Wir haben nie am «Zweites-Album-Syndrom» gelitten
Patrick Holenstein - Hayley und Samuel von den Jezabels haben sich Zeit genommen und uns im Backstagebereich zu einem Interview empfangen. Dabei haben sie über ihr neues Album gesprochen und über eine bestimmte Vorband. Ausserdem wissen wir jetzt, wer die grösste Jezabel in der Band ist.
Am Nachmittag vor dem Konzert der Jezabels im Komplex Klub trafen wir auf eine äussert gut gelaunte Band. Nach etwas Organisation setzen sich Hayley und Samuel zu uns und erzählten vom Touren mit Depeche Mode, von den Aufnahmen zum neuen Album und wieso die Band nach Europa gezogen ist.
Ihr seid immer zur selben Zeit in der Schweiz. Vor zwei Jahren fand eure erste Schweizer Show im Abart im März statt, dann im letzten Jahr das m4music im März und nun wieder ein Auftritt im März. Der einzige Schweizer Auftritt, der aus der Reihe fällt ist die Support Show für Skunk Anansie. Ist das Zufall?
Hayley: Ja, das ist Zufall. Das hat wohl damit zu tun, wie der Tour-Zyklus läuft. Man nimmt ein Album auf und geht damit auf Tour und im Februar ist meist Europa an der Reihe.
Samuel: Gleich nach dem Winter.
Hayley: Wir versuchen dem Winter auszuweichen, das ist der Hauptgrund.
Wer in der Band ist die grösste Jezabel?
Hayley: Darüber haben wir bereits gesprochen und wir denken, dass es Nik ist. Nik repräsentiert uns am besten. Zwar nicht im sexuellen Kontext, aber er geht oft aus und an Parties. Wir sind alle irgendwie langweilig, gehen früh zu Bett und ruhen uns aus, wenn wir auf Tour sind, aber Nik zieht meist noch mit irgendwelchen Leuten weiter auf Parties von Leuten, die er nicht kennt und kann die ganze Nacht aufbleiben. Er ist wahrscheinlich die grösste Jezabel.
Im letzten Jahr hatten wir mit einer anderen australischen Band ein Interview, ME. Sie sind nach Europa gezogen. Diesen Schritt habt ihr nun auch gemacht. Wie unterscheidet sich die Musikszene hier von derjenigen in Australien?
Samuel: Europa unterscheidet sich von England und Australien. England und Australien sind sich sehr ähnlich mit Indie- und Danceströmungen. Ich denke, dass Australien viel von der musikalischen Kultur aus England aufnimmt. Europa ist anders. Hier hat man entweder sehr poppige Sachen oder sehr undergroundige Sachen. Es ist aber nicht so, dass wir das nicht gutheissen würden. Unsere Band ist irgendwie zwischendrin.
Hayley: Leute sind Leute – überall, wo man hingeht. Aber es sind halt andere Kulturen. Für uns ist es so, dass wir nie irgendwo hineingequetscht werden konnten, weshalb wir nicht richtig vergleichen können. Für uns ist es wichtig, dass wir unser Ding durchziehen. Es gibt Szenen und es ist auf eine Art schön, ein Teil davon zu sein, aber Indie-Bands ziehen irgendwie einfach ihr Ding durch und das auf der ganzen Welt.
Ihr habt kürzlich euer zweites Album «The Brink» herausgebracht. Wie schwierig war es für euch, dieses Album aufzunehmen nach dem Erfolg von «Prisoner»?
Hayley: Es war nicht so, dass «Prisoner» extrem durchstartete und unerwartete Höhen erreichte, denen wir nicht mehr folgen konnten.
Samuel: Wir wussten, dass wir uns noch verbessern konnten und auch noch bekannter werden können. Der Druck war normal. Wir fühlen uns immer unter Druck, egal was wir machen. Bei den Aufnahmen gibt es eine bestimmte Zeit, in der man die Sachen entwickeln und daran arbeiten kann. Vorher hat man nur Entwürfe und muss diese dann fertig stellen. Das will man natürlich sehr gut machen und man hat Sachen im Hinterkopf wie das letzte Album. Es ist im Grunde ein unter Druck stehendes Ding, das man auch aufgrund des Abgabetermins macht.
Hayley: Die Aufnahmen sollten rein sein und in einer idealen Welt, in der nur die Musik wichtig ist, wäre das so. Die Realität widerspricht jedoch der Idealität. Ich denke aber nicht, dass wir unter dem «Zweites-Album-Syndrom» gelitten haben. Das Touren hat schon viel Energie von uns genommen. Aber nachdem wir ein Jahr nicht getourt sind, habe ich realisiert, dass ich es liebe zu touren und wir hatten eine grossartige Zeit zurück auf Tour. In der heutigen Zeit existieren Alben eigentlich nur noch, damit man touren kann, live spielen und grossartige Sachen erleben.
Wo seht ihr die Unterschiede zwischen «Prisoner» und «The Brink»?
Samuel: Der Ansatz war der grösste Unterschied, da wir erst jeden Song live spielen wollten, bevor wir mit den Aufnahmen starteten. Bei «Prisoner» haben wir sehr viele Sounds im Studio ausprobiert und es wurde sehr atmosphärisch, aber danach eine Herausforderung, diese Songs wieder zu übersetzen, damit wir sie live spielen konnten. Es war schrecklich. Das wollten wir nicht nochmals machen. Dadurch tönt das Ganze auch etwas poppiger und direkter. Das macht die Arbeit auch für uns einfacher, da wir bei «Prisoner» fast ausgeflippt sind.
Hayley: Ich denke auch, dass das der Hauptunterschied ist, denn es macht das Arbeiten etwas bedachter und legt den Fokus eher auf die Songs, als auf das ganze Album. Manche Leute mögen das, manche nicht. Es ist sicher mehr Pop drauf und die Songs sind peppiger. Wir haben da im Vornherein nicht gross drüber nachgedacht – es ist einfach geschehen.
Samuel: Wir wollten es irgendwie einfach fertig stellen.
Hayley: Und Songs schreiben, die wir mögen. Es gab den Gedanken, dass die Musik aus einem Grund herauskommt und dass man später auch noch daran arbeiten kann. Wir wollten einfach Musik schreiben, denn es macht Spass und ist amüsant. Natürlich will man das auch so lange wie möglich machen, deshalb muss man die Termine einhalten und sichergehen, dass die Leute nicht vergessen, dass man existiert.
Im letzten Jahr habt ihr The Pixies und Depeche Mode supportet – wie war das für euch, auf diesen grossen Bühnen zu spielen?
Samuel: Wir waren einfach sehr erfreut. Für uns war das immer ein Traum. Es ist irgendwie schwierig, die Füsse aus Australien raus zu bringen. Deshalb waren diese Bühnen ein Geschenk für uns und wir versuchten die Shows so gut, wie möglich zu meistern. Die Fans von beiden Bands mochten uns sehr. Viele Leute sind dann an Shows von uns gekommen, nachdem sie uns dort gesehen haben. Solche Bands zu supporten ist einer der schönsten Gründe, in einer Band zu sein.
Hayley: So lernt man auch, in einer Band zu sein. Man lernt wie man sich verhält, reagiert und Leute behandelt. Diese beiden Bands waren echt gute Beispiele für richtige Rockstars, die keine Arschlöcher sind.
Samuel: Bands, die lange Karrieren auf einem erfolgreichen Niveau haben, sind fast immer grossartige Leute und sehr nett! Das ist wirklich inspirierend und eine grosse Sache für uns. Depeche Mode sind zum Beispiel so extrem cool, obwohl sie schon älter sind.
Hayley: Ein weiterer Punkt ist, dass sie immer noch relevant sind für Musik. Sie sind zeitlos. Die Show von ihnen jeden Abend zu sehen, war einfach unbeschreiblich für alle.
Samuel: Bei den Pixies waren es kleinere Shows und ein wenig anders. Sie sind punkiger. Ich mochte Depeche Mode lieber als Zuhörer. Die Produktion war gewaltig und der Sound perfekt, weshalb es schön war, jeden Abend das Konzert zu sehen.
Hayley: Ich mochte musikalisch beide gleich gern. Es war eine gute Erfahrung, da die beiden musikalisch total verschieden sind. Bei Depeche Mode ist es Pop, eine riesige Produktion, ein Frontmann der sehr charismatisch ist und eine echt grossartige Show. Dann hat man The Pixies, die durch all ihre Songs gehen, ohne eine Pause zu machen und ironische Gitarrensolos spielen. Beide sind grossartig. Man realisiert, dass sie sich auf eine Art ähnlich sind – Leute, die grossartige Musik machen! Es war das Beste, zwei so unterschiedliche Tourneen zu spielen in einem so kleinen Zeitabstand. Unser Leben ist wirklich grossartig! (lacht)
Samuel: Für uns ist es echt toll, dass wir zwei so unterschiedliche Bands supporten können. Unsere Band passt irgendwie überall hin.
Auf der anderen Seite war einer der Durchstarter von 2013 Vorband von euch auf der US-Tour. Imagine Dragons. Habt ihr die Karriere von ihnen noch weiterverfolgt?
Samuel: Ja, natürlich. Es ist echt grossartig, was die gemacht haben. Wir wussten, dass die ein grosses Ding werden. Sie wurden bei uns als Vorband gebucht und irgendwann wurden sie im plötzlich im Radio gespielt. Es war für uns nicht einfach, da sie die Bühne befehligt haben. Es war offensichtlich, dass sie gewaltig werden. Deshalb war es irgendwie eine komische Tour.
Hayley: Um ehrlich zu bleiben: Es war nicht ihr Fehler, aber es war nicht angenehm, da wir wohl eher sie hätten supporten sollen. Es lag einfach am Timing, als sie gebucht wurden.
Samuel: Es war ein Gegensatz, unter dem wir gelitten haben.
Hayley: Imagine Dragons sind ehrlich gesagt nicht meine Musik. Aufgrund eigenartiger Gründe wurden wir zusammen auf Tour geschickt.
Somit hattet ihr keinen Einfluss auf das Booking?
Samuel: Nein, das wurde nicht von uns ausgesucht. Eigentlich ist alles sehr gut gegangen. Die Konzerte waren allesamt ausverkauft, aber es war hart, weil viele Leute dort waren, um Imagine Dragons zu sehen.
Hayley: Leute haben dann andere ausgeblockt, die uns hätten sehen wollen. Fans haben teilweise Tickets gekauft, nur um Imagine Dragons zu sehen und sind danach wieder gegangen. Und andere Leute, die uns hätten sehen wollen, bekamen keine Tickets. Das war eine der härteren Zeiten in unserer Karriere.
Samuel: Ich finde es aber aufregend, da sie grossartige Musiker sind und irgendwie einen perfekten Pop-Sound kreiert haben. Die wissen genau, was sie machen und sind auch fast alle auf das Berklee Music College gegangen, das zu den besten Instituten zählt. Es war einfach eine schwierige Tour aufgrund der Umstände. Aber es ist sehr interessant, da sie aktuell eine der begehrtesten Bands sind und die haben bei uns als Vorband gespielt – das ist echt komisch!
Hayley: Wir sind einfach zwei Bands, die irgendwie nie in Verbindung miteinander hätten kommen sollen. Sie sind eine Pop-Band – nicht wie Depeche Mode oder The Pixies. Sie sind einfach normaler Pop, der sehr amerikanisch ist und perfekt für diesen Markt. Musikalisch schätzen wir sie, aber wir waren nie ein Teil dieser Welt. Es war also sehr komisch, dass wir mit ihnen zusammengebracht wurden und wir wussten dann, was Leute unter Pop verstehen – und das ist nicht, was wir sind. In unserer Musik flirten wir zwar mit Pop, aber das ist eine völlig andere Welt in die wir definitiv nicht hingehören.
Eure Musik ist sehr dramatisch und ideal für Soundtracks. Bei «Grey’s Anatomy» und dem Film «The Drift» lief eure Musik. Wie war das für euch, als ihr die Szenen gesehen habt, wenn die eigene Musik läuft?
Samuel: Es war grossartig! Es ist schön, wenn das, was wir machen, auch ins Fernsehen passt. Ich denke viele Leute sind auf uns gekommen durch «Grey’s Anatomy» oder den Film. Das ist sehr schön, wenn man so etwas in seinem Arsenal hat als Musiker. Im Hintergrund bei einem Drama zu sein oder bei etwas Theatralischem, ist der Wahnsinn. Es zeigt auch, dass es eine dramatische Seite in der eigenen Musik gibt.
Hayley: Speziell im Kontext mit unserer Musik, die nicht unbedingt einen grossen finanziellen Wert hat, ist es mehrheitlich so, dass der Wert dadurch entsteht, dass die Möglichkeit besteht, andere Sachen zu verkaufen. Leute müssen sich ändern und ihre Musik für Werbungen freigeben, die sie sonst nie gemacht hätten. Der ganze Indie-Ethos ist sich am Verändern. Manche Leute sagen, dass es ein Ausverkauf sei, jedoch ist es die Realität und die Musik verkauft sich nicht mehr. Wenn man weiter funktionieren will, so muss man andere Platzierungen finden. Ich denke, der Traum ist es, seine Musik in einem Film oder einem anderen Stück Kunst unterzubringen. Das wäre ideal, wenn die eigene Musik im Kontext mit etwas künstlerischem verwendet wird. Es ist ein Privileg, Musik in Verbindung mit Geschichten zu bringen und nicht nur zu verkaufen.
Kürzlich habt ihr ein Video für «Angels Of Fire» herausgegeben, das ihr in Eigenregie gefilmt habt. Wolltet ihr etwas zurückgehen zu der DIY-Mentalität?
Hayley: Wir waren schon immer eine DIY-Band.
Samuel: Wir wollten immer, dass wir unser Schicksal unter Kontrolle haben, jedoch ist es uns etwas aus den Händen geglitten. Die Sachen selbst zu machen, ist sehr wichtig. Es gibt einem mehr Vertrauen in das, was man macht. Für Musiker ist es wichtig, die Kontrolle zu behalten. Beim Video war es aber mehr ein Experiment und wir wussten nicht wirklich, woran wir arbeiteten.
Hayley: Man kann nicht sagen, dass wir bisher schlechte Musikvideos gedreht hätten, jedoch hatten wir nie eine Kontrolle dabei. Auf eine Art haben wir die Bilder aus unseren Händen gegeben und uns auf die Musik fokussiert. Es war irgendwie eine naive Art zu denken, dass das Visuelle keine Rolle spielt. Wir mussten dann Videos für unsere Musik drehen und liessen da andere Leute die Kontrolle übernehmen. Sieben Jahre später haben wir realisiert, dass ein Bild von uns entstanden ist, das wir eigentlich nicht wollten. Es ist nicht angriffig gemeint, aber das waren nicht wirklich wir. Das Beste, was wir tun konnten, war also, dass wir etwas Kontrolle übernommen haben. Zusätzlich haben wir extrem viel Geld ausgegeben für die Videos, die wir nicht wirklich mochten. Deshalb wollten wir etwas sparen und im DIY-Stil machen. Ein Freund hat das Video gefilmt und Sam hat es zusammengeschnitten.
Samuel: Man realisiert, dass man die Clips eigentlich durchaus selbst machen kann, ohne dabei viel Geld auszugeben. Sie können sogar besser sein, als die teuren Videos.
Hayley: Heutzutage funktioniert die Musikindustrie so, dass jemand anderes die Single aussucht und nochmals jemand anderes das Video dazu dreht. Wir wollen einfach wieder etwas mehr unsere eigenen Entscheidungen fällen.
Wo werden The Jezabels im März 2015 stehen?
Hayley: Sehr wahrscheinlich in der Schweiz! (lacht)
Samuel: Ich weiss noch nicht. Sehr wahrscheinlich werden wir am Aufnehmen sein. Das hängt immer davon ab, wie es so läuft. Anstatt live zu spielen während zwei Jahren, wollen wir es diesmal vielleicht etwas schneller machen. Aber wir werden auch eine Pause brauchen. Wir sind nun seit sieben Jahren als Band unterwegs und müssen uns wohl auch etwas auffrischen. Das werden wir wohl machen, bevor wir wieder ins Studio gehen.