Interview mit MILKY CHANCE
Dominique Rais - Tanzbare Melancholie? – Milky Chance haben vergangenen Dienstag in der ausverkauften Maag Halle gezeigt, wie’s geht und mit ihrem neuartigen Sound vor Tausenden begeistert. Wir haben Milky Chance kurz vor dem Konzert zum Interview getroffen.
Ihr seid in letzter Zeit recht viel in der Schweiz unterwegs. Ihr wart erst grad im Dezember in Zürich. Heute spielt ihr wieder hier. In knapp zwei Wochen an den Swiss Music Awards und im Sommer dann am OpenAir St.Gallen. Euch scheint die Schweiz zu gefallen, oder?
(beide lachen)
Philipp: Die Schweiz ist cool.
Clemens: Ja, eh. Die Schweizer sind voll lässig – von der Mentalität her.
Philipp: Genau, also von den Leuten, die wir halt kennengelernt haben. (lacht)
Was haben die Schweizer denn für eine Mentalität im Gegensatz zu den Deutschen?
Philipp: Gelassen und irgendwie fröhlicher.
Clemens: Ja. Fröhlicher.
Philipp: In Deutschland hat man oft dieses Triste irgendwie.
Clemens: Die Schweizer sind irgendwie lustiger drauf. Die schnacken mal eher so. Angenehm einfach. Relaxed.
Ihr habt einige Festivals für den Sommer auf dem Plan. Seid ihr privat denn auch OpenAir-Gänger?
Philipp: Ja, Konzerte draussen sind oft mega cool.
Clemens: Festivals sind schon geil und draussen zelten und was alles dazugehört. (beide lachen)
Ihr habt im Januar in London gespielt. Wie war das Konzert?
Philipp: War krass. Echt cool.
Clemens: Aber es war halt kein Milky-Chance-Konzert, sondern ein kleiner Auftritt, um mal zu kucken. Da waren auch noch ganz viele andere Bands.
Philipp: Genau, einfach mal ein bisschen ausprobieren. Der richtige Start in England ist dann im Mai.
Clemens: Dann spielen wir am GREAT ESCAPE FESTIVAL.
Wo hattet ihr bisher euer aussergewöhnlichstes Konzert?
Philipp: Boah, das ist schwer zu sagen. Alle Konzerte haben Kleinigkeiten, die sie besonders machen. Aber es gibt jetzt nicht so ein Konzert, das völlig raussticht.
Clemens: In Dresden war es voll geil. In Deutschland im Osten geht es voll ab.
Philpp musste dann leider gehen, weil er einen Termin beim Physiotherapeuten hatte. Da er es in der Nacht davor irgendwie geschafft hatte, sich im Schlaf den Arm zu verdrehen.
Im Sommer sind es 2 Jahre seit eurem Abitur. Ihr habt euch damals einen VW-Bus gekauft und wolltet auf Reisen gehen. Aber irgendwie kam dann alles anders. Was ist passiert?
Ja das hat sich halt so ergeben. Noch während den Abi-Prüfungen, ich glaub kurz vor den mündlichen, hab ich das erste Mal ein Lied hochgeladen bei Youtube. „Flashed Junk Mind“. Einfach so, aus Spass. Und Ende des Sommers war es dann so, dass es immer mehr Klicks bekam und dann hatten wir irgendwann die Idee: „Lass doch ein Label machen. Und mal so ausprobieren, vielleicht geht da ja was. Vielleicht können wir uns musiktechnisch etablieren.“ (lacht) Und dann war es so. Es kamen immer mehr Leute, die unsere Musik hören wollten.
Wir waren drei Kumpels und hatten dann die Idee, das Label zu gründen. Wir haben noch zwei Leute aus Kassel kennengelernt, die aber älter sind. Die hatten damals die gleiche Idee und so haben wir uns eben zusammengetan. Die Musik und das Label-Ding kamen dann halt viel mehr in den Vordergrund.
Erst wollten wir ein halbes Jahr reisen und dann haben wir gesagt "ok, gehen wir nur noch ein Monat auf Reisen, weil wir jetzt nicht so viel weg sein können" und dann wurde der Trip aber ganz abgeblasen. (lacht)
Wo wolltet ihr denn eigentlich hinreisen?
Durch Europa. Erst Côte d’Azur, unten an der Küste entlang und dann ne Schlaufe Richtung Osten.
Da wurde ja dann Nichts draus. Ihr habt den VW-Bus verkauft und was ist dann passiert?
Dann kam die erste kleine Tour. Also davor haben wir noch das Album aufgenommen. Zuhause bei mir im Zimmer. Und auch selber gemixt. Dann haben wir das Album in einer ganz kleinen Auflage pressen lassen. Danach kam eine kleine Promo-Tour durch Deutschland, bei der wir in kleinen 300er-Läden gespielt haben. Die Konzerte waren aber alle ausverkauft. Wir haben gemerkt: „Okay. Krass.“ Dann ging es halt so weiter. Wir haben das Album erst nur übers Internet und Facebook veröffentlicht und dann zuhause in Kassel so über die Ladentheke. Danach gab es ein Release-Konzert und dann wurde Milky Chance eben immer grösser. So nach und nach.
Und wie ist das gekommen, dass ihr „Milky Chance“ gegründet habt?
Am Anfang war ich alleine. Also ich schreib ja die Lieder alleine. Dann war halt irgendwann die Frage, wie wir das live machen sollen. Und dann war Philipp da und dann dachten wir uns okay machen wir es zu zweit, weil allein ist halt schwieriger. Und weil Philipp die ganze Studiotechnik und das Knowhow hatte, haben wir das Album dann zusammen aufgenommen und gemixt. Und jetzt tingeln wir zur Zeit rum.
Was hat sich seit eurem Erfolg verändert?
Ääähmmm. Jaaaaa. Najaaa. Puuuh. Eigentlich nicht so viel, aber auch viel. Einmal, dass man halt jetzt Musiker ist und viel unterwegs ist und den ganzen Rummel hat. Aber wenn man in Kassel ist, hat man immer noch die gleichen Freunde. Da ist immer noch die alte Sippe. Daheim ist alles noch so, wie immer.
Die Feststellung des Tages: Ihr spielt englische Songs. Aber hast du dir nie Gedanken gemacht auf Deutsch zu singen?
Neee, noch nie. Ich hab mit 13 angefangen Lieder zu schreiben. Aber die hab ich nie irgendwem gezeigt. Aber ich hab die auch damals schon immer auf Englisch geschrieben. Keine Ahnung wieso. Ich mag viele Deutsche Sachen nicht, und ich trau es mir auf jeden Fall auch nicht wirklich zu, auf Deutsch einen Text zu schreiben, der gut klingt und den man auch noch singen kann. Deutsch zu singen, dass es sich auch noch gut anhört, find ich recht schwer. Irgendwie hatte ich schon während der Schule nie den Bezug zu deutschen Liedern. Wir waren auch beide im Chor, da haben wir auch viele englische Lieder gesungen, zwar auch deutsche, aber schon meistens englische Lieder. In der Band haben wir auch alles auf Englisch geschrieben. Wir haben damals viel alten Jazz, Ray Charles und so, gespielt. Ausser Seeed haben wir auch nie wirklich deutsche Musik gehört.
Du hast ja nicht von Anfang an gesungen. Du hast in der Jazz-Band damals Bass gespielt und Philipp Gitarre.
Ich hab ja zuhause für mich immer ein Bisschen gesungen. Ich fand das irgendwie immer schlecht. Erst während dem Abi habe ich dann wieder neu angefangen zu singen. Erst da habe ich meine Stimme für mich neu entdeckt.
Deine Stimme – gutes Stichwort. Was man über euch beziehungsweise über dich so liesst, da heisst es ja oft „tolle raue, männliche Stimme“. Hilfst du da ein bisschen nach? So à la Whiskey und Zigarette vor dem Auftritt?
Ne-ne-ne. (lacht) Ich rauche in letzter Zeit auch viel weniger, weil die Konzerte viel länger sind. Jetzt hab ich auch viel mehr Power. Also es liegt jetzt nicht an dem Konsum von irgendwelchen Dingen.
Du hast vorhin schon gesagt, dass du die Songs selber schreibst. Wie läuft das genau ab?
Es fängt immer mit der Gitarre an. Also ich schreib Songs an der Gitarre und singe dazu. Meistens kommt die Melodie und dann der Text. Manchmal passiert es aber auch gleichzeitig. Manchmal gibt es eine Melodie und ne kurze Textpassage und da weiss man gleich, dass man die genau so singen will.
Ich hab mir zwei Songs ab eurem Album rausgesucht. Erzählt doch mal eben was drüber: „Stolen Dance“?
Ääähmm. Da gibt es jetzt keine Story. Der Song ist einfach Ausdruck von nem Gefühl, das man hatte, dass man jemanden vermisst, mit dem man in dem Moment gerne Zeit verbringen wollte, aber es ging halt nicht.
Also sind all deine Songs autobiografisch, Dinge die du selbst erlebt hast?
Ja. (schmunzelt)
Jetzt Song Nummer 2: Flashed Junk Mind?
Jooow! „Flashed Junk Mind“ ist genau die gleiche Schublade wie „Stolen Dance“. Da geht’s halt eher so darum, ein Gefühl, einen Gedanken zu beschreiben.
Zum Beispiel bei „Down By The River“ war’s halt wirklich so. Da ist eine Story dahinter, wo ich halt auch am Fluss war und Sachen erlebt habe. Da ist wirklich was hand ... naja eben. (schmunzelt)
Ahja. Was ist denn da am Fluss passiert?
Das erzähl ich jetzt nicht. Aber weisst du wie ich mein? Bei manchen Liedern geht es einfach nur darum mit Worten ein Gefühl zu erzeugen oder ein Gefühl einzufangen und bei anderen ist es wirklich rückblickend auf eine Erfahrung, die man gemacht hat. Einfach die Verarbeitung davon.
Gut, dass es andern auch noch so geht wie mir. Ich hab irgendwann mit 13 auch mal angefangen selber Songs zu schreiben.
Oh cool. Machst du das immer noch?
Jaja. Klar. Und noch so en Bisschen Gitarre dazu spielen.
Hast du auch Aufnahmen?
Aufnahmen. Ja, schon. Aber ich glaube, mehr schlecht als recht. Keine Ahnung. Freunde finden das noch recht cool, aber ich würd jetzt wohl nie das Mikrofon schnappen und einfach auf die Bühne stehen und anfangen zu singen.
Das ist halt die Sache. Ich hab auch schon viele Menschen getroffen, die mega geile Musik machen, aber die es halt einfach für sich machen wollen und nicht damit nach Aussen gehen wollen.
Stimmt. Songs sind manchmal schon recht persönlich.
Ja. Ich schreib meine Texte so, dass niemand weiss, was mir eben da am Fluss passiert ist. Es ist halt immer schwammig. Ich will mich schon ausdrücken und was von mir nach aussen geben, aber eben nur ein Stück weit. Aber ich mach nicht den Seelen-Striptease, damit nicht jeder in mich reinschauen kann. Das wär ja echt zu krass. Da wäre ich ja dann wie so ein gerupftes Huhn. (lacht)
Euer Debüt-Album heisst „Sadnecessary“. Was bedeutet das?
Es ist der Drang sich mit Melancholie auseinander zu setzten, weil man das Gefühl mag und die verschiedenen Facetten davon. Und aus dem Gefühl kann man auch viel Positives ziehen. Aber es geht auch um die Notwendigkeit von der Sadness (Traurigkeit).
Euer Album ist von A-Z „Home made“. Wie habt ihr eure Platte finanziert?
Das Aufnehmen hat uns ja nichts gekostet. Aber um das Album zu pressen, haben wir dann unseren VW-Bus verkauft, bei Mama und Papa Geld geliehen und uns damals bei Freunden verschuldet. Aber das ist jetzt wieder alles ausgeglichen. (lacht)
Deine Haare. Du hast ja immer so einen „Frisch-aus-dem-Bett-Look“. Wie lang brauchst du morgens im Bad?
(lacht) Gar nicht. Ist wirklich frisch aus dem Bett. Shit is real! Ich wuschel halt da immer so drin rum. (Anmerk. d. R.: jetzt auch gerade) Ich glaub meine Haare sind auch ziemlich kaputt davon, aber die sind halt sehr borstig. Und wenn ich so drin rum wuschel, dann stehen die eben so.
Ich hab dich mal auf Facebook gesucht.
(lacht) Gesucht?
Ja, früher hat man gegoogelt, jetzt sucht man die Leute auf Facebook.
Mich privat oder was?
Ja.
(lacht) Ach du Scheisse. Hast du mich gefunden?
Das will ich jetzt eben wissen. Und zwar: Du hast ja schon länger eine Freundin.
Ja. Hast du mich über meine Freundin gefunden? Ach du Scheisse.
Bist du verheiratet?
Was? Nein. Also meine Freundin ist verheiratet.
Deine Freundin ist verheiratet, aber du nicht?
Ja, also meine Freundin ist auf Facebook verheiratet. Einfach so aus Spass.
Ich hab deinen Namen auf Facebook eingegeben. Es gibt ein Profil unter deinem Namen und da stand du bist verheiratet.
Ach, krass. Ne, ich hab nicht meinen echten Namen bei Facebook. (lacht)
Win Butler von Arcade Fire, soll gesagt haben, er würde nie mehr in der Schweiz spielen, weil das Publikum so schlecht sei. Ihr habt ja schon hier gespielt. Wie habt ihr das Schweizer Publikum erlebt?
Ich feier die Schweizer voll. Ich find die geil.
Kommen wir da an Dresden ran oder müssen wir uns heute Abend noch Mühe geben?
Ne, die sind voll gut. Dresden war schon voll krass, aber die Schweizer sind geil. Sie sind immer fröhlich hier. (lacht) Die sind immer gut.
Habt ihr ein festes Ritual bevor ihr auf die Bühne geht?
Eigentlich gar nicht. Hmm. Rumhängen. Bisschen konzentrieren und chillen. (lacht)
Für mit auf den Weg: Hast du ein Lebensmotto?
(lacht) Hmm. Keine Ahnung. Einfach machen.
Vielen Dank, dass ihr euch Zeit für das Interview genommen habt. Viel Spass beim Gig und bis im Sommer am OpenAir St.Gallen.