KINO: NIGHTCRAWLER
Joel Walder - Mit „Von den Produzenten von DRIVE“ wird für Nightcrawler geworben. Kann es aber sein, dass der abgebrühte, bittere Thriller, der unter Hochspannung Mediensatire betreibt, sich nicht einfach im Neo Noir-Fahrtwasser von DRIVE bewegt, sondern diesen glattweg links liegen lässt?
Lou Bloom ist ein findiger, aber aussichtsloser Kleinganove. Als er zufälligerweise an einen Unfall heranfährt, hält er von Voyeurismus getrieben an und sieht, wie ein Mann zwischen den Feuerwehrmännern hindurch die Rettung der eingeklemmten Frau filmt. Am nächsten Morgen findet Lou die Bilder im Frühstücksfernsehen, da der unbekannte Kameramann die Aufnahmen an den Höchstbietenden verkaufte.
Lou sieht eine lohnende Beschäftigung, organisiert sich einen Camcorder und fährt selber als Nightcrawler durch die Stadt. Er hängt am Polizeiradio, um Verbrechen und Unfälle aufzuspüren, möglichst grausige Aufnahmen zu machen und daraus Profit zu schlagen. Mit seiner akribischen Einarbeitung, Skrupellosigkeit und Renitenz findet er sich im Geschäft schnell zurecht. „If it bleeds, it leads“, lautet die Devise.
Zur bevorzugten Opferdemographie gehören mittelständische bis wohlhabende Weisse, denn die Schicksale armer Leute interessieren niemanden, so die Anweisung der Programmchefin – schon gar nicht, wenn sie dazu noch schwarz sind.
Wo Drive mit einer bedachten, manchmal bemüht poetischen Erzählweise die eine oder andere Länge aufweist, ist Nightcrawler kompromisslos spannend von der ersten Einstellung an. Bloom ist zwar kein einnehmender Zeitgenosse, doch man fiebert mit, hin- und hergerissen zwischen Bewunderung und Abscheu ob seiner mutigen Dreistigkeit. Der Film bietet unter seinen Hauptpersonen keinen klassischen Helden, mit dem das Publikum sympathisieren könnte und der narrative Sicherheit im Stile von „am Ende kommt’s schon gut“ bieten würde.
Dazu müsste erst ausgehandelt werden, wie ein allfälliges gutes Ende aussehen dürfte. Kann man Lou seinen Erfolg gönnen oder sollte man ihm die Pest an den Hals wünschen? Die Handlung bleibt stets schwer einschätzbar und mitreissend, ohne dass hanebüchene Twists für halbgare Überraschungen sorgen müssten.
Obwohl die Stossrichtung gegeben ist – die Aufnahmen werden spektakulärer, die Ausrüstung besser, die Aktionen dreister – bleiben zwei immerwährende Fragen: Was denkt sich dieser grauenhaft gute Bloom als Nächstes aus? Und wie lange kann das noch gut gehen? Die eigene ambivalente Haltung zu Blooms Gelingen hält dabei die Erwartungen hoch und die Nerven angespannt.
Dies funktionierte kaum, würde nicht auch die Inszenierung ordentlich einpeitschen. Häufig ist die dynamische Kamera nahe bei den Figuren und lässt den Zuschauer deren Perspektive und Wissensstand einnehmen. Die eingestreuten Bilder der Camcorder verstärken den realistischen, betrübten Eindruck und erlauben Bloom auch den einen oder anderen direkten Blick ins Publikum, der es in sich hat. Denn Jake Gyllenhaal haucht Lou Bloom als personifizierte Perversion des amerikanischen Traums eine wahrlich grauselige Seele ein und gibt ihm eine ungeheure Präsenz.
Dan Gilroy, der auch das Drehbuch geschrieben hat, versammelte für seinen Regieerstling renommierte und kompetente Leute um sich: Hervorzuheben sind Kameramann Robert Elswit (There Will Be Blood), Komponist James Newton Howard (The Dark Knight, Blood Diamond) und Cutter und Bruder John Gilroy, die alle einen erheblichen Teil zur Qualität des Filmes beitragen. Nightcrawler ist ein durchs Band bemerkenswert stilsicherer Film.
Die nervenauftreibende Handlung, die packende Inszenierung und der grossartige Jake Gyllenhaal sorgen für eine konstante Atmosphäre der Verunsicherung und Anspannung und machen den Film unwiderstehlich. Mehr davon, Mister Gilroy!
Bewertung: 5 von 5
- Titel: Nightcrawler
- Land: USA
- Regie: Dan Gilroy
- Drehbuch: Dan Gilroy
- Darsteller: Jake Gyllenhaal, Rene Russo, Riz Ahmed, Bill Paxton
- Verleih: Ascot Elite
- Start: 27. November 2014
Fotos von nightcrawlerfilm.com