Der Bus hält und die Tür bleibt zu.
Marco Büsch - Wieder einmal sitze ich in einem Bus fest und es ist heiss und ich will nach Hause und ich schreibe über mitgelauschte Gespräche in öffentlichen Verkehrsmitteln und Grenzen.
Grenzenziehen finde ich grundsätzlich eine spannende Angelegenheit: Wo setzt man persönlich seine Grenzen und wieso setzen sie andere Menschen anders und wie finden wir dann trotzdem meistens einen Konsens. Oftmals festigen Gesetze die Grenzen, zu welchen man sich gesamtgesellschaftlich durchgerungen hat. Oder zumindest die Politiker. Welche wir wiederum gewählt haben. Nun denn, jedenfalls fand ich eine Grenzziehung verblüffend, von welcher ich letzten Monat im Zivildienst-Kurs «Betreuung von Jugendlichen» gehört hatte: Man stelle sich vor, ein 15-jähriges Mädchen sitzt traurig auf seinem Bett. Man kommt hinzu und will es trösten. Man setzt sich neben das Mädchen auf das Bett und redet ihr gut zu. So weit, so legal. Nun möchte man dem Mädchen vielleicht den Arm um die Schulter legen, um es zu beruhigen. Das ist nicht grundsätzlich verboten, es kommt aber darauf an, was das Mädchen trägt: Wenn es ein Shirt anhat, welches über die Schultern geht, dann ist es kein Problem, sobald das Mädchen aber ein ärmelloses Shirt trägt und man somit die nackte Haut der Schulter berührt, ist das Arme-um-die-Schulter-Legen verboten. Also natürlich nur für Männer. Das fand ich deshalb so verblüffend, weil hier ungefähr drei Millimeter Stoff entscheiden, ob man – plakativ ausgedrückt – ein Sexualstraftäter oder ein guter Pädagoge ist. Aber irgendwo muss man die Grenze ja ziehen und hier sind nun mal per Gesetz diese drei Millimeter die Grenze.
Eine weitere interessante Grenzziehung findet bei der Bettelei statt: In Zürich ist das Betteln auf öffentlichem sowie privatem Grund verboten. Das öffentliche Musizieren für Geld ist jedoch in einem gewissen Rahmen erlaubt, sofern es in einem markierten Gebiet rund um das Seebecken geschieht, der Musikant alle 20 Minuten seinen Standort wechselt und die Ruhezeiten einhält. Theoretisch hiesse das, jeder Bettler könnte sich einfach an den See setzen und dort mit einem Holzstöckchen auf eine Dose schlagen und dies als Musik verkaufen. Das ist ein Problem, welches die Stadt Biel wie folgt gelöst hat: In Biel muss jeder Strassenmusikant zuerst bei der Gewerbepolizei zu einem Casting erscheinen, um den Polizisten vorzuspielen. So werde ein gewisses Mass an musikalischer Qualität gewährleistet. Ob jetzt ein Polizist die richtige Person ist, um musikalische Qualität zu bescheinigen, das sei dahingestellt, aber das Konzept hat durchaus Potential. In Winterthur wiederum dürfen nur zwei Bands pro Tag öffentlich musizieren. Melden sich mehr als zwei Bands, wird ausgelost. Und so steckt jeder Kanton und jede Stadt den Rahmen für Strassenmusikanten und Bettler wieder ein wenig anders und jede Grenzziehung führt zu anderen Ergebnissen. Mir blieb zum Beispiel ein Besuch in Solothurn in sehr guter Erinnerung, weil es dort einige wunderbare Strassenmusikanten-Bands zu hören gab. In Zürich undenkbar. Dafür sind wir in den Städterankings immer ganz weit oben aufgrund von Sauberkeit, Ruhe und Ordnung. Das ist auch etwas.
Irgendwo müssen immer Grenzen gesetzt werden, welche die einen dann gut finden, während sie den anderen wiederum nicht passen. Dies mag zwar wie eine Binsenwahrheit klingen, in manchen Momenten ist sie aber nur allzu wahr: So kam meine Geduld doch auch an ihre Grenzen, als der Busfahrer im Stau stehend zwischen Kreuzplatz und Kunsthaus auf keinen Fall die Türen öffnen wollte, obwohl der Bus keine fünf Meter vor der Haltestelle stand und dort sogar ein Trottoir vorhanden war. Vorschriften sind Vorschriften. Und ein Bus ohne funktionierende Klimaanlage ist ein Bus ohne funktionierende Klimaanlage. Ich mag Grenzen ja wirklich, aber nicht, wenn sie mich meinerseits an meine Grenzen bringen!
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