Gaslight Anthem: «Kein Licht am Ende des Tunnels»
Andreas Rohrer - Vor 5 Jahren bestand ihr Leben aus Baustellen-Jobs und lichtscheuen Bar-Konzerten. Heute will die ganze Welt eine Meinung zu ihrer Musik haben. Wie The Gaslight Anthem aus New Jersey lernten, dass 50'000 verkaufte Platten keine Miete zahlen und wie sie den erloschenen Amerikanischen Traum erleben.
students.ch: Ihr habt diese Platte bis zum Release gehütet wie den heiligen Gral. Das passt irgendwie nicht zu eurer Band.
Benny Horowitz: Das ist der frustrierende Teil, wenn du mit einem Label und einer ganzen Promotions-Maschinerie arbeitest: Du kommst aus dem Studio und möchtest die Musik am liebsten sofort mit allen teilen. Und dann darfst du das Zeug nicht mal live spielen... Mit den Handys und Youtube kommt ein Live-Song eigentlich einem Release gleich. Das war echt hart, diese Songs für sich zu behalten. It kills me.
Bei den Release-Shows zu «The '59 Sound» (2008) habt ihr doch dem Internet noch gedankt, dass man eure Songs so fleissig teilt und jeder euer Zeug hört.
Hör mal: Wenn’s nach mir ginge.. (lacht) . Natürlich hätte ich nichts dagegen, aber es gibt seeeeehr viele Leute, die einiges dagegen haben.
Die Zeiten haben sich also geändert. Verliert man sich da auch mal in Nostalgie und sehnt sich nach den guten alten Zeiten, in denen euch noch niemand die Setlist vorschrieb?
Das bringt nichts. Ich schaue in erster Linie vorwärts. Unsere Band hat diverse Stufen erreicht, um hierher zu kommen, und ich erinnere mich gerne an jede einzelne dieser Stationen zurück. Aber nicht im Sinne von «früher war alles besser». Wobei: Ich vermisse die ganz kleinen Shows, Mann. Wir sind eine Band, die das Publikum spüren muss. Direkt vor der Nase. Wenn wir natürlich an Festivals spielen, siehst du die Leute kaum...
Vor allem du, als hinterster Mann am Schlagzeug!
Exakt, vor allem ich! (lacht) Ja, diese Publikumsnähe vermisse ich. Auf der anderen Seite mussten wir früher dauernd Freunden erklären, dass die Show ausverkauft sei, und sie nicht kommen können. Das passiert in einem Stadion als Supportband für Soundgarden nicht mehr. It’s give and take. Some stuff’s cool, some stuff sucks.
Video: The Gaslight Anthem – Handwritten
Der Aufstieg von The Gaslight Anthem ging zumindest von aussen gesehen extrem schnell. Wie kommt’s euch vor?
It was a hell of a ride. Als wir «Sink or Swim» rausbrachten (2007), haben Brian (Fallon, Sänger) und ich abgemacht, dass wir uns die Kehle tätowieren, wenn wir jemals 10'000 Alben verkaufen. Vor nur 5 Jahren war diese Zahl so weit entfernt von allem, was wir uns vorstellen konnten. Wir hatten damals echt gedacht, dass man mit 10'000 verkauften Platten ausgesorgt hat und niemals mehr arbeiten müsse. Sowas von falsch! Ich war nach 50'000 verkauften Gaslight-Alben noch immer obdachlos... (lacht) Heute kann ich die Miete zahlen. Und alles was noch obendrauf kommt ist einfach nur schön, solange das möglich ist!
Du schleichst dich aber immer wieder zurück in die Do-It-Yourself-Szene mit deiner eigenen kleinen Band «Bottomfeeder». Brauchst du die Hardcore-Ecke als Ausgleich?
Fuck yeah! Wir alle haben diese kleinen Nischen. Brian hat «The Horrible Crowes» gemacht, Alex (Rosamilia, Gitarrist) hat eine Band namens «Something About Death or Dying». Ich habe mit Alex auch eine Stoner-Metal-Band, «Spiro Agnew». Die gibt’s schon länger als The Gaslight Anthem. Und das Zeug ist schnell! So bleibe ich als Drummer in Form (lacht). Ich liebe Melodic Hardcore, aber diese Dinge passen einfach nicht zu Gaslight. Also mache ich es anderswo.
Bringst du diese Einflüsse in den Gaslight Anthem Proberaum? Oder ist dort immer klar, in welche Richtung es gehen soll?
Ich denke nicht, dass die Richtung absolut in Stein gemeisselt ist. Bisher war es immer so, dass wir viel rumprobierten und dann bei einem bestimmten Song genau wussten: Dahin wollen wir. Für «Handwritten» war das «45». Dieser Moment, ich weiss es noch genau, als ich die Drumsticks abgelegt hatte und in den Raum schaute, und jeder wusste genau, das ist es. Danach war es wie ein Domino-Effekt und alles kam ganz natürlich. Das ist übrigens ein grosser Unterschied zu «American Slang» (2010), wofür wir die Songs sehr zielorientiert geschrieben hatten.
Interessant: Euer Major-Label Debüt «Handwritten» ging euch einfacher von der Hand als die letzte Indie-Platte?
Ja, das ist wirklich so. Man könnte meinen, grosse Namen wie Brendan (O’Brian, Produzent, u.a. Bruce Springsteen, Pearl Jam) setzen Druck auf. Aber im Gegenteil. Der Typ ist durch und durch Rock’n’Roll. Er will keine perfekten Takes aus dem Studio, sondern auch ungeschliffene, spontane Momente. Genau unsere Meinung.
Auch auf der grossen Bühne steht der «kleine Mann» wieder im Zentrum eurer Songs: Die Arbeiterklassen und eure Heimat New Jersey, das immer im Schatten von New York steht. Ist das nach wie vor eure Welt?
Absolut. Weisst du, der «Amerikanische Traum» ist heutzutage sehr schwierig zu leben. Wer Arbeit sucht, hat grosse Probleme, welche zu finden und wer sie findet, der wird nicht automatisch reich. Mein Bruder ist High School-Lehrer und wird sich wohl nie ein Haus kaufen können. In Amerika war es früher normal, dass du mit 30 für deine Familie ein eigenes Haus kaufst. Gleichzeitig lebst du, in New Jersey und an vielen anderen Orten auch, in einer Welt mit extremen Gegensätzen. Du siehst in Jersey diese Städte voll reicher Familien, oder du guckst rüber nach New York, und man muss sich langsam aber sicher damit abfinden, dass man nie einen höheren Standard erreicht. Das ist neu für Amerika, damit müssen wir umzugehen lernen. Und ich sehe kein Licht am Ende des Tunnels. Echt nicht.
Dann schau dir doch mal deine Band an.
Wir hatten grosses Glück, Mann. Grosses Glück.
Video: The Gaslight Anthem – 45
The Gaslight Anthem live: Komplex Zürich
- 5. November 2012
- Abart presents at Komplex 457 Zürich:
- The Gaslight Anthem (USA) & Special Guests
- Türöffnung 19h, Konzertende ca. 23h
- Only swiss show!
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