Akte Müll, das Unessbare
Marco Peter - Zu zweit sitzen wir am Tisch und schlemmen. Das delikate Dreigangmenu schmeichelt nicht nur dem Gaumen, sondern auch der Brieftasche: wir essen gratis. Wer denkt, wir seien eingeladen worden oder hätten einen Preis gewonnen, irrt. Alles in der eigenen Küche zubereitet, mit Zutaten aus dem Müll.
Mit der Videokamera auf Tauchgang
Ein Drittel aller Lebensmittel wird in der Schweiz weggeworfen, wie ich aus dem Wissensmagazin „Einstein“ des Schweizer Fernsehens erfahren habe. Mit dieser Fülle vor Augen setzten wir uns ein Ziel: Wir wollten ein komplettes Menu nur aus weggeworfenen Lebensmitteln zaubern. Mit Videokamera und Stirnlampe gingen wir einige Tage später auf die Jagd. Im ersten Hinterhof fanden wir drei Melonen, im nächsten ein Zehnerpack Bio-Eier. Doch dann stiessen wir bei mehreren folgenden Containern auf Zäune und Vorhängeschlösser. Mülltauchen ist in der Schweiz nicht verboten, solange man nicht über Zäune klettert oder Schlösser knackt – dies würde als Hausfriedensbruch oder gar Einbruch gewertet werden. Doch trotz dieser Rückschläge fanden wir ihn noch: den „Jackpot-Container“. Er belohnte uns reich mit Nüsslisalat, Rotkohl, Kefen, Kartoffeln, noch mehr Eiern, Schnittlauch, Minze, Avocado, Peperoni, Karotten und einer Gurke. Der nächste Wocheneinkauf: überflüssig.
Ein Drei-Gänge-Menü aus dem Müll
Um 01.30 Uhr waren wir wieder zu Hause und sortierten die Ausbeute auf dem Tisch. Es war ein beeindruckender Anblick. Nach dem wohlverdienten Ausschlafen machten wir uns in der Küche an die Arbeit. Als Vorspeise gab es Salat mit Croûtons, die wir aus Brot aus dem Container einer Bäckerei gemacht hatten. Als Hauptgang folgte spanische Omelette: Das Gemüse brieten wir an, gaben Eier dazu und stellten die Bratpfanne noch kurz in den Backofen. Dazu eigenhändig gepflückter, frischer Steinpilz aus der Vorratskammer meines „Privatkochs“. Papaya und Avocado rundeten das Menu als Nachspeise ab. Und für all das haben wir keinen roten Rappen ausgegeben, wenn man von den Küchengewürzen und dem Pilz mal absieht.
Die perfekte Auswahl täuscht
In der Früchte- und Gemüseabteilung eines Supermarkts leuchtet uns die Auslage mit makellosem Äusseren entgegen. Kräftige Farben, reine Formen, Fehlerlosigkeit. Das verzieht das Bild, welches die Konsumenten von Frischwaren haben. Denn in der Natur ist nicht jede Frucht und jedes Gemüse perfekt. Auch Frische und Reife werden in den Läden nach eigenen Regeln gehandhabt. Bananen und Melonen beispielsweise werden grün geerntet und kommen unreif in die Regale. Verlieren die Produkte das einwandfreie Aussehen – Bananen und Melonen bekommen schwarze Flecken – bekommen sie erst einen 50%-Kleber und landen, falls sie auch so nicht gekauft werden, im Container. Und das, obwohl die Banane jetzt erst ihre ganze Bitterkeit verloren hat und die Melone fruchtig und süss schmeckt. Ist das „zu Verkaufen bis“-Datum abgelaufen, darf der Händler die Ware von Gesetzes wegen nicht mehr verkaufen und muss sie wegwerfen, obwohl viele dieser Produkte noch problemlos konsumierbar sind.
Das ökologische Bewusstsein festigt sich
Begriffe wie „ökologisch“, „Bio“ und, mit der Krone auf dem Haupt, „Nachhaltigkeit“ sind Schlagworte unserer Zeit. Auf den wachsenden Anspruch an Nachhaltigkeit (ja, ich sag’s jetzt trotzdem) müssen die Lebensmittelverteiler reagieren, wollen sie die Gunst der Konsumenten nicht verlieren. Das äussert sich in Anstrengungen wie beispielsweise „Generation M“ der Migros. Dabei handelt es sich um das Nachhaltigkeits-Engagement, das 30 ganz konkrete Versprechen an die Generation von Morgen beinhaltet. Spiele ich in den Frischwaren-Abteilungen den neugierigen Kunden, erhalte ich zwar Auskunft, doch nur ganz allgemein: Durch genaue Planung versuche man, den Ausschuss so klein wie möglich zu halten. Wie viel tatsächlich weggeworfen wird, dürfe man mir nicht sagen. Ein Angestellter spricht dann doch von „zwei bis drei Prozent Abschreibungen“. Ob das jetzt nur diese Abteilung oder das ganze Sortiment anbelangt und was da alles miteingerechnet wird, bleibt mir verschlossen. Aber wir scheinen auf dem richtigen Weg zu sein. Immer häufiger wird der Grünabfall aus den Läden nämlich zur Herstellung von Biogas verwendet und so sinnvoll entsorgt.
Das ganze Unterfangen haben wir mit der Videokamera begleitet:
Ein weiterer Filmtipp zum Thema: "Taste the Waste" zeigt auf eindrückliche Weise die weltweite Problematik der Wegwerfgesellschaft. Die Dokumentation beleuchtet die Hintergründe und ungeahnten Konsequenzen, welche die unzähligen weggeworfenen Lebensmittel mit sich bringen. Ab 05.09.12 in den Schweizer Kinos.
Auch ich bin auf der suche nach Interview Partner über das Thema containering Schweiz. Kennt ihr jemanden, der mir dabei weiterhelfen kann? Ich würde gern einen Mülltaucher begleiten. Ich freue mich auf eine Antwort.
Ich suche Leute die aktiv Containern oder jemanden kennen für Interviews für eine wissenschaftliche Arbeit an der Universität Bern. Bei Interesse bitte melden unter patricia.hermann@students.unibe.ch
Für unseren Rocksender toxic.fm möchte ich einen Radiobeitrag zum Thema "Mülltaucher" produzieren. In diesem Zusammenhang suche ich eine Person aus St. Gallen die aktiv "mülltaucht" und bereit ist ein Interview zu geben.
Kennt jemand jemanden der / die mithelfen würde?
Bin um jeden Hinweis dankbar!
Besten Dank im Voraus für die Rückmeldung (en) auf joana.bill@toxic.fm
Herzliche Grüsse
Joana Bill
Redaktorin Radio toxic.fm, St. Gallen
Menus in solcher Form gibt es nicht regelmässig, doch ab und an checke ich einen Hinterhof, der immer mal was hergibt Liebe Grüsse
Und, gibts diese Menüs jetzt regelmässig?