln und nachdenklich zu stimmen?
Absolut. Jedes einzelne mal. Ich will dunkle, komische Rollen spielen. Wenn du das Publikum zum Lachen bringst, dann fühlt es sich wohl, und wenn man sich wohl fühlt, fängt man an nachzudenken.
Etwas ganz anderes: Wieviel hat es gebraucht, dass du für «Anonymous» deine Britpop-Frisur ablegst?
(lacht) Nichts! Roland Emmerich kam zu mir und sagte: «Der Typ ist wie Karl Lagerfeld. So musst du aussehen.» Ich hab dann noch etwas David Bowie hinzugefügt und ich muss sagen, ich liebte dieses Kostüm. Das Kostüm diktiert dir, wie du dastehst, deine Körperhaltung beeinflusst die Atmung, das Atmen wiederum verändert deine Art zu sprechen, und so weiter. Diese Aufmachung, das Kostüm, hat mich in meiner Rolle geprägt, wie ich das noch nie vorher erlebt habe. Ich fühlte mich manchmal wie Lady Gaga – mit einem Penis! (lacht laut)
Ha, sie soll ja auch einen haben! (allgemeines Gelächter) Zum Schluss: Ich sehe Shakespeare als ersten Rockstar der Geschichte. Personenkult und das «Bad in der Menge» gehörten bei ihm dazu. Siehst du ihn als Wegbereiter deiner Gattung?
Oh, du bezeichnest mich als Rockstar? Also ich würde mich nicht zur gleichen Gattung wie Shakespeare zählen. Aber er war auf jeden Fall ein Rockstar: Wenn man sich den Stellenwert des Elisabethanischen Theaters anschaut – diese Vorführungen waren gefährlich, das Volk wurde versammelt und angestachelt. Das war eine vielfach grössere Bedrohung für den status quo, als dies zum Beispiel die Beatles in den 60ern waren. Die Beatles haben die Welt verändert. Viele Mütter verloren die Nerven, Lehrer hängten ihre Jobs an den Nagel, weil die Beatles die Jungend stark beeinflussten. So werden Machtverhältnisse umgekrempelt. Und im 16. Jahrhundert, als Kirche und Staat alles regierten, grausam und korrupt, da war das Theater der Ort, an dem sich der ungebildete Mob traf. Die Worte Shakespeares machten diesen Menschen die Welt zugänglich in einer Form, die sie verstanden: Schmerz, Liebe und Wut. Das versteht der common man! Und natürlich war das eine Bedrohung für das Königshaus, weshalb die Theater dann auch immer und immer wieder niedergebrannt wurden. Deshalb: Ja! William Shakespeare war der grösste Rock'n'Roller, der je gelebt hat!
Video: «Anonyomous» – Official Trailer
- Titel: Anonymous
- Land: England/Deutschland
- Regie: Roland Emmerich
- Darsteller: Rhys Ifans, Edward Hogg, Sebastian Armesto
- Verleih: The Walt Disney Company Switzerland
- Start: 10. November 2011