Buch: Der Rote Norden
Raphaël Rück - "Wenn das fertig ist, fahre ich weg." Franziska Hänys spannendes Debüt zeigt, dass es nie zu spät ist, aus dem eigenen Leben auszubrechen. Der Roman vereint gekonnt die verschiedensten Genres vom klassischen Märchen zur Fantasystory und ist im Grunde vor allem eines – ein moderner Roadmovie.
Da erreicht sie ein Anruf von Martin. Ihr Bruder bittet sie, in den „Roten Norden“ zu kommen und ihm zu helfen. Er ist ziemlich insistierend. Doch ist ihr Bruder nicht tot? Hat sie nicht selber seine Todesanzeige veröffentlicht? Wie auch immer, es ist für Sophie etwas ganz Neues, dass jemand sie braucht, sie um Hilfe bittet und zwar sofort. Daher macht sie sich auf nach Imalo, in den Roten Norden – nur um sich dort ihrer ganz eigenen Nemesis zu stellen...
Es gibt in unserer westlichen Literatur im Jahre 2013 noch immer keine Romane, die von „middleaged women“ erzählen. Frauen sind jung und hübsch; sie kommen später ins Stadium der berufstätigen, dauergestressten und sexuell frustrierten Mütter. Und irgendwann mutieren sie zu weisen und verständnisvollen Grossmüttern. Vor lebenserfahrenen Frauen hat man noch immer etwas Angst, oder nur sehr viel Respekt? Sie könnten – wie Sophie – plötzlich eigene Ideen und Wünsche entwickeln. Sie könnten davonlaufen, und wo käme man da hin?!
Franziska Häny schildert in ihrem Debüt den Ausbruch einer 50 jährigen Frau aus ihrem Einfamilienhaus-Alltag; Sophie rennt nicht davon, weil sie einen „zweiten Herbst“ erlebt und sich verliebt. Sie merkt nur, dass sie für sich eigentlich etwas anderes will und sich das Leben anders vorgestellt hat. Das ist nicht nur originell, sondern vor allem spannend – denn die Autorin entführt Sophie (und damit den Leser) in eine andere, „rote“ Welt und stellt nebenbei ein paar grundsätzliche Fragen: Kann man Verpasstes nachholen? Kann man Fehler wieder gut machen? Lässt die Vergangenheit einen nie los?
Dass Der Rote Norden dennoch ein erfreulich leichtes und mitreissendes Buch ist, liegt an Sophies No-Nonsense Humor und den eindrücklichen Bildern, die Häny zeichnet: Den riesigen roten Wäldern, den unendlich weiten Strassen und der Dunkelheit. Man wähnt sich in einem europäischen Roadmovie, wo man mit der Heldin mitfiebert und erst noch Spass hat.