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26. Juni 2012, 22:48 Kolumnen

Morgens um 7.15

Marco Büsch - Ich mag den FC Zürich, aber um 7.15 am Morgen ist es eindeutig zu früh um für ihn zu fanen. Vor allem im Tram, wenn ich meine Ruhe haben will. Einmal Südkurve für unterwegs.

Letzten Freitag musste ich um 7.15 auf mein Tram, was für meine Verhältnisse ziemlich früh ist. Obwohl das eigentlich für jedermanns Verhältnisse ziemlich früh sein sollte. Jedenfalls bin ich extra ganz hinten eingestiegen, weil ich später auch wieder hinten aussteigen musste – ziemlich clever also fand ich, zumindest beim Einsteigen. Ungefähr fünf Minuten später hatte sich allerdings meine Meinung diesbezüglich um 180 Grad gedreht und ich wäre lieber einen Waggon weiter vorne eingestiegen. Aber unwissend wie ich war, setzte ich mich auf einen dieser Einzelsitze und wollte gerade ein bisschen vor mich hindösen, als ganz hinten im Tram jemand zu singen anfing. Eigentlich war es mehr ein Geschrei und Gebrüll: Abwechslungsweise wurden die Wörter «FCZ», «Züri», «Olé», «Schiri Hueresohn» willkürlich aneinandergereiht und laut hinausposaunt. Manchmal wurde auch eines der Worte bis zu zwanzigmal hintereinander geschrien. Und das um 7.15 in der Früh. Aber natürlich habe ich da kein Büro aufgemacht, ich meine, das ist Zürich, lil big city, da ist es normal, wenn schon frühmorgens irgendwelche Leute im Tram umherbrüllen. Das macht ja auch dieses Städtische aus, es gibt einem dieses Grossstadt-Gefühl. Überdies bin ich ein Anhänger des FC Zürich und dies selbstredend auch um 7.15 Uhr morgens. Ich fühlte mich also nicht bemüssigt, mich mühselig umzudrehen, um zu schauen, von wem denn genau diese Ruhestörung kam. Als der junge Mann (er hörte sich wie ein junger Mann an) dann aber im Eifer des Gefechts plötzlich «FCZ Hueresohn» oder «Züri Hueresohn» schrie, musste ich mich dann trotzdem leicht verärgert nach ihm umdrehen. So geht das ja nun wirklich nicht! Alles hat seine Grenzen. Besonders frühmorgens um 7.15 Uhr, wobei es mittlerweile schon 7.25 Uhr war. So wollte ich also dieser Person mindestens ein paar böse Blicke zuwerfen und wendete mich deshalb um. Ich weiss nicht mehr genau, welchen Terminus ich zum genaueren Beschrieb der Person verwenden darf und welchen nicht, das ändert ja ständig. Jedenfalls war der junge Mann geistig zurückgeblieben. Er hatte das Down Syndrom. Trisomie-21. (Wikipedia sei Dank!) Nun kam mir mein Verhalten natürlich peinlich vor. Ich packte also meinen bösen Blick wieder ein, setzte mich wieder gerade hin und genoss für die letzten zehn Minuten der Fahrt das frühmorgendliche Südkurven-Feeling. Und auch niemand sonst machte einen Pieps und alle taten so, als wäre alles wie immer. Und wir wanderten stumm auf dem schmalen Grad zwischen Toleranz und Ignoranz. Bis ich dann aussteigen musste. Doch genau für solch bizarre Momente liebe ich Zürich. Auch um 7.15 morgens im Tram.

(Bildquelle: flickr.com, Txeski)

Kolumne auf RonOrp.ch

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