Grrrimm
Annekatrin Kaps - Schneewittchen, Dornröschen oder der Froschkönig - die Märchen der Gebrüder Grimm kennt fast jedes Kind. Karen Duve erzählt die bekanntesten fünf neu, voller überraschender Verwicklungen, brüllend komisch bis bestechend realistisch.
Und es gibt noch mehr skurrile Ungereimtheiten, mit denen Karen Duve die berühmten Hausmärchen der Gebrüder Grimm gegen den Strich bürstet. Alltägliche Probleme wie ausbleibende Fördermittel der EU, Arbeitslosigkeit in Gegenden des Balkans, in welche die wenigen Touristen nur noch wegen schauriger vergangener Legenden reisen oder eine latent durchschimmernde Tristesse sind Details, mit denen die Autorin eine glaubwürdige Realität skizziert. Doch im Gegensatz zu ihren mitunter fast verstörend reellen Schilderungen der früheren Bücher (wie der essgestörten und wohlstandsverwahrlosten jungen Frau in Dies ist kein Liebeslied) gibt es in Grrrimm ganz passable Happy Ends. Zumindest für einige der Protagonisten.
In Zwergenidyll verschlägt es Schneewittchen zu den sieben Zwergen, doch der grösste von ihnen ist ein intriganter Fiesling. Dass er trotzdem noch kleiner als die geflohene Prinzessin ist und bei ihr nicht landen kann, fuchst ihn gewaltig. Natürlich lässt er keine Gelegenheit aus, ihr ohne die anderen näher zu kommen. Mit vorgetäuschten Bauchschmerzen kann er sich vor der mühseligen Bergarbeit drücken. Schneewittchen trifft er gerade beim Fensterputzen an. „Sie steht im Sonnenlicht, Staubpartikel flirren um sie herum, und ihr neuer roter Rock, für den wir alle zusammengelegt haben, rutscht ihr beim Putzen fast bis zum Knie hoch, und ihr Hintern wippt im Takt der Wischbewegungen. Ich merke gleich, die legt es darauf an.“
Die innere Stimme dieses Ich-Erzählers verhandelt gekonnt nebenbei das Rollenverständnis der Originalvorlage, das sich nicht viel von der Nacherzählung unterscheidet. „Wenn du uns den Haushalt führen, für uns kochen und waschen willst, dann kannst du bei uns bleiben, und es soll dir an nichts fehlen.“ lautet die anfängliche Option. Mit einer entscheidenden Einlassung (welche mit dem sozialen Abstieg der Königstochter und den unverhohlen zweideutigen Erwartungen der Zwerge zu tun hat), ist es aber auch das Beste, was ihr am Ende der Erzählung bleibt. Zumindest, wenn es nach dem Fiesling ginge, der inzwischen das Sagen hat.
Die lakonische Sprache, der schwarze Humor und die geschliffen klaren Dialoge machen Grrrimm“ zu einem grandioses Lesevergnügen. Allerdings mit Suchtgefahr – mehr davon bitte!
Karen Duve, Grrrimm, Galiani Verlag Berlin, CHF 27,50