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22. November 2012, 00:00 Kultur Movie

Kino: Tabu

Gregor Schenker - Der portugiesische Regisseur Miguel Gomes wirft in „Tabu“ vergangene und gegenwärtige Filmstile durcheinander. Dennoch ist dabei nicht einfach eine ästhetische Spielerei herausgekommen, sondern ein berührendes Drama.

Eigentlich hat die Pensionärin Pilar (Teresa Madruga) genug eigene Probleme, aber die greise Nachbarin Madame Aurora (Laura Soveral) hält sie zusätzlich auf Trab. So zum Beispiel, als die alte Dame ihr gesamtes Geld verspielt und Pilar sie mit dem Auto Casino abholen muss. Oder wenn sie ihr klagt, dass ihre schwarze Haushälterin Santa (Isabel Cardoso) sie mit Voodoo verhexe.

Die drei Frauen leben ein eher tristes Leben in Schwarzweiss, bei Regen und mit vielen kleinen Enttäuschungen. Es bricht einem fast das Herz dabei zuzusehen, wie sich Pilar darauf freut, eine polnische Studentin bei sich aufzunehmen – diese aber plötzlich lieber bei gleichaltrigen Freunden unterkommt. Santa wiederum hat unter den Launen von Madame Aurora zu leiden, während die Greisin verzweifelt ist, weil ihre Tochter sich kein Stück um sie kümmert.

Ein Wohlfühlfilm ist Tabu nicht.

Schliesslich landet die alte Frau im Spital und verlangt auf dem Krankenbett danach, vor ihrem Tod noch einmal einen gewissen Gian Luca Ventura wiederzusehen. Pilar und Santa recherchieren und treiben den alten Mann (Henrique Espirito Santo) in einem Altersheim auf.

Damit, pünktlich zur Halbzeit, springt der Film zurück in die frühen Sechszigerjahre, in die portugiesischen Kolonien Afrikas. Wir befinden uns am Fusse des Mount Tabu. Das Bild wird grobkörnig, die Bildsprache orientiert sich am Stummfilm – bis hin zum typischen Zeitraffer, der alle Bewegungen beschleunigt. Zwar gibt es eine Geräuschekulisse, doch die Dialoge bleiben unhörbar. Stattdessen erzählt der alte Ventura von der Vergangenheit, die ihn mit Aurora verbindet. Seine Erinnerungen vereinigen sich mit den Bildern der Kolonialzeit, die Pilar im Kopf hat – die zweite Hälfte von Tabu greift auf einen alten Film zurück, den sie sich ganz zu Beginn im Kino ansieht. Das Vergangene gewinnt träumerische Qualitäten.

Jedenfalls, die Sechszigerjahre: Zur damaligen Zeit ist Ventura ein unternehmungslustiger junger Mann (nun gespielt von Carloto Cotta); Aurora (Ana Moreira) ist die schwangere Ehefrau eines guten Freundes. Ein entlaufenes Krokodil führt sie mit Ventura zusammen. Während die Affäre der beiden unaufhaltsam in die Katastrophe führt, erschüttern Vorahnungen eines brutalen Bürgerkriegs die Kolonien.

Ich sagte schon, Tabu ist kein Wohlfühlfilm.

Der speziellen Filmsprache zum Trotz kann man sich dem Melodrama von Tabu schwer entziehen. Regisseur und Drehbuchautor Miguel Gomes spielt mit den Stilelementen und trägt durchaus dick auf, ohne die Gefühle seiner Figuren zu verraten. Traurig, aber schön.


Bewertung: 4 von 5


  • Titel: Tabu
  • Land: Portugal/Deutschland/Brasilien/Frankreich
  • Regie: Miguel Gomes
  • Darsteller: Teresa Madruga, Laura Soveral, Isabel Cardoso
  • Verleih: Look Now!
  • Start: 22. November 2012

Fotos von Look Now!



PS: Wer etwas zu Lachen haben möchte, der kaufe sich die aktuelle Weltwoche (oder leihe sie sich aus). Darin schreibt sich Wolfram Knorr in Rage und verreisst Tabu in Grund und Boden. Was ihn an dem (im schlimmsten Fall harmlosen) Film so furchtbar aufregt, erschliesst sich einem nicht so ganz – er verwendet mehr Zeit darauf, gegen Kritikerkollegen und Filmfestivals zu giften, als sich zu erklären. Weiss der Teufel, wer ihm ins Müsli gepisst hat.

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