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11. Mai 2012, 00:00 Kultur Movie

Kurzfilmnachttour: Schweiz und Science Fiction

Gregor Schenker - Schon zum zehnten Mal jährt sich heuer die Kurzfilmnacht-Tour. Ein reichhaltiges Programm cooler Kurzfilme läuft in verschiedenen Städten. Wir waren am letzten Freitag in Luzern und haben uns zwei Themenblöcke angeguckt.

SWISS SHORTS – Preisgekrönte Schweizer Filme

Dieses Segment ist reserviert für eidgenössische Kurzfilme aus dem vergangenen Jahr, die Preise gewonnen haben oder für den Quartz 2012 nominiert sind. Die Arbeiten überzeugen vor allem mit Witz – aber es gibt auch Rührendes. Und ein bisschen Politik.


Chasse à l’âne (Maria Nicollier, 15’)
Nicolliers Werk lebt von der ironischen Durchmischung nationaler und religiöser Identitäten: Drei japanische Jäger kommen auf den Geschmack von Eselfleisch und kaufen sich so ein Grautier – bei einem französischen Tee-Meister und Buddhist. Als es darum geht, den Esel zu töten, tauchen Zweifel auf: Ist das Tier den Christen nicht heilig? Immerhin steht es neben ihrem Gott in Weihnachtskrippen!
Der Blick auf eine fremde Kultur, mal umgekehrt. Wobei der Film weniger den japanischen Blick auf den Westen, sondern den westlichen Blick auf den japanischen Blick auf den Westen darstellt. Man sieht: Das Identitäten-Wirrnis ist komplett.


Gypaetus Helveticus (Marcel Barelli, 7’)
Das animierte Filmchen erzählt die tragische Geschichte des Bartgeiers in der Schweiz: Ignoranz und Vorurteile führen zu seiner Ausrottung im 19. Jahrhundert. Als man ihn zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder ansiedeln will, kämpft er um Akzeptanz.
Die kleine Geschichtsstunde sprüht über vor originellen Einfällen und visuellen Gags. Unheimlich komisch ist nicht zuletzt die Verbindung von Bartgeier-Geschichte und der gegenwärtigen Ausländer-Debatte.


L’ambassadeur et moi (Jan Czarlewski, 15’)
Der Jungfilmer Jan portraitiert seinen Vater Slawomir Czarlewski, einen Helden der Solidarnosc-Bewegung und heutzutage der polnische Botschafter in Belgien. Wir sehen den Würdenträger als ganz gewöhnlichen Menschen, der morgens Fitnessübungen macht, mit offenem Hemd an seinem Computer arbeitet oder sich auf einem Empfang sichtlich langweilt. Aber vor allem erleben wir ihn als jemanden, der keine Zeit für seinen Sohn hat und sich mitunter heftig über die ungewohnte Störung durch den hartnäckigen Filius aufregt (die Begleitung des Rezensenten hat darauf hingewiesen, dass die Untertitel zu den polnisch gesprochenen Stellen eher verharmlosend sind).
Die kleine Doku wird dennoch nicht bloss zu einer Anklage des Vaters, denn zum Schluss dreht der Botschafter den Spiess um und hinterfragt Jans Motive. Damit ist L’Ambassadeur et moi ein überraschendes und berührendes Portrait einer nicht ganz einfachen, aber doch respektvollen Beziehung zwischen Vater und Sohn geworden.


Baggern (Corina Schwingruber, 12’)
Grobschlächtige Maschinen, die mit Vorsicht behandelt werden wollen, Ländler, schlechte Witze und Schnupf: Nach dem Themenblock beantwortet Corina Schwingruber kurz ein paar Fragen und erzählt, wie sie – ein eher zierliches Persönchen – sich unter die Baggerfahrer begeben hat, um sie und ihre grossen Baumaschinen vor die Kamera zu holen. Ihr Film besteht aus Interview-Passagen und der Darstellungen maschineller Schwerstarbeit. Angeblich war es der Wunsch der Fahrer, dass ihr Tun mit Heavy Metal unterlegt wird. Schwingruber ist dem nachgekommen. Zum Schluss behält sie aber die Oberhand: Ihr Werk endet mit einem graziösen Bagger-Ballett.


Bon Voyage (Fabio Friedli, 6’)
Eine ganze Schar von Emigranten macht sich auf die Reise nach Europa. Wüsten, Haifische und Kriegsschiffe dezimieren die Gruppe der Hoffnungsfreudigen. Nur ein einziges Negerlein schafft es bis in die Schweiz – und landet vor einer Asylkommission.
Ähnlich wie Gypaetus Helveticus verbindet das simpel gestaltete Animationsfilmchen witzige Einfälle und Immigrations-Debatte. Allerdings etwas moralinsaurer und weniger elegant. Dennoch ein unterhaltsamer Abschluss zum Block der preisgekrönten Schweizer Kurzfilme.



Lokale Eröffnungsfilme/Premieren

Dieses Segment der Kurfilmnacht-Tour variiert von Stadt zu Stadt. Ob Zürich, Basel oder Bern, jedes Mal wird an dieser Stelle ein anderer Kurzfilm gezeigt. In Luzern hätten wir beinahe darauf verzichten müssen. Und besonders schlimm wäre das nicht gewesen …


Parallel (Andrew R. Jones, 20’) Nach schweren technischen Problemen mit dem Blu-Ray-Player und mehreren Anläufen konnte Parallel endlich seine Premiere feiern. Das Warten hat sich nicht wirklich gelohnt: Das Werk ist undurchdacht, konzeptlos, unnötig ausgewalzt und völlig frei von originellen Ideen.

Der Large Hadron Collider im CERN schafft in Genf und Umgebung Portale in Parallelwelten (weil der LHC so was halt macht). Tim (Carlos Leal, bekannt aus Sennentuntschi) tritt durch ein solches Portal und landet in einer alternativen Realität, in der die Beziehung mit seiner Freundin Emily (Florence Matousek) nicht mehr das ist, was sie mal war. Um das geradezubiegen, tritt er mit ihr zusammen erneut durch ein Portal. Damit macht er aber alles nur schlimmer.

Die alberne Grundidee lässt jede Menge Fragen offen: Wieso erhält Tim die Erinnerungen seiner alternativen Ebenbilder? Wie kann er die Erscheinungsorte der Portale berechnen? Wieso glauben ihm seine Freunde einfach so? Ist er der einzige, der die Portale entdeckt? Wie kann er die künftigen Erscheinungsorte der Portale berechnen? Und vor allem: Was für ein schwanzgesteuerter Vollidiot sorgt sich angesichts der Entdeckung paralleler Welten zunächst einmal um seine Beziehung?

Andrew R. Jones (eigentlich Effektekünstler für grosse Hollywoodfilme wie Superman Returns oder Avatar) schafft es nicht, aus seiner Idee eine sinnvolle Story zu stricken. Jedenfalls nicht in 20 Minuten. Dafür nervt er einen mit einem endlosen und erzbanalen Dialog über Liebe, Schicksal und Kontrolle. Oder fügt eine Fasnachtsepisode ein, die für die Handlung keinerlei Rolle spielt (Luzerner Lokalpatriotismus hin oder her).

Darüber könnte man höchstens hinwegsehen, wenn sich Parallel nicht so verdammt ernst nehmen würde. Das Filmchen behauptet für sich jedoch eine Relevanz, die es schon aufgrund seiner Klischeehaftigkeit nicht hat. Dieselben Themen wurden bereits in hunderten von Sci-Fi-Filmen oder -Büchern behandelt. Und das meistens besser.



SCIENCE FICTION – Das All ist überall

Auch wenn Parallel kein gutes Beispiel dafür ist: Das Genre der Science Fiction hat viele Perlen zu bieten – nicht zuletzt im Kurzfilmbereich. In Zusammenarbeit mit den Internationalen Kurzfilmtagen Winterthur zeigt die Kurzfilmnacht-Tour ein paar äusserst bemerkenswerte Exemplare.


Le voyage dans la lune (Georges Méliès, Frankreich 1902, 13’)
So hat man den Klassiker aus der Frühzeit der Filmgeschichte noch nie in Schweizer Kinos gesehen, nämlich in einer neu restaurierten und originalgetreu kolorierten Fassung. Die Geschichte um den Astronomen Barbenfouillis, der zusammen mit seinen Kollegen in einer Rakete zum Mond fliegt, überzeugt auch nach 110 Jahren mit schrägen Ideen und surrealen Cartoon-Kulissen – die erst auf der grossen Leinwand so richtig ihre Wirkung entfalten.
Leider ist der neu eingespielte Soundtrack des Electronic-Duos Air ein nervtötendes Ärgernis sondergleichen. Manchmal sollten Stummfilme wirklich stumm bleiben.


Yuri (Immanuel Wagner/Katja Schiendorfer/Cécile Brun/Nils Hedinger, Schweiz 2009, 5’)
Co.-Regisseur Nils Hedinger berichtet vor Ort, wie dieser Puppentrickfilm als Kollaborationsarbeit an der Hochschule Luzern entstand. Man erfährt wieder einmal: Das Verrücken und Abfotografieren von Puppen ist ein mühsames Geschäft.
Die Handlung dreht sich indes um einen Astronauten, der im Weltraum nach Bodenschätzen sucht. Nachdem er endlich genügend Proben gesammelt hat, freut er sich auf Zuhause. Doch die Erde ist verschwunden! Allein im All ist er trotzdem nicht …
Ein charmantes Design, originelle Ideen und ein herzerwärmendes Ende machen dieses Werk zu einem Highlight der Kurzfilmnacht.


L’attaque du monstre géant suceur de cerveaux de l’éspace! (Guillaume Rieu, Frankreich 2011, 20’)
Normalerweise versuchen Ausserirdische in amerikanischen Science-Fiction-Filmen, die Erde zu erobern – hier überfällt der gefährliche Hirnsauger-Tintenfisch aus dem All jedoch ein farbenfrohes französisches Musical! Zum Glück ist ihm Professor Quatermass in die Paralleldimension gefolgt. Zusammen mit James und Lisa, die ständig in Gesangsnummern ausbrechen, stellt er sich dem schwarzweissen Monster und seiner Armee von Zombies entgegen.
Diese äusserst charmante Genre-Hommage (deren Titel einem nicht grad von der Zunge rollt), begeistert mit Tempo, vielen cleveren Details, herzigen Stop-Motion-Effekten und makabrem Humor. Ein echtes Bijou!


The Terrible Thing of Alpha-9! (Jake Armstrong, USA 2009, 6’)
Ein Kopfgeldjäger düst in seinem Raumschiff zu einem einsamen Planeten, um ein weitherum gesuchtes Monster dingfest zu machen. Das schreckliche Ungeheuer erweist sich als ein gewaltiges Geschöpf mit sechs Augen und gefährlichen Reisszähnen – und der Spielfreude eines kleinen Hundes.
Der flüssige Animationsstil mit dem simplen Comic-Design und den knalligen Farben ist wunderbar anzusehen. Und die Story hat einige grausige Wendungen zu bieten!


Yuri Lennon's Landing On Alpha 46 (Anthony Vouardoux, Schweiz/Deutschland 2010, 15’)
Der Astronaut Lennon (Marc Hosemann), ein etwas nerviger Geselle, landet auf einem Jupiter-Mond, erkundet die Umgebung und macht eine merkwürdige Entdeckung. Diese Entdeckung macht zwar nicht allzu viel Sinn, interessanter ist aber sowieso die Machart des Shorts: Das gesamte Ding wurde in einer einzigen Einstellung gefilmt. Ein interessantes Experiment also, das auch sonst mit ein paar coolen Bildern aufwartet.



Das Programm der Kurzfilmnacht-Tour bietet zwei weitere Themenblöcke:


UPLOAD CINEMA – Sounds Like Music

Schon seit 2008 bringt das in Amsterdamm gegründete Upload Cinema Webvideos ins Kino. Für Sounds Like Music wurden allerlei ungewöhnliche musikalische Kurz- und Kürzestfilme zusammengestellt.


BEST OF – 10 Jahre Kurzfilmnacht-Tour

Wie eingangs erwähnt, bringt die Kurzfilmnacht-Tour bereist seit zehn Jahren Kurzfilme auf die Leinwände der Schweiz. Aus den über 300 Werken, die in dieser Zeit aufgeführt wurden, werden hier sieben der besten präsentiert – darunter das berühmt-berüchtigte Meisterwerk Staplerfahrer Klaus.



Restliche Tourdaten

St. Gallen: Freitag & Samstag 11./12. Mai

Chur: Freitag 18. Mai

Bern: Freitag 1. Juni

Infos zur Tour in der Romandie und im Tessin folgen im Herbst

Mehr Infos zu Daten und Aufführungsorten sowie den lokalen Premieren gibt’s hier.

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