Neuland @ Zurich Film Festival
Claudia Maag - Sie kommen aus Afghanistan, Kamerun, Serbien oder Venezuela und landen alle im Klassenzimmer der Integrationsklasse in Basel. Innerhalb von 24 Monaten müssen sie sich in der Fremde einleben und beruflich Fuss fassen. Eine Doku über Träume und Desillusionierung.
Die Geschwister Nazlije und Ismail verliessen Serbien nach dem Tod ihrer Mutter und kamen bei Verwandten unter. Zusammen mit anderen Jugendlichen haben sie in der Integrationsklasse in Basel zwei Jahre Zeit, unsere Sprache zu lernen und unsere Kultur kennenzulernen. Noch sind sie abgeschirmt von der Gesellschaft.
Pflichtschulstoff: Verfassen eines Lebenslaufs. Man überlege einen Moment, was im eigenen (schweizerischen) steht. In dieser Klasse wird beispielsweise «Krieg» oder «Tod der Mutter» mit Kreide an die Wandtafel geschrieben. Als wäre die Teenagerzeit nicht aufwühlend genug, stehen die Jugendlichen von den Erwartungen ihrer Angehörigen unter Druck.
Ehsanullahs Kopf dreht Karussell, wie er binnen zweier Jahre die geliehenen 10'000 Dollar zurückzahlen soll. Scheitert er, werde der Kreditgeber den Eltern das Land – und somit deren Existenz – wegnehmen. Wie sehr die Verantwortung auf ihm lastet, äussert sich in seinem selbstverletzenden Verhalten, als er zu Beginn des Films einen negativen Aufenthaltsentscheid erhält.
Nazlije hingegen hat kaum Zeit für sich, sie übernimmt nach Schulschluss die Putzarbeit ihrer schwangeren Stiefmutter und macht ihrem Bruder – nach dessen Training – noch einen Tee.
Lehrer Christian Zingg fragt seine Schüler nach ihren Träumen. Manche haben keine. Andere müssen rasch realisieren, dass Traum und Realität weit auseinanderklaffen. Wie Ismail, der wohl nicht Automechaniker wird oder die fleissige Nazlije, die Grundschullehrerin werden möchte und der Zingg bei aller Aufmunterung sagen muss, dass er sie in dem Beruf mit der momentanen Schulbildung nicht sieht. Doch der Lehrer wird nicht müde, seine Schützlinge zu ermutigen: «Natürlich sind Ihre Chancen schlecht, sind Sie der FC Basel.» Doch auch der hat bekanntlich mal Manchester United ins Aus geschossen. Die Uhr tickt und gegen Ende der Ausbildung wird klar, dass nicht alle eine Lehrstelle finden werden.
Einfühlsam und beobachtend folgt die Kamera den Schülerinnen und Schülern durch die Schulzeit. Die Dokumentation von Regisseurin Anna Thommen ist ihre Masterarbeit of Arts in Film an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Ihr Werk erhielt dieses Jahr den deutschen Nachwuchspreis «FIRST STEPS» in Berlin. Thommen zeigt ihre Erkenntnisse von zwei Jahren in 95 Minuten einfühlsam und nicht beschönigend und es gelingt ihr, die verschiedenen Geschichten zu einem stringenten Ganzen zu verweben. Junge Migranten kämpfen mit ihrem schlechten Ruf. Durch «Neuland» öffnet sich uns ein Fenster und gibt Einblicke in ein Leben, das wir so nicht kennen. Im Anschluss der Vorführung erwähnte Zingg, die grösste Angst der Schülerinnen und Schüler sei gewesen, dass man sie ihres schlechten Deutschs wegen auslache. Diese erwies sich als unbegründet.
Weitere Spielzeiten:
Donnerstag, 3.10.13, 15.45 Uhr, Corso 2 (in Anwesenheit von Anna Thommen (Regie))
Neuland läuft als Dokumentarfilm DE, AT, CH / Wettbewerb