Magazin durchsuchen

Neuste Blogs

30. August 2012, 11:22 Kolumnen

Scientology ist viel zu nett

students Redaktion - Aus Neugier besuchte ich die Scientology-Kirche Zürich. In den Tagen zuvor wappnete ich mich mental auf die anstehenden Gehirnwäsche-Versuche und die ausgiebigen Verhöre. Nach nur einer Stunde trat ich enttäuscht wieder den Heimweg an.

Mit dem Handy ans Ohr gedrückt, schreite ich auf und ab und lausche dem Klingeln. Dann meldet sich eine Frauenstimme: „Willkommen bei Scientology Zürich, was kann ich für sie tun?“ Sie wirkt unsicher. So gar nicht passend zu den penetrant-glücklichen Werbevideos auf der offiziellen Scientology-Webseite. Wahrscheinlich arbeitet sie erst seit kurzem dort. Ich würde mich für ihre Religion interessieren und hätte einige Fragen, erkläre ich ihr. Sie bittet mich, einen Moment Geduld zu haben und verbindet mich schliesslich mit einer Beraterin. Wir vereinbaren einen Termin.

Das Büro, das nie betreten wurde

An einem Frühlingsabend besuche ich den geschäftigen Zürcher Ausleger von Scientology, bei dem etwa 1‘200 Leute Mitglied sind. Weltweit geht man von ca. 100‘000 Mitgliedern aus, genaue Zahlen gibt es aber nicht. Die Beraterin vom vergangenen Abend, seit sechs Jahren dabei, begrüsst mich und führt mich durch das Gebäude. Von der Kantine starten wir und durchqueren einen Mediaraum, einen Kursraum, eine Bibliothek und passieren ein riesiges Organigramm an der Wand des Hauptflurs. Schliesslich führt sie mich zu Ron’s Büro.An jedem Scientology-Sitz hat L. Ron Hubbard, der Gründer, ein eigenes Büro. In Zürich ist es ein kleiner Raum gleich neben dem Haupteingang. In der Mitte steht ein massiver Holzschreibtisch, dahinter ein lederner Chefsessel, etwas vom Tisch zurückgezogen. Auf dem Schreibtisch liegt ein Blatt voller wunderschön geschwungener Zeilen in Kaligraphie-Schrift, darauf ein roter Füllfederhalter. In der Ecke steht ein komplett vergoldeter E-Meter unter einer Glaskuppel. Es sieht so aus, als ob L. Ron, wie man in innerhalb der Gemeinschaft nenne, nur schnell einen Kaffee holen gegangen wäre, bevor er seine neue Doktrin fertigschreibt. Tatsächlich sei er aber nie in Zürich gewesen. Das Büro ist mit einer Samtkordel abgesperrt.

Nichts für Leute mit Platzangst

Im OG befinden sich die Auditing-Räume. Audits sind Persönlichkeits-Tests, mit denen Scientologen die Probleme der Probanden herausfinden. In dem Moment, als wir den Korridor entlang der Auditing-Räume betreten, taucht ein Auditor auf. Ein gut trainierter Zufall. Wir gehen in eines der engen Zimmer, in dem sich neben einem Büchergestell nur ein Tisch für zwei und eine kleine Kamera an der Decke befindet. Jetzt geht’s los. Gleich werden sie anfangen, mich zu manipulieren. Aber nichts passiert. Freundlich erklärt mir der Auditor, seit 22 Jahren dabei, was ein E-Meter (Ein Gerät, das Widerstände im Körper des Probanden misst und dem Auditor hilft, „Unreinheiten“ aufzuspüren) ist und antwortet auf alle meine Fragen. Keine Umgarnungsversuche, nicht mal meine Adresse wollten sie wissen. Und auch auf meine schärfsten Fragen weiss er eine Antwort, die zugleich gar keine Ist. Scientology sei eine „Lebensschule“, die den Himmel auf Erden schaffen wolle, so der Kern unseres Gesprächs. Diese „Lebensschule“ baut darauf auf, beim Menschen vermeintliche Schwachstellen und tiefgründige Probleme aufzuspüren. Um diese in den Griff zu bekommen, bietet Scientology eine Vielzahl von Kursen an. Die einzelnen Module bauen aufeinander auf und werden mit ansteigendem Niveau immer teurer. Die Kirche steht international in der Kritik, weil Mitglieder durch das Besuchen dieser Kurse in eine psychische Abhängigkeit geraten sind. Diese Abhängigkeit hat nicht selten in finanziellem Ruin geendet. Nicht umsonst spricht man bei Scientology auch von einer „Kirche für Reiche“.

Der Besuch enttäuschte

Nach dem Gespräch werde ich nach draussen begleitet und verabschiedet. Desorientiert trete ich den Heimweg an. Dieser Besuch entspricht so gar nicht dem, was ich erwartet und aus den Erfahrungen anderer gehört habe. Kein Aufdrängen, wie gesagt, nicht mal nach der Adresse fragten sie. Ob sie wohl geahnt haben, dass ich nie ein echtes Interesse an ihrer Kirche hatte? Ein zweiter Besuch mit einem Audit würde wohl mehr hergeben, doch das kommt nicht in Frage. Zumal mir Scientology an diesem Abend auch keinen echten Anreiz gegeben hat, warum ich mich wieder melden sollte.

Autor: Marco Peter

Kommentare
Login oder Registrieren