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1. Mai 2007, 00:00 Interview

Manic Street Preachers

Silvan Gertsch - Vor zwölf Jahren verschwand ihr Gitarrist spurlos. Danach begann der grosse Feldzug der Manic Street Preachers. Sänger James Dean Bradfield äussert sich im Interview zum neuen Album und zur 'Ikone' Richey. Hi James. Wie gehts dir?James Dean Bradfield: Nicht allzu schlecht. Es ...

Vor zwölf Jahren verschwand ihr Gitarrist spurlos. Danach begann der grosse Feldzug der Manic Street Preachers. Sänger James Dean Bradfield äussert sich im Interview zum neuen Album und zur 'Ikone' Richey.

Hi James. Wie gehts dir?

James Dean Bradfield: Nicht allzu schlecht. Es ist schon nicht mehr so früh am morgen. Mein Hirn funktioniert also.

Lass uns das testen mit einer Frage zum neuen Manics Album „Sending Away the Tigers“. Ihr klingt wieder härter und rockiger – wie ein Schritt zurück zu den Wurzeln.

Als wir die Songs geschrieben und das Album aufgenommen haben, realisierten wir, dass wir in den letzten Jahren vom Weg abgekommen sind. Wir haben zu fest über die Musik nachgedacht. Das merkte man schon auf unserem letzten Album „Lifeblood“. Wir mögen es immer noch und wir arbeiteten auch gerne daran. Aber wir haben damals irgendwie den Instinkt verloren. Fürs neue Album schrieben wir die Songs, dann gingen wir ins Studio und wenn sie nicht innerhalb von fünf Minuten funktionierten, hörten wir auf und begannen mit einem anderen Song. Wir hörten auf, die Musik in unseren Köpfen zu analysieren.

Wie wichtig für „Sending Away the Tigers“ waren die Soloalben von dir und Nicky?

Ich begriff erst, wie wichtig diese beiden Alben waren, als wir „Sending Away the Tigers“ aufnahmen. Nicky und ich genossen unsere Soloprojekte. Aber als wir zu den Manics zurückkehrten, bemerkten wir, dass wir die Manic-Street-Preachers-Umwelt brauchen. Wir brauchen eine Art Konflikt und Spannung, um unsere beste Arbeit abzuliefern. In den letzten Jahren versuchten wir immer, Konflikten im Studio aus dem Weg zu gehen. Das stellte sich als ein Fehler heraus. Wenn drei Männer wie Nicky, Sean und ich, zusammen sind, die sich so gut kennen und so viele Geschichten zusammen erlebt haben, darf man Konflikte haben, weil man sie auch wieder lösen kann. Das Soloprojekt hat also auf eine Art und Weise unsere Köpfe frei gemacht.

Hätte das neue Manics-Album anders geklungen, wenn ihr die Soloprojekte nicht verfolgt hättet?

Ich denke nicht, aber es hätte länger gedauert, bis wir ans Ziel gekommen wären.

Nicky schrieb in der Biografie, dass ihr mit dem neuen Album in die Zeit zurückkehren wolltet, als ihr 18 oder 21 Jahre alt gewesen seid. Erinnerst du dich an deine Zeit im Jahre 1987?

(lacht) Ich erinnere mich! Ich muss zugeben, das ist eine gefährliche Sache, wenn man wie eine Person klingen will, die man einmal war, weil man eine falsche Illusion kreieren könnte. Aber andererseits erinnern wir uns ja auch noch, wie jeder einzelne von uns war, als er fünf Jahre alt war. Wir kennen uns schon unser ganzes Leben lang. Deshalb war es einfach, dorthin zurückzugehen, weil wir so viele gemeinsame Referenzen hatten. Die Schule, in die wir gingen, die Mädchen, hinter denen wir her waren, die Schul-Discos und Fussballspiele... Wir haben so viel zusammen erlebt. Ich erinnere mich sogar noch an den ersten Song, den Nicky und ich gemeinsam schrieben.

Kannst du diese Geschichte erzählen?

(lacht) Es ist mir etwas peinlich. Wir waren 15 Jahre alt und gingen noch zur Schule. Es war beim Fussballfeld. Ich erinnere mich, dass Nicky die Treppe runter lief und ich hinauf. Am Tag vorher sagte er mir, dass er mir einen Text geben würde. Ich erinnere mich, wie er die Treppe rauf lief, sehr schüchtern, mir die Lyrics in die Hand drückte und weglief. Der Song hiess 'Aftermath'. Es ging hauptsächlich um Margaret Thatcher und darum, dass wir es hassten, was sie unserem Land angetan hat.

Wie haben sich deine Weltansicht oder deine Werte, die wichtig sind in deinem Leben, seit dieser Zeit geändert?

Alle Menschen verändern sich – auch solche, die in einer Band spielen. Wir haben immer noch die gleiche politische Sichtweise wie früher. Aber wenn man jünger ist, dann denkt man, dass alles, was man sagt, richtig sei. Man fühlt sich unzerstörbar. Man hört nicht auf die Meinung der anderen, sondern nur auf sich selbst. Man will die Welt zerstören und sie dann mit den eigenen Werten und dem eigenen Glauben wieder aufbauen. Man ist viel nihilistischer, wenn man jung ist. Wenn man älter ist, verfolgt man zwar noch die gleichen Ziele, aber man wird konstruktiver. Viele Leute fragten uns, ob wir immer noch an Sozialismus glauben. Ob wir als erfolgreiche Band, die viel Geld verdient, nicht in einen Interessenskonflikt geraten. Aber die einfache Antwort dazu ist, dass ich immer noch an hohe Steuern glaube. Als ich kein Geld hatte, glaubte ich an hohe Steuern und jetzt, wo ich Geld habe, glaube ich immer noch daran. Man sollte die Reichen mit hohen Steuern belasten. Leute wie ich sollten hohe Steuern zahlen müssen.

Die Frage mag etwas abgedroschen klingen, aber bei einer politischen Band bietet sie sich an: Kann die Musik die Welt verändern?

Die Menschen machen oft den Fehler, dass sie denken, die Musik sei daran gescheitert, die Welt zu ändern. Man sollte in diesem Zusammenhang kein so hohes Ziel setzen. Man muss die Meinungen oder Haltungen von einzelnen Leuten ändern wollen, das reicht. Als ich jung war, war ich ein Fan von „The Clash“. Die veränderten mich. Sie änderten die Art und Weise, wie ich aussehen wollte und wie ich mich benehmen wollte. Sie änderten auch, was ich in meinem Leben tun wollte und sie änderten mich. Wenn ich nicht „The Clash“ gehört hätte, wäre ich wahrscheinlich eine andere Person. Wenn man also nur einzelne Personen und die Art und Weise, wie sie ihre Leben führen, ändern kann, dann ist das genug. Ich denke aber nicht, dass ich auf jemanden den gleichen Effekt habe, den „The Clash“ auf mich hatten.

Die Manics zusammen mit Nina Persson von den Cardigans.

Gibt es aber nie so etwas wie Resignation in einer Band, die sich mit aktuellen und politischen Themen auseinandersetzt? Es gibt immer noch Kriege, Politiker halten ihre Versprechen nicht,...

Es gibt eine gewisse Art von Pessimismus, das schon. Aber man verliert den Optimismus nur, wenn man zu viel von der Welt erwartet. Insbesondere wir in England sind in einem endlosen Kreis von schlechten Nachrichten gefangen. Wenn etwas positives passiert, dann ist das nur für einen Tag in den Zeitungen und am nächsten Tag kehrt der Irak-Krieg wieder zurück auf die Zeitungsfront. Das deprimiert manchmal schon sehr. Aber die Leute erwarten zu viel von der Politik. Wir kriegen die Art von Politik, die wir verdienen. In England leben wir momentan in einem sehr dekadenten Zeitalter. Ist die Bevölkerung faul und dekadent, dann kriegt sie auch diese Politik. Es ist an uns: Wenn wir einen neuen Präsidenten wollen, der nicht die gleichen Fehler begeht, wie Tony Blair, dann müssen wir wählen gehen. So einfach ist das.

Was bedeutet dir die Musik? Ist es für dich eine Droge oder eine Therapie?

Es ist beides. Als ich jung war, war ich sehr oft frustriert. Ich brauchte ein Ventil, um diese Frustrationen loszuwerden. Die Musik und in einer Band zu sein, das war dieses Ventil für mich. Ich spürte aber auch, dass ich physisch beschäftigt sein wollte. Ich wollte den Schmerz fühlen, etwas zu tun. Und die Musik liess mich dies fühlen. Es war wie eine Droge. Das ist wahrscheinlich auch die beste Art, zu erklären, was es bedeutet, bei den Manics zu sein. Es ist für mich wie eine Droge und wie eine Therapie.

Ihr habt lange Zeit nicht über das Verschwinden von eurem Gitarristen gesprochen...

...it’s okay, go ahead!

Die Manics mit ihrem verschollenen Gitarristen Richey James Edwards (2.v.l.).

Wie hast du Richey in Erinnerung? Was für eine Person war er?

Ich habe ihn als viel interessantere Person in Erinnerung, als die er jetzt dargestellt wird. Es ist manchmal frustrierend, zu sehen, wie ihn Leute als eine Ikone hinstellen und wie sie ihn als perfekt ansehen. Er war eine sehr schwierige Person. Aber er konnte sich nie belügen. Und er konnte die Welt nie belügen. Er stellte sich ständig in Frage. Deshalb fand er keine Ruhe und keinen Frieden.

Ihr verarbeitet die gemeinsame Zeit mit Richey ja auch auf eurer aktuellen Single „Your Love Is Not Enough“ zusammen mit Nina Persson von den Cardigans.

Nicky erzählte mir, dass er in seinem Kopf eine Diskussion zwischen ihm und Richey hatte. Er konnte diesen Dialog einfach nicht vergessen. Er versuchte diese Diskussion in Form eines Textes zu behandeln. Es wurde natürlich ein Duett, weil sich ja auch zwei Personen unterhalten. Nicky sagte, dass es eine weibliche und eine männliche Stimme vorgesehen habe. Und er wurde den Gedanken nicht los, Nina Persson den weiblichen Part singen zu lassen. Es hörte sich wie eine verrückte Idee an. Wir fragten Nina aber an und sie schockierte uns, indem sie zusagte.

Zum Schluss: Ihr spielt diesen Sommer am Greenfield Festival in Interlaken. Was für eine Show dürfen wir erwarten? Spielt ihr auch ältere Songs?

Wir bauen ein paar ältere Songs ein, die wir schon lange nicht mehr gespielt haben. Einige Leute, die bei unseren Konzerten in der vordersten Reihe stehen, wünschen sich Songs, die wir schon lange nicht mehr gespielt haben. Wir wollen ihnen also einen Gefallen tun. Hinzu kommen bekanntere ältere und neuere Sachen von uns. Aber lass dich überraschen!

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