Enjoy The Silence oder technisches Problem?
Patrick Holenstein - Gestern haben Depeche Mode das erste von zwei Konzerten im Zürcher Hallenstadion gespielt. Wie gut sind die 80er-Heroes heute noch?
Knapp eineinhalb Stunden vorher betritt die Band, die das Label Kult wirklich verdient und die inzwischen locker drei bis vier Generationen auf Konzerten versammelt, die Bühne und legt mit „Welcome To My World“ gewohnt rhythmisch dicht und düster los. Sänger Dave Gahan trägt schwarze Kleidung und wird einen Song später kontrastierend in ein dämonisches Rot getaucht. Die Könige des melancholisch-düsteren Rocks wirken von Anfang an sehr frisch. Besonders Dave Gahans Stimme ist stark, gefestigt und charismatisch. Mit "Walking In My Shoes" ist das Konzert so richtig lanciert und die Leute toben, Hände segeln in die Luft und ein Chor aus den Menschen im fast ausverkauften Stadion singt zusammen mit Gahan. „Precious" unterstreicht im übertragenen Sinn direkt danach die Wertschätzung der Band gegenüber dem Publikum, denn die Musiker sind bestens aufgelegt und zeigen sich begeisternd wie schon lange nicht mehr. Depeche Mode schätzen ihr Publikum sicher, denn Dave singt mit den Leuten, tanzt vital auf der Bühne. Da steht ein Mann, der vor Jahren beinahe an Drogen gestorben wäre und heute gesund und munter scheint und den das Publikum förmlich trägt. Und sie sind alle da. Der Fan, der die Band seit Ewigkeiten, seit der ersten Stunde quasi, begleitet, aber beim rhythmischen Gezappel kaum im Takt bleiben kann. Die blutjungen Frauen, die sich nach jedem Song beseelt in die Arme fallen, aber auch der Genießer, der zusammen mit Ehefrau und Sohn genüsslich ins emotionalen Bad eintaucht, dass Depeche Mode an diesem Abends einlassen. Wenn man am diesem Freitag in die Gesichter schaut, strahlen sie alle, die Menschen feiern Klassiker wie "Policy Of Truth" und haben mit "Just Can’t Get Enough" eine gute zeit.
Um auf die Eingangsfrage zurück zu kommen: Depeche Mode sind noch immer gut. Vielleicht sogar wie ein feiner Rotwein, sie werden mit der Zeit besser. Der Sound ist treibend und wuchtig, Dave Gahan singt sich in Ekstase und Andrew Fletscher liefert dazu Soundfragmente aus dem Keyboard. Live wird das Trio von einem Schlagzeuger und einem zweiten Keyboarder unterstützt. Sogar der fix eingeplante Gesang von Mastermind und Hauptsongschreiber Martin Gore klingt annehmbar. Das braucht er, das gehört halt dazu. Natürlich sind Konzerte immer subjektiv. Für mich ist es das sechste Konzert von Depeche Mode und gleichzeitig auch das beste. Irgendwie gelingt es der Band, sich auf der aktuellen Tour zu steigern, deutlich mehr zu variieren und neues Blut in das Konstrukt Depeche Mode zu bringen. Neu erfinden kann man zwar nicht sagen, aber für die Zukunft legt dieses Konzert die Erwartungen hoch.
Bildquelle: Sony Music / DM live in Wien by Markus Nass