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23. Juli 2014, 15:32 Konzert Kultur Music Festivals students.ch

Alice aus dem Wunderland

Annekatrin Kaps - Die Eine ist blutjung und mit berühmtem Vater, die Andere die Queen. Stimmgewaltig konnte man Ami Warning und Alice Russell beim Lörracher Stimmenfestival erleben. Beide übrigens mit kongenialer Band.

Die Tochter des Roots-Reaggy Sängers Wally Warning wuchs quasi mit der Musik als Schoppen und inmitten der Band des Vaters auf. Spielte als Kind dort auch mit, schrieb eigene Geschichten und Gedichte, die sie nach ersten Gitarrenversuchen vertonte. Die Münchnerin mit Wurzeln in Surinam sieht fast noch jünger aus, als sie ist. Die krausen Locken kurzgeschnitten und eine schüchternes Lächeln im Gesicht. Der rot bunte Rock supermini, dazu graues Schlabbershirt und schwarze Leggings.

Aber diese Stimme! Heiser, tief, laut und eine Spur sexy. Sie begleitet sich dabei selbst auf der Gitarre. Isaac Reed und Muricio-Joran, die beiden Gitarristen klimpern selbstvergessen auf ihre E-Gitarren, Letzterer kaut Kaugummi. Ihre langen Haare haben sie mit einem Knoten auf dem Kopf gebändigt. Der Schlagzeuger Noah Fürbringer hat seine Muckis sicher nicht nur vom Trommeln, mit Foto-T-Shirt und kurzgeschnittener Tolle sieht er nicht älter als Warning aus.

Bei „Waiting“ geht es um das Warten auf etwas, von dem man gar nicht so genau weiss, was es ist. So erklärt es uns die Sängerin, dann schlagen die Gitarren elektronische Kapriolen, das Schlagzeug hämmert den Rhythmus dazu. Die Ersten beginnen im gutgefüllten Burghof zu tanzen.

Eine relaxte Reaggy-Coverversion folgt, „Running Away“ wurde sicher noch nie von so einer Röhre gesungen. Erstaunlich, wie mühelos sie sich in der Tiefe tummelt. Groovige Jams und Wind von der Trommel gibt’s bei „Please“, eine Rassel und kegelförmige Trommel schlagen die beiden Gitarristen dazu. „Hold on, breath on, together…“ beschwört Ami Warning in „More Than You Know“ ruhiger, doch die Hitze im Saal steigt.

Ein wenig Liebeskummer und viel berührender Seelen-Striptease

„Follow“ ist die erste Liebesgeschichte, dem Ruf des Herzens zu folgen, ist eine Message der tiefen Stimme und ihrer Gitarre. Der nächste Song ist leider total übersteuert, dabei wäre „Part Of Me“ mit den poetischen Wechseln zwischen Sopran und Bass sehr hörenswert. Schade ist auch, dass man die Musikerin auf YouTube fast besser hören kann als beim Konzert.

„One Moment“ ist ein weiterer ihrer entspannten Reaggys, denen man endlos zuhören könnte, ganz zu schweigen, von ihrer aufregenden Stimme. Bemerkenswert sind auch die Texte, die sich schwereren Themen mühelos zuwenden und wohltuend von schmelzenden Erweckungsliedern eines Xavier Naidoos unterscheiden.

Ein ältere Krauskopf trommelt selbstvergessen auf dem Bühnenrand, um mich herum wippt es. „Sunshine“ eine andere Cover-Version heizt mit Cajon ein, Ami singt, „I`m fell so loneley“ und niemand will, dass das aufhört. Eines steht jedenfalls fest, aus der Kleinen wird mal eine ganz Grosse!

Die Queen lässt auf sich warten. Dann kommt zuerst die Band, schwarzgekleidete Muskelpakete und so ist auch die Musik, gewaltig und aufpeitschend. Alice Russell ist eine etwas mollige Blondine mit frisch geföhnten Haaren. Mit ihrem schwarzem Pulli und der goldgelb, schwarz gemusterten Hose könnte sie auch die unschuldige Nachbarin aus „Barnaby“ sein.

Bis sie den Mund aufmacht. Die unaufgeregte Power, bei der jeder Ton perfekt sitzt, ist schier überwältigend. Mike Simmonds dagegen, den Hundert-Kilo-Mann, der so wunderbar relaxt tanzt und singt, hört man bei „Heart Breaker“ dagegen überhaupt nicht. Egal, das Publikum tobt.

Funkelnd geht es weiter, das Schlagzeug hämmert, Russell röhrt und Simmonds ist jetzt endlich auch mit einer sanft schönen Tenorstimme zu hören. So mühelos wie die Engländerin durch die Oktaven wirbelt, genauso tanzt sie auf ihren extrem hohen goldenen Highheels.

Die Stimme wie Aretha Franklin, die Britishness wie Adele

Psychedelische Sequenzen wabern durch den Saal, Ben Jones lässt dazu Kaskaden aus seinem Keyboard perlen. Eine verträumte Gitarre kommt mit Dan Swain dazu,// Jack Baker/Giom trommelt lakonisch. Simmond zupft auf der Geige, während Alice wundervoll am Herzschmerz leidet. Der Pfundskerl ist auch ein Mordskerl, als nächstes mischt er ein Keyboard mit dem Lap ab, die Sängerin betört dazu mit ihrer tiefen Altstimme.

Zu Rock passt auch eine Mandoline, den Simmonds, den man sich wie einen salopp gekleideten Bruder von Freddy Schenk (Für alle, die den Kölner Tatort kennen, Freddy würde immer im Anzug singen!) vorstellen muss.

Ähnlich wie Warnings Konzentration auf den Reaggy, ist Russel auf den Rock abonniert, ohne dass jemals Langeweile aufkäme. Dafür sorgen schon allein die souligen oder funkigen Anklänge. Immer gepaart mit ansteckender guter Laune und trockenem Humor. Doch kann man über die britische Stimmgewalt noch so viel schreiben - man muss sie einfach erleben!

Vor der ersten Zugabe fragt der Background-Sänger süffisant höflich, nachdem er festgestellt hat, dass wir nicht so schreien müssten, „we are still here“ ob wir noch etwas mehr möchten. Und wir wollen alle „a little bit more“. „Hunger“// wie in einem ihrer atemberaubenden Songs hat uns gepackt, nach zwei Zugaben sind dann alle satt und glücklich.

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