Carminho oder von der Schönheit der Melancholie
Annekatrin Kaps - Fado ist wie ein Fluss - mal ruhig dahin strömend, dann stürmisch und aufgewühlt, wieder ab ebbend oder plätschernd – doch immer bewegend. Eine der Stimmen des Fados ist Carminho.
Ihr bodenlanges schwarzes Kleid erinnert an eine römische Toga und damit passt sie perfekt in das Amphitheater nach Kaiseraugst. Hier findet an diesem gewittrigen Sommerabend die vorletzte Veranstaltung des Stimmenfestivals statt. Doch nicht nur deshalb ist das Theater gut besucht, viele Portugiesen sind hier und Neugierige wie wir.
Aber welch eine Stimme auch! Kraftvoll, warm, schmelzend, verzweifelt oder fast hauchend, es ist unglaublich, welche Wandlungsfähigkeit Carminho besitzt. Zwar hat sie den Fado buchstäblich mit der Muttermilch aufgesogen, ihre Mutter ist die in Portugal gefeierte Sängerin Teresa Siquera und natürlich ernsthaft studiert, aber das allein erklärt noch nicht das immense Talent.
Das Publikum ist entzückt, scheint die Stimmengewalt Carminhos doch buchstäblich die Regenwolken vertrieben zu haben. Das ist nicht nur allein ihr zu verdanken. Wird sie doch kongenial von drei Herren in schwarzen Anzügen begleitet. Die beiden Jüngeren mit den pechschwarz zurückgegelten Haaren und gepflegten, schwarzen Bärten schlagen zum Spielen elegant die Beine übereinander. Der Ältere scheint zeitweise ganz versunken in sein Spiel.
Schwermut erzeugt nicht unbedingt Schwermut
Luīs Guerreiro an der portugiesischen Gitarre muss auch ein Star in Portugal sein. Nicht weniger begeistert ist das Publikum von Diego Clemente, der klassische Gitarre spielt oder dem akustischen Bass darbietenden Marino de Freitas. Ihr Solo nach der Pause ist schlichtweg hinreissend. Man darf darauf gespannt sein, wenn die vier Künstler heute am 3. August erneut ihr Programm präsentieren, aber diesmal mit der Basler Sinfonietta.
Fado, so erklärt uns die Portugiesin, "is most of the feelings and nature" ihr erster Fado wäre übrigens Tears From Heaven gewesen. Doch immer liegt eine latente Schwermut darin, sie singt ihn mit Leib und Seele, nicht von ungefähr heisst ihr aktuelles Album auch Alma, was auf Deutsch Seele bedeutet.
Aber es gibt auch Poesie und sogar Beschwingtheit, doch die Nuancen sind vielfältig. Von melancholisch, über verhalten-traurig oder lyrischer Tristesse bis verhalten fröhlich reicht die Spielbreite. Das macht den Reiz aus und die Lieder, die sich manchmal ähneln, doch unverwechselbar.
Bom Die Amor ist nach einem Poem von Fernando Pessoa, es handelt von einer neunundzwanzigjährigen, buckligen Frau, die oberhalb Lissabons wohnt. Sie steht jeden Tag an ihrem Fenster und hofft, dass der von ihr Angebetete, von dem sie alles weiss, den Kopf hebt. Dann wird er sie sehen und etwas wird geschehen. Die Hoffnung, das Ausgelassene, was schnell wieder gebremst wird, hört man deutlich.
Die Tiefe und Warmherzigkeit Carminhos, ihre beseelte Leidenschaft und unglaublich Präsenz – eine Zugabe wurde ohne Mikrofone vorgetragen, dabei wurde es so still, dass man sogar die Grillen zirpen hörte – machten den Abend zu einem grossen Erlebnis. Mehr Stimme geht wirklich nicht.