Kino: Barbara
Gregor Schenker - Eine Frau will die DDR verlassen. Klingt einfach, ist es aber nicht. Christian Petzolds neuer Film portraitiert eine Ärztin, die zwischen den Systemen und zwischen zwei Männern steht.
Ohne grosse Knalleffekte macht Regisseur und Drehbuchautor Christian Petzold die alltägliche Unterdrückung durch das System spürbar. Die Forderung, dass man diesem Staat etwas zurückgeben sollte, ist purer Hohn. Unmöglich, dort glücklich zu werden. Barbara bereitet mit Hilfe von Jörg (Mark Waschke), ihrem Geliebten aus dem Westen, die Flucht vor. Innerlich hat sie mit der DDR längst abgeschlossen, von ihren Kollegen will sie nichts mehr wissen.
Ganz so einfach ist das Loslassen aber nicht. Sie droht sich in André (Ronald Zehrfeld) zu verlieben, ihren Vorgesetzten, nachdem sie in ihm zu Anfang noch einen Helfer der Stasi vermutet. Und da sind noch ihre Patienten. Zum Beispiel die junge Stella (Jasna Fritzi Bauer), die schon mehrmals aus einem Erziehungslager in der Nähe geflüchtet ist und sich beim jüngsten Versuch einen Hirnhautentzündung zugezogen hat. Kann Barbara sie einfach im Stich lassen?
Und schliesslich: Was soll im Westen aus ihr werden? Jörg sagt, er könne schon für sie beide Sorgen. Die Ärztin als Ostliebchen, das schön zuhause bleibt? Kein Wunder, dass Barbara Zweifel kommen.
Der Film macht es also weder der Protagonistin noch dem Publikum leicht. Auf der einen Seite leidet Barbara unter dem unmenschlichen System, auf der anderen Seite hängt sie an den Menschen, die sie zurücklassen müsste. Und im Hinblick auf die Geschlechterfrage wird sogar der goldene Westen in Frage gestellt: So schlimm die DDR auch war, waren nicht wenigstens die Frauen gleichberechtigt?
Man merkt schon, mitunter bewegt sich Petzolds Film auf dem schmalen Grat zwischen gewollter Ambivalenz und unfreiwilliger Verklärung. In einer Szene stellt sich beispielsweise heraus, dass Stasi-Offizier Schütz eine todkranke Frau hat, die von André dem Anschein nach mit halblegalen Mitteln behandelt wird. Der Stasi-Mann, selbst ein Opfer? Das System war schlimm, aber die Menschen waren gut? Zweifelnde DDR-Flüchtlinge gab es in der Literatur und im Film schon ein paar, hier wird das Thema etwas arg naiv abgehandelt.
Überhaupt, die Sache mit der kranken Frau zeigt, dass Barbara ein bisschen zum Klischee und zum Holzschnittartigen neigt. Kein Wunder bei der Grundanlage: Eine schöne Ärztin aus der Stadt landet in der Provinz, wo sie sich in den Chef verliebt – aber sie hat doch schon einen Freund! Das könnte glatt aus einem Arztroman à la Dr. Stefan Frank stammen.
Petzold und seine Schauspieler retten den Film mit glaubwürdigen Dialogen und einer zurückgenommenen Darstellung, ganz ohne dummes Melodrama oder Pathos. Barbara ist ein angenehm ruhiges Werk, ohne jemals langweilig zu werden: Der stille Widerstand der Ärztin gegen das System oder die Auseinandersetzungen zwischen Hoss und Zehrfeld bleiben durchgehend spannend.
Und schliesslich ist Barbara ein interessanter Blick zurück in eine Zeit, als selbst Ärzte den ganzen Tag wie die Schlote rauchten.
Bewertung: 3.5 von 5
- Titel: Barbara
- Land: Deutschland
- Regie: Christian Petzold
- Drehbuch: Christian Petzold, Harun Farocki
- Darsteller: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Rainer Bock
- Verleih: Look Now!
- Start: 14. Juni 2012