Politisches Marketing im Briefkasten
Marco Büsch - Wir kennen es von amerikanischen Wahlkämpfen: Politisches Marketing ist wichtig. Es wird auch bei uns immer wichtiger. Eine kleine Laien-Analyse der politischen Prospekte, Zeitungen und Faltblätter, welche in meinem Briefkasten gelandet sind.
– Beginnen wir mit dem kurz gehaltenen Flyer des überparteilichen Komitees «Ja zur Kirchensteuerinitiative», welche – man glaubt es kaum – dafür wirbt, dass man doch bitte mit «Ja» für die Kirchensteuerinitiative stimmt. Die Sache ist aber schwerer verständlich als man zu Beginn meint: Das Komitee will zwar, dass das Stimmvolk «Ja» zur Kirchensteuerinitiative sagt, damit meinen sie aber «Nein» zur Kirchensteuer für juristische Personen. Man muss also «Ja» stimmen, wenn man «Nein» sagen will. Merci vielmal, dass sie uns Stimmbürgern zutrauen, hier noch den Durchblick zu behalten. Da hätten sich die Initianten, die Jungfreisinnigen Zürich, in Sachen «Vereinfachung der Fragestellung» vielleicht doch ein wenig mehr an der SVP orientieren sollen als an der Mutterpartei. Nun denn, immerhin kam ein parteiübergreifendes Komitee zustande, wenn auch in erster Linie nur zwischen SVP und FDP. Zugute halten kann man dem Komitee aber, dass sie eine formidable übersichtliche Internetseite zu ihrem Anliegen erstellt haben und dafür auch bei Google einen Anzeigenplatz ersteigert haben. Das dürfte wohl der Einfluss der Piratenpartei gewesen sein, welche die Initiative zusätzlich unterstützen. Und der Spruch auf dem Flyer ist auch ziemlich keck geraten: «Verkauft Ihr Metzger reformierte Bratwürste? Wohl kaum.»
– Dann wäre da noch ein Faltblatt der SP, welche auf der Titelseite für Marie Schurr als Bezirksgerichtspräsidentin und für den Mindestlohn wirbt. Vielleicht wirbt sie auch mit Marie Schurr für den Mindestlohn. Oder der Mindestlohn wirbt mit Marie Schurr. Es wird einem nicht gänzlich klar, ob die beiden Anliegen jetzt einen direkten Zusammenhang haben oder nicht. Es gilt jedenfalls: Geradlinig, kompetent, sozial. Und der Schirm, der für den Lohnschutz bei der Mindestlohninitiative steht, erinnert mich an den Zahn mit dem Schirmchen auf den Kaugummipackungen. Sind die bösen Firmen, welche zu wenig zahlen, dann die Karies? Jedenfalls habe ich nun eine Kindheitserinnerung, welche ich damit verbinden kann: Der Schirm wird mir im Kopf bleiben. Aber seien wir nicht so, der restliche Prospekt ist wirklich gelungen: Er ist übersichtlich, klar formuliert, neben jedem Anliegen ist ein Gesicht abgedruckt, um das Ganze persönlicher zu gestalten und auf der Hinterseite sind sogar noch einmal die Abstimmungsparolen aufgelistet für diejenigen, welche das Faltblatt nicht entfalten konnten oder nach mehr als zehn gelesenen Worten eingeschlafen sind. Sogar mit QR-Code: Lago mio, geht die SP mit der Zeit!
– Kommen wir zu den Zeitungen: Da wäre zum einen die 20Min-Imitation von der UNIA, welche – nicht verwunderlich – für ein «Ja» zur Mindestlohn-Initiative wirbt. Die Verpackung ist gut gewählt, denn das «20Min» ist bekannt als Gratiszeitung und für jeden erhältlich – das sollte der Mindestlohn auch sein. Hoffentlich wird der Mindestlohn dann nicht achtlos weggeschmissen und liegt überall herum. Aber halt! Die UNIA versucht uns gleich auf der Titelseite zu erklären, dass es bei dieser Abstimmung nicht um den Mindestlohn geht, sondern um den Lohnschutz! Dementsprechend wird für dieses Wort auch überall mitgeworben und sogar die Internetseite der Kampagne heisst lohnschutz.ch. Wem das jetzt alles immer noch ein wenig zu abstrakt ist, keine Angst, die UNIA hat über alle Seiten hinweg ganz viele Gesichter abgedruckt, welche die Geschichte viel persönlicher machen. Sogar Bruce Willis hat seinen Weg in die kleine Zeitung gefunden und wirbt für die Unterwäsche von «Zimmerli of Switzerland». Aber die UNIA weist darauf hin, dass dieser wahrscheinlich nicht weiss, dass die Firma ihre Arbeitskräfte ausnutzt. Nun, er weiss wahrscheinlich auch nicht, dass er Werbeträger für diese Firma geworden ist. Es werden auch andere Firmen an den Pranger gestellt, wie das Zürcher Edelhotel «Baur au Lac» oder das Modeunternehmen «Tally Weijl». Das schafft eine ungemütliche Nähe. der Begriff «Mindestlohn» bleibt nicht mehr abstrakt, wir wissen jetzt, dass, wenn wir «Nein» stimmen, wir schuld sind, dass die im Hotel und im Kleiderladen weiterhin zu wenig zum Leben verdienen. Und wem das immer noch eine zu grosse unbekannte Masse ist, dem wird spätestens bei Fortunato Piraino, Bauarbeiter, das Herz weich werden. Er schreibt davon, wie er und seine Frau sich kaum eine Wohnung und schon gar nicht das anständige Stück Fleisch am Wochenende leisten können. Das kann nicht sein! Gebt diesem Mann sein anständiges Stück Fleisch, denn er hat es verdient! Demgegenüber werden die Gegner, wie Roman Burger es auf der Hinterseite treffend formuliert, wieder Angst und Furcht verbreiten, die Schweizer Unternehmen werden wegen dieser zusätzlichen Last zusammenbrechen, besonders die KMU, und dann wird es auch der Schweiz nicht gut gehen und das wollen wir doch nicht. Nun, wir werden sehen ob die persönlichen Beispiele der UNIA oder die diffuse Angstmacherei der Gegner sich durchsetzen wird. Wir wissen nur: Bruce Willis trägt «Zimmerli of Switzerland». Was diese Firma der UNIA wohl zugesteckt hat für die Gratiswerbung?
– Die andere Zeitung wurde vom «Gripen Ja»-Lager verschickt und will uns von vorne bis hinten nur eines klar machen: Es geht hier nicht, ich wiederhole, NICHT um den Gripen bei der Abstimmung am 18. Mai, nein, es geht um viel mehr, es geht um die nationale Sicherheit! Und wer nicht für die Sicherheit ist, ist gegen die Sicherheit, ist gegen die Schweiz, ist ein Landesverräter, so scheint zwischen den Zeilen hindurch. Das Komitee ist zwar – wie so oft – parteiübergreifend, aber die Machart der Kampagne lässt schwer auf die Federführung der SVP deuten. Vielleicht ist es auch nur der Untertitel der Zeitung: «Zeitung für alle Schweizerinnen und Schweizer». Auf der Titelseite kommt zusätzlich die schöne Frau Favre Accola zu Wort, welche hier aber nicht als Frau des Skirennfahrers Paul Accola oder als Parteisekretärin der SVP Graubünden vorgestellt wird, sondern als dreifache Mutter und KMU-Unternehmerin. Fassen wir zusammen: Sie hat drei Kinder, sorgt sich also um die Zukunft. Sie ist KMU-Unternehmerin, also keine Sozialschmarotzerin, sondern erfolgreiche Businessfrau. Und sie ist eine Frau. Die Frauen müssen ja besonders geködert werden bei dieser Abstimmung, weil sie den Militärbetrieb eh nicht kennen und sonst nicht abstimmen gehen und wie geht das besser, als mit einer anderen Frau, einer Mutter, einer erfolgreichen noch dazu. Bravo, gut gemacht! Von dieser Frau wird man sicher weiterhin viel hören, falls sie keine Leichen im Keller hat, denn wer sonst ist Parteisekretärin, Vorstandsmitglieder einer Molkerei, mit Paul Accola verheiratet, Mitbegründerin einer Kulturplattform und an der Uni Fribourg tätig: Diese Frau spricht einfach fast jeden Schweizer Bürger irgendwie an. Zumindest auf dem Papier. Aber genug davon, gehen wir ans Eingemachte: Es werden Grafiken gezeigt von Dingen, welche alle mehr kosten als der Gripen. Zum Beispiel die Soziale Wohlfahrt, der Verkehr, die Bildung und Forschung. Das ist verrückt, alle diese Dinge bringen doch kaum so viel Nutzen wie ein Gripen, geschweige denn 22? Es wird eine Hunderternote gezeigt, welche der Bund ausgibt, und dann mit der Lupe die 15 Rappen, welche die Gripen davon ausmachen prozentual. Aber wie der geneigte SVP-Bauer so schön sagen: Auch Kleinvieh macht Dreck. Mein Lieblingsartikel bleibt aber «Die weltweite Unsicherheit nimmt zu», in welchem vom fehlenden Trinkwasser, vom wachsenden Ressourcenbedarf und von einer enormen Waffenproduktion die Rede ist. Um diesen Dingen entgegenzuwirken brauchen wir unbedingt die Gripen! Besonders bei der Bekämpfung der enormen Waffenproduktion! Nun aber weg von weiteren inhaltlichen Kommentaren, ein grosser Pluspunkt des Extrablattes ist sicher, dass sich gleich drei Bundesräte darin für den Gripen aussprechen: Maurer, Burkhalter und Leuthard. Doris Leuthard als seit jeher beliebteste Bundesrätin spielt hier sicher die herausragende Rolle, weil erstens Frau, zweitens nicht rechts, sondern Mitte und drittens eher bekannt für sachliches Politisieren als für Polemik. Dann wäre da noch die Karte, auf denen anhand des «Global Peace Index» vermeintliche Krisenherde in und rund um Europa aufgezeigt werden und welche die Gripen für uns unvermeidlich machen. Zudem gibt es eine als Wettbewerb getarnte Infobox, bei der man sich immer für ein gutes Dafür-Argument und gegen ein schlechtes Dagegen-Argument entscheiden muss, um am Ende vielleicht einen Alpen-Rundflug zu gewinnen. Leider nicht mit dem Gripen, den gibt es bis jetzt ja nur auf dem Papier.
Es bleiben mir ein, zwei Dinge zu den Kampagnen zu schreiben: Erstens mag es einem vielleicht gefallen oder nicht, die SVP ist ihren politischen Gegnern in Sachen politischem Marketing immer noch einige Meilen voraus. Ich meine damit nicht ihr vielfach höheres Budget, ihre dadurch höhere Reichweite oder gar die stark vereinfachten Inhalte: Es sind ganz einfache Dinge, wie eine Banknote in eine Zeitung kopieren und zeigen, wie viel für den Gripen verwendet wird. Oder statt einer stinknormalen Infobox einen Wettbewerb daraus konstruieren. Den Leuten wird einfach etwas geboten, man gibt ihnen, was sie wollen. Natürlich ist dies vielfach populistisch, aber wenn ich mir die Kampagnen der anderen Parteien, Gewerkschaften und überparteilichen Komitees so ansehe, glaube ich, ein wenig Populismus würde ihnen nicht schlecht stehen. Und ich meine damit nicht inhaltlichen Populismus, sondern bei den Mitteln, welche verwendet werden. Eine Kirchensteuerinitiative sollte einfach nicht so heissen, sondern unter dem Motto laufen: «NEIN zur Kirchensteuer für Firmen!». Die SP hingegen hat vieles richtig gemacht, Marie Schurr und ein «Ja zum Mindestlohn» vermeintlich miteinander zu verbinden wirkt hingegen ein wenig eigen. Die UNIA macht wahrscheinlich unfreiwillig Werbung für «Zimmerli of Switzerland» und spannt dafür Bruce Willis ein: Wieso nicht einfach bei uns bleiben und die Hollywood-Promis Hollywood-Promis sein lassen. Nichtsdestotrotz haben die anderen Parteien viel an Vorsprung gut gemacht, welchen die SVP in Sachen politischem Marketing hatte, sodass die Wahl- und Abstimmungskämpfe tatsächlich immer spannender werden. Und die Briefkästen leider auch immer voller. Nun denn, gehen wir alle abstimmen am 18. Mai und bereiten uns dann bereits auf die nächste Abstimmung vor, Ecopop und Co. lassen grüssen. Es bleibt spannend.
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