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3. April 2013, 00:29 Kultur

Buch: Der Rote Norden

Raphaël Rück - "Wenn das fertig ist, fahre ich weg." Franziska Hänys spannendes Debüt zeigt, dass es nie zu spät ist, aus dem eigenen Leben auszubrechen. Der Roman vereint gekonnt die verschiedensten Genres vom klassischen Märchen zur Fantasystory und ist im Grunde vor allem eines – ein moderner Roadmovie.

Der Anlass ist denkbar banal: Die Katze hat wieder einmal gekotzt; aber die gute Hausfrau Sophie hat es nicht bemerkt und jetzt ist die Kotze eingetrocknet und das Lieblingsbild, das einen springenden Delphine zeigt, kaputt. Natürlich kann man das Bild ersetzen, man kann fast alles ersetzen. Aber irgendetwas ist entzwei. Und jetzt sieht sich Sophie („zusammengeknüllt, wie damals als Fötus”) plötzlich in ihrem eigenen Wohnzimmer, wo sie die letzten, endlos scheinenden 30 Jahre mit Kaspar verbracht hat. Sie sieht diese dicke und weinende Frau. Sie sieht sich selber. Und sie will hier raus, einfach nur weg. Sie steht auf und geht. Da ist ein Auto vor der Tür, ihr Auto. Üblicherweise fährt sie nur zum Einkaufen und ins Gartencenter. Aber der Tank ist voll. Sie hat Zeit. Sie ist ja plötzlich frei.

Da erreicht sie ein Anruf von Martin. Ihr Bruder bittet sie, in den „Roten Norden“ zu kommen und ihm zu helfen. Er ist ziemlich insistierend. Doch ist ihr Bruder nicht tot? Hat sie nicht selber seine Todesanzeige veröffentlicht? Wie auch immer, es ist für Sophie etwas ganz Neues, dass jemand sie braucht, sie um Hilfe bittet und zwar sofort. Daher macht sie sich auf nach Imalo, in den Roten Norden – nur um sich dort ihrer ganz eigenen Nemesis zu stellen...

Es gibt in unserer westlichen Literatur im Jahre 2013 noch immer keine Romane, die von „middleaged women“ erzählen. Frauen sind jung und hübsch; sie kommen später ins Stadium der berufstätigen, dauergestressten und sexuell frustrierten Mütter. Und irgendwann mutieren sie zu weisen und verständnisvollen Grossmüttern. Vor lebenserfahrenen Frauen hat man noch immer etwas Angst, oder nur sehr viel Respekt? Sie könnten – wie Sophie – plötzlich eigene Ideen und Wünsche entwickeln. Sie könnten davonlaufen, und wo käme man da hin?!

Franziska Häny schildert in ihrem Debüt den Ausbruch einer 50 jährigen Frau aus ihrem Einfamilienhaus-Alltag; Sophie rennt nicht davon, weil sie einen „zweiten Herbst“ erlebt und sich verliebt. Sie merkt nur, dass sie für sich eigentlich etwas anderes will und sich das Leben anders vorgestellt hat. Das ist nicht nur originell, sondern vor allem spannend – denn die Autorin entführt Sophie (und damit den Leser) in eine andere, „rote“ Welt und stellt nebenbei ein paar grundsätzliche Fragen: Kann man Verpasstes nachholen? Kann man Fehler wieder gut machen? Lässt die Vergangenheit einen nie los?

Dass Der Rote Norden dennoch ein erfreulich leichtes und mitreissendes Buch ist, liegt an Sophies No-Nonsense Humor und den eindrücklichen Bildern, die Häny zeichnet: Den riesigen roten Wäldern, den unendlich weiten Strassen und der Dunkelheit. Man wähnt sich in einem europäischen Roadmovie, wo man mit der Heldin mitfiebert und erst noch Spass hat.

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