KINO: DER KREIS
Murièle Weber - Der diesjährige Schweizer Beitrag für den fremdsprachigen Oscar erzählt nicht nur eine eindrückliche Liebesgeschichte, sondern behandelt auch ein Stück Zürcher Stadtgeschichte. Und dann gibt’s da noch diese Morde und die Frage, wer’s war.
Als sie sich treffen, sind sie beide 26. Es ist das Jahr 1956. Ernst arbeitet an der höheren Töchterschule (heute Kantonsschule Hohe Promenade) als Französischlehrer und Röbi ist Frisör und Frauendarsteller.
Züri ist bünzlig damals. Polizeistunde ist um Viertel vor zwölf, mit gross tanzen gehen ist da nix und schwul sein, ist erst gar keine Option, schon gar nicht als Lehrer. Um wenigstens nicht ganz isoliert zu sein, abonniert Ernst das „homophile“ Magazin Der Kreis, welches monatlich in einem neutralen Kuvert verschickt und dann von ihm sorgfältig vor seiner Haushälterin versteckt wird.
Neben dem dreisprachigen Magazin mit homosexuell-freundlichen Texten und homoerotischen Bildern organisierten die Herausgeber jährlich auch mehrere extravagante Männerbälle im heutigen Theater Neumarkt. Besonders nach dem 2. Weltkrieg waren diese in Europa einzigartig und zogen jeweils Besucher aus der ganzen Welt nach Zürich. (Man denke sich Street Parade im Miniformat. Und im Geheimen.) An so einem Ball lernten sich auch Ernst und Röbi kennen.
In den 40er und 50er Jahre hatte Zürich dem Rest der Welt für einmal etwas voraus und war im Bereich der schwulen Rechte fortschrittlicher. Homosexualität wurde bereits 1943 entkriminalisiert und auch die Herausgeber von "Der Kreis" wurden von der Polizei in Ruhe gelassen.
Das heisst, bis in die 60er Jahre als eine Reihe Morde im Schwulenmilieu die Stadt erschütterte und der Polizei einen Grund lieferte harte Kontrollen durchzuführen, schwule Männer öffentlich bis auf die Haut zu filzen und die Personalien von allen Teilnehmern der Bälle einzufordern, bis diese Festivitäten schliesslich ganz verboten wurden.
Diese damals in der Welt noch einzigartige Emanzipationsbewegung konnte Stück für Stück zerschlagen werden, aber schon im nächsten Jahr 1968 folgten die Globuskrawalle (heute der Coop auf der Bahnhofbrücke) und nun forderte auch die Zürcher Jugend ihre Rechte in dieser Stadt ein.
Da die Filmemacher, unter ihnen der Regisseur Stefan Haupt, nicht genug Geld auftreiben konnten für einen Spielfilm, entschiedenen sie sich dafür, den Film mit aktuellen Interviews von Röbi und Ernst anzureichern. Entstanden ist ein Mix, in dem sich Gegenwart und nachgestellte Vergangenheit abwechseln, was zugegebenermassen etwas gewöhnungsbedürftig ist, beim Grossteil des Publikums aber gut ankommt, wovon auch der Publikumspreis der Berlinale zeugt. (Der Film hat zusätzlich den Teddy-Award erhalten für den besten schwul-lesbischen Film 2014.)
Der Film ist nicht nur ein Stück Zürcher Stadtgeschichte, sondern zeigt auch wie schwierig es damals war, vor dem Internet, an Informationen zu kommen, die nicht der Haltung der Allgemeinheit entsprachen – Homosexualität stand noch bis 1973 auf der Liste der psychischen Erkrankungen. Vor allem aber ist der Film auch eine Art Mahnmal dafür, dass ein sozialer Fortschritt, einmal erreicht, nicht automatisch für immer erhalten bleibt, sondern immer wieder aufs Neue verteidigt werden muss.
NACHTRAG: Der Kreis vertritt die Schweiz an den nächsten Academy Awards in der Kategorie Best Foreign Language Film und hat sich damit gegen die Konkurrenz Der Golie bin ig durchgesetzt.
Wer sich für das Thema interessiert, der sei hier auf zwei weitere Filme aufmerksam gemacht: The Celluloid Closet (USA 1995) ein Dokfilm über die negative Darstellung von Schwulen und Lesben in Hollywoodfilmen.
Und The Imitation Game mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle (Kinostart 22. Januar 2015) über das Leben des Alan Turing. (Der Mann, der den Enigma-Code knackte und damit massgeblich zum Sieg der Alliierten im 2. Weltkrieg beitrug, nach dem Krieg wegen seiner Homosexualität aber zu einer Hormontherapie verdonnert wurde, die ihn schliesslich in den Selbstmord trieb.)
Bewertung: 3 von 5
- Titel: Der Kreis
- Land: Schweiz
- Regie: Stefan Haupt
- Drehbuch: Stefan Haupt, Christian Felix
- Darsteller: Anatole Taubman, Matthias Hungerbühler, Sven Schelker
- Verleih: Ascot Elite
- Start: 18. September
Fotos von Ascot Elite
Der Film hätte mit Geld aus der Schweiz und aus Deutschland finanziert werden sollen. Das Geld aus der Schweiz wurde gesprochen, das aus Deutschland nicht. Ich denke aber nicht, dass es am Thema lag, sondern wahrscheinlich eher daran, dass es eine Schweizer Produktion war.
Nicht nur damals.
Schade, dass die Filmemacher grade bei dem Thema Schwierigkeiten mit der Finanzierung hatten.