Schweizer Buchpreis 2012
Annekatrin Kaps - Das Theater ist an diesem Sonntagmorgen kurz vor zehn proppenvoll, Leute stehen am Rand. Ein Trio des Basler Kammerorchesters spielt festliches von Mozart.
Hans Georg Signer, der Präsident des Literaturhauses Basel erzählt von seinem Besuch im kalten Frühjahr 1991 in Riga und wie die Letten das Lesen lernten. Marianne Sax, die Präsidentin des Schweizer Buchhändler- und Verleger Verbandes spricht über die Shortlist und den Buchpreisverfall, das Publikum applaudiert höflich. Hans Ulrich Probst, welcher die Jury seit fünf Jahren leitet, kündet seinen Rücktritt an, bevor er von der Vielfalt der Deutschschweizer Literatur schwärmt. Dann erwähnt er das intensive Ringen um die Entscheidung, ein Kind vor mir ringt mit der Aufmerksamkeit.
Es folgen die Laudationes auf die einzelnen Autoren. Die Literaturkritikerin Alexandra Kedves beginnt mit Sibylle Bergs „Vielen Dank für das Leben“. Sie erzählt von Toto, dem Aussenseiter im grauen Alltag der DDR und dem Leben des Hermaphroditen im westlichen Teil Deutschlands. Die präzisen Schilderungen über das Leben in der Ostzone sind für mich als Dresdnerin nur bedingt spannend. Das pathetische Forte von Graziella Rossi, die gut, aber viel zu laut liest, macht es nicht besser.
Danach kommt eine weitere Literaturkritikerin. Christine Loetscher erzählt mit warmer Stimme in „Ausser sich“ von einem jungen Paar und dem Horror, als er einen Schlaganfall erleidet. Ihre Sehnsucht und Hoffnung, mit ihm wieder eines Tages ganz normal frühstücken zu können, ist anrührend traurig. Die Schauspielerin stellt die verzweifelten Fragen drängend, doch etwas leiser.
Der Literatur und Kulturwissenschaftler Thomas Strässle stellt Thomas Meyers „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ vor, im Publikum wird gegluckst. Emanzipation statt Integration lobt Strässle, Rossi gibt die jüdische Mamme mit Kontrollzwang.
„Das Kalb von der Gotthardspost“ des Germanisten Peter von Matt wird von Andreas Isenschmid von der NZZ am Sonntag vorgestellt und löst einen überraschenden Applaus aus. Dann wird die Schweiz seziert. Ums klassische Unbehagen des Kleinstaates geht es in der Essaysammlung. Rossi untermalt es ausdrucksstark.
Hans Ulrich Probst, auch er Literaturkritiker beim DRS schliesst mit den unvorhersehbaren Verwicklungen in „Ausser den Fugen“ von Alain Claude Sulzer (siehe auch „Buchbasel – so viel Basel war noch nie“ hier auf www.students.ch), mehrerer Leute nach dem spontanen „Das wars!“ des Pianisten Marek Ohlsberg in der Berliner Philharmonie. Frau Rossi dröhnt passend die Aufregung dazu.
Dann wird es wirklich spannend, die Aufregung steigt. Der Knabe vor mir hat die Fäuste geballt, ein Umschlag wandert von Hand zu Hand, ein Baby kräht dazwischen. Dann fallen endlich die erlösenden Worte: Peter von Matt. Der Applaus ist frenetisch. Alle Autoren kommen auf die Bühne und werden mit Blumensträussen verabschiedet, der Apero eingeläutet. Das Publikum zieht’s dahin, mich auch. Dienst ist schliesslich Dienst, in solchen Dingen kann man nicht sorgfältig genug sein.
Wie fühlt sich ein frischgebackener Preisträger? „Gut“ sagt Peter von Matt lächelnd. Ich frage noch Alain Claude Sulzer, ob er ein klein wenig enttäuscht oder erleichtert ist. Er antwortet mit „Kein Kommentar.“ Dann gehe ich in den Novemberregen hinaus. Aber wen interessiert schon das Wetter an so einem Tag?