12. Februar 2012, 12:57
Kultur
Ganz im Gegenteil V
Junges Schauspielhaus - In der fünften Probewoche von "Der Hund mit dem gelben Herzen oder Die Geschichte vom Gegenteil" lassen wir uns von der Kältewelle inspirieren
Trotz gut beheizter Probenräume im Schiffbau bleiben auch die Proben zu „Der Hund mit dem gelben Herzen oder Die Geschichte vom Gegenteil“ von den anhaltenden Minusgraden nicht unberührt. Einerseits, weil bei diesem Wetter eine ausgeprägte Erkältung nicht lange auf sich warten lässt und wir diese Woche einen hohen Krankenstand beklagen mussten. Andererseits weil über der eingefrorenen Stadt, besonders an Sonntagnachmittagen, eine Stimmung liegt, die man sonst selten im hektischen Zürich findet und die sich als Feldstudie für unser Stück hervorragend eignet: Einsamkeit. Wenn man durch die Strassen geht, fühlt man sich fast wie der einsame Wanderer in Schuberts „Winterreise“ oder der ewig durch die Welt streifende Lobkowitz, der auf seinem Weg nur von „Hunden und Katzen begleitet“ wird. Während die Einsamkeit eines Winterspaziergangs dem urbanen Grossstädter erholsam erscheint, können Lobkowitz und G.Ott ihr nicht viel abgewinnen. „Wir müssen es teilen, das Glück. Das Leben, das Licht, die Freude, den Frieden, das müssen wir teilen“ sagt der grosse Erfinder in Jutta Richters Geschichte zu seinem besten Freund. Der Versuch, die Einsamkeit zu beenden und neue Freunde zu erfinden, stürzt allerdings beide in viel bodenloseres Alleinsein. Die neuen Gefährten sind nicht das, was sich Gustav Ott vorgestellt hat: Sie sind gefährlich und wenden sich gegen ihn. Als würde er nach Wilhelm Buschs Weisheit „Wer einsam ist, der hat es gut, weil keiner da, der ihm was tut“ handeln, vertreibt der Weltenschöpfer Lobkowitz und die grade erst erfundenen Freunde. Statt neuer Vertrauter hat G.Ott nur selbstgewählte Isolation, und Lobkowitz Vereinsamung durch Verbannung, „gewonnen“.
Die grosse Verlassenheit und Melancholie beider Figuren wurde uns diesen Freitag besonders bewusst, als wir das gesamte Stück zum ersten Mal ohne Unterbrechungen durchgespielt haben. Da wollte ich beim Zuschauen manchmal rufen: „Was braucht ihr Freunde? Ihr habt doch euch!“. Beide erkennen zwar schnell, dass sie ohne einander ein trauriges Dasein fristen, dass sie eben jemanden brauchen, der ihnen „was tut“. Jemanden mit dem man streiten und sich wieder vertragen kann, einen Gegenpart, ein Gegenteil eben. Ohne sein Gegenteil ist alles auf der Welt schrecklich allein. Aber solange sich die ehemals besten Freunde gegenseitig die Schuld an ihrer Verlassenheit geben, ist kein Ende der Einsamkeit in Sicht.
Die grosse Kältewelle ist jetzt fast vorüber und die Strassen füllen sich wieder mit Menschen. Die klirrend kalte Einsamkeit draussen geht zu Ende, drinnen im Schiffbau allerdings wandern Lobkowitz und ein Hund, der etwas wieder gut machen will, immer noch in vollkommener Verlassenheit durch die Gänge. Gut, dass uns noch zwei Wochen Probenzeit bleiben, um sie davon zu überzeugen, dass sie sich mit dem Alleinsein nicht abfinden müssen...
Fortsetzung folgt...
Von Sinja Marie Krüger
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