Glaube vs Wissen
Patrick Timmann - Wissenschaftler sind arrogant, Religiöse sind demütig, richtig? Falsch. Das Gegenteil ist der Fall. Munition für meine Leidensgenossen!
Es ist eine Tatsache, dass heutzutage viele Dinge erklärbar sind, die der Menschheit vor nicht allzu langer Zeit noch als völlig mysteriös erschienen. Im Laufe der Jahrhunderte haben wir herausgefunden, wie Blitz und Donner entstehen und warum das Meer im zwölfstündigen Rhythmus an- und abschwillt. Zumindest in unseren Kulturkreisen werden selbst Gläubige heute kaum mehr behaupten, diese Phänomene seien ein direkter Beweis für die Existenz einer höheren Macht. Warum aber sind die gleichen Leute fest davon überzeugt, dass sich die Mysterien von Heute – zum Beispiel der Urknall – nur durch die Existenz eines Gottes erklären lassen? Meiner Meinung nach fehlt ihnen ganz einfach die historische Perspektive. Die Geschichte zeigt, dass die wissenschaftliche Erkenntnis stets voranschreitet, während gleichzeitig Gott zur Erklärung der Welt immer unbedeutender wird. Zu glauben, wir hätten heute den letzten Stand der Erkenntnis erreicht, ist naiv. Ganz ohne Zweifel können wir morgen die Rätsel von heute genauso erklären wie Blitz und Donner, Ebbe und Flut.
Jetzt aber zum Vorwurf, dass Wissenschaftler Unerklärliches (oder einfach Unerklärtes?) stets erklären müssten. Nun, ich denke, das stimmt. Allerdings sehe ich nicht, was daran problematisch wäre, denn das Streben nach Erkenntnis ist Teil der menschlichen Natur. Es wohnt Wissenschaftlern genauso inne wie gläubigen Menschen. Gläubige wollen ebenso wenig akzeptieren, dass Vieles (noch) nicht erklärbar ist. Doch anstatt nach Lösungen zu suchen, „erklären“ sie gewisse Phänomene mit der Existenz eines Gottes. Zwar gibt es keinerlei Hinweise auf diesen Gott, er ist jedoch in den Augen des Gläubigen die einzige sinnvolle Erklärung für den Urknall und unsere Existenz. Gott sei die Antwort auf alle existenziellen Fragen und weiteres Forschen sei somit überflüssig. Der Gläubige erspinnt (bzw. übernimmt) eine völlig haltlose Theorie über die Entstehung des Universums und des Menschen und ignoriert von da an sämtliche Evidenz, die dieser Theorie widerspricht. Er beansprucht die Wahrheit, ohne Beweise zu liefern.
Ein guter Wissenschaftler dagegen weiss, wie limitiert sein eigenes Wissen ist. Darüber hinaus stellt er bestenfalls begründete Vermutungen an, ist sich aber stets bewusst, dass es sich dabei um genau das handelt: Vermutungen. Im Gegensatz zum Gläubigen stellt er seine Annahmen auf ein überprüfbares Fundament. Anstatt seine Theorie gegen Kritik zu immunisieren, definiert er eindeutige Kriterien, welche die Theorie erfüllen muss. Der Wissenschaftler ist wesentlich bescheidener und demütiger als der Gläubige. Er liefert Beweise, ohne die Wahrheit zu beanspruchen.
Der eingangs geäusserte Vorwurf an den Wissenschaftler ist letztendlich nichts anderes als ein Rückzugsgefecht des Gläubigen. Der Wissenschaftler stellt die Sichtweise des Gläubigen in Frage, da sie frei von jeglicher Evidenz ist. Der Gläubige sieht daraufhin sein von einem höheren Sinn durchdrungenes Weltbild in Gefahr. Sinnhaftigkeit fühlt sich gut an. Er mag es nicht, wenn man sein Selbstverständnis in Frage stellt. Ehrliche Selbstreflexion ist anstrengend und unbequem. Der Gläubige kann Gott zwar genauso wenig erklären wie der Wissenschaftler, er „fühlt“ jedoch, dass es eine höhere Macht gibt. In Wirklichkeit fühlt er allerdings nicht die Existenz eines Gottes, sondern er spürt das Wohlbehagen, das vom Glauben ausgeht. Gott fühlt sich real an, weil er sich gut anfühlt. Doch nur weil Gottesglaube bequem ist, wird die Existenz eines Gottes dadurch nicht wahrscheinlicher. Das ist eine unbequeme Tatsache, die für Viele schwer zu akzeptieren ist.