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18. November 2013, 19:31 Kultur students.ch

Es zieht mich hier her, wie die Möwe an den See.

Annekatrin Kaps - Tschechow ist immer wieder schön. Die latente Schwermut, die ewigen Fantasien vom Aufbruch und die flirrenden Sommer voller Mussestunden möchte man jedes Mal aufs Neue sehen. Selten gelingt es Tschechows Stimme einzufangen – das Theater Basel macht es mit der „Möwe“ vor.

Dunkel ist es, irgendwo schlägt ein Hund an. Bellt und bellt und hört nicht wieder auf. Es wird langsam hell. Mi dem Licht sehen wir ein buntes Büchergestell, eine bauchige Badewanne, einen gedeckten Teetisch, eine Gartenbank und weitere Möbelstücke. Alle mehr oder weniger hinter einem rostbraunen Baugerüst mit Treppe verborgen.

Hier leben Kostja und sein Onkel Pjotr, Mascha mit ihrer Familie, Nina mit der Ihrigen weiter weg. Zur geplanten Premiere von Kostjas neuem Stück muss sie sich wegschleichen. Auch Kostja hat Probleme, er reibt sich an seiner eitlen Mutter, Irina ist eine gefeierte Schauspielerin. Er fürchtet ihre unbarmherzige Kritik an seinem Stück. Nina dagegen befürchtet, dass ihr Spiel Irinas Geliebten Boris, einem bekannten Schriftsteller, missfallen könnte. Der Doktor stellt zu allem die präzisen seelischen Diagnosen.

Mascha ist so vermögend wie unglücklich verliebt. Der Dorflehrer Semjon dagegen nur letzteres, er ist bettelarm. Kostja will sich seiner Mutter beweisen. Irina würde noch mit jeder Rose konkurrieren. Boris will nur angeln und fürchtet Vergleiche mit Tolstoi. Nina zögert noch, auszuziehen, um die Welt zu entdecken. Pjotr dagegen langweilt sich und würde liebend gern zurück in die Stadt. Schamrajew versteht die Städter nicht, die zur Erntezeit Theater spielen oder Pferde für die Ausflüge in die Stadt wollen. Seine Frau Paulina ist angewidert von ihm und eifersüchtig in den Doktor verliebt. Jewgenij findet sich zu alt, um mit seiner Geliebten durchzubrennen und wundert sich.

Wie nervös alle sind! Wie nervös alle sind!

Es dreht sich das Karussell, es dreht sich rasant. Jeder begehrt haarscharf an jedem vorbei, sucht seinen Weg in die Kunst. Oder einen Weg, zu leben und vor allem zu lieben. Das funktioniert nicht immer, manchmal läuft es langsam, dann wieder rasend schnell.

Dazwischen gibt es ein entzückendes Schattenspiel zum Umbau. Während Möbel verrückt werden, sehen wir ein Paar tanzen, einen Angler, Spaziergänger, eine gynäkologische Konsultation und ein Liebespaar auf einer Bank. Dazu spielt Nitzan Bartana schmelzend und sinnlich Geige. Ewig könnte man ihr und dem Pianisten Klaus von Heydenaber zuhören, wenn sie Beschwingtheit und Dramatik illustrieren. Später wird es beim Umbau einen Schuss geben. Rot wie Blut wird sich der Vorhang färben, bis es allmählich verläuft, nur das Weiss des Vorhangs, die schwarzen Figuren und die Musik bleiben.

Auch die eleganten Kostüme – Irina trägt erst eine weisse, dann eine schwarze Bundfaltenhose, mit der alles gesagt ist, wer hier die Hosen anhat, Nina zu ihren rötlichblonden Haaren ein petrolfarbenes Chiffonkleidchen – von Fruzine Nagy sind wunderschön anzuschauen.

Aber es sind die kleinen Momente, welche die Inszenierung von Victor Bodō so gross machen. Wenn Mascha (Inga Eickemeier spielt sie erfrischend nüchtern) glucksend beschickert mit Boris spricht. Oder Nina (Joanna Kapsch verkörpert mimisch das Naive und Verstörte bestechend gut) durchs Haus irrlichtert, den Wahnsinn und die Schwermut in den Augen. Pjotr (Vincent Leitersdorf ist einfach phantastisch)gibt den liebenswert zerstreut Abwesenden charmant. Auch die anderen Schauspieler überzeugen mit ihrem präzisen Spiel– eine gelungene, runde Inszenierung.

Wie`s ausgeht? Soviel sei verraten - der Schuss beim Schattenspiel ist nicht das Ende. Nicht nur für den Rest sollte man aber selbst hingehen.

Alle Infos unter www.theater-basel.ch

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