Berlinale 2017: Tag 2
Christine Albrecht - An meinem zweiten Festivaltag dreht sich alles um Familie und Beziehungen. Ich tauche ein in die komplizierte Geschichte eines Liebespaares, wohne einer ersten heftigen Liebe eines junge Teenagers bei und lerne eine laute, chaotische argentinische Familie kennen.
Călin Peter Netzer springt in Ana, mon amour wild in der Zeitachse des Paares hin und her und erinnert daher zwischenzeitlich an Blue Valentine von Derek Cianfrance. Obwohl der Film über zwei Stunden dauert, wird einem aber nicht langweilig. Im Gegenteil: Je länger der Film dauert, desto mehr erfahren wir über die beiden Protagonisten, ihre Vergangenheit, ihre Erfahrungen und was sie zu den Personen gemacht haben, die sie sind.
Timothée Chalamet in Call Me by Your Name © Sony Pictures Classics
Einige Stunden später lerne ich eine andere Liebe kennen. In Luca Guadagninos Call Me by Your Name weilt Elio (Timothée Chalamet) im Sommer 1983 mit seinen Eltern in ihrer Villa in Norditalien. Als Olivier (Armie Hammer), Assistent seines Vaters, bei ihnen einzieht, ist das der Beginn eines leidenschaftlichen Abenteuers. Die Beiden erleben eine tiefe Freundschaft aber auch eine intensive Affäre.
In der Verfilmung des gleichnamigen Romans von André Aciman widmet sich Luca Guadagninos einer heftigen und turbulenten Liebe und dem Erwachsenwerden von Elio. Obwohl die erste Hälfte des Filmes etwas holprig daherkommt, wandelt er sich zu einer herzerwärmenden Coming of Age-Geschichte, die sich anfühlt wie ein lauer Sommerabend nach einem heissen und ereignisreichen Ferientag.
Adiós entusiasmo | So Long Enthusiasm
Von Norditalien geht es direkt weiter nach Argentinien. Hier nämlich lebt die Familie des kleinen Axel (Camilo Castiglione): Er, seine Halbschwestern Antonia, Alejandra und Alicia und seine Mutter, die in einem Zimmer eingeschlossen ist und mit der sie lediglich durch ein kleines Fenster kommunizieren. Nichtsdestotrotz wird ein Geburtstagsfest für die Mutter organisiert, die dem Fest von der anderen Seite der Wand beiwohnt. Es wird laut, emotional und aufwühlend.
Vladimir Durán lässt einen intimen Zugang zur Familie zu. Fast nie verlassen wir deren Wohnung und immer ist die Kamera nah an den Protagonisten dran. Was zunächst Nähe und Vertrautheit schafft, kippt immer mehr ins Klaustrophobische. Plötzlich meint man die Grenze zwischen Gastfreundschaft und privater Intimität überschritten zu haben. Zu gerne möchte man das nervenaufreibende Familienfest verlassen, doch Durán erhört uns nicht. Das anstrengende Zusammenkommen gilt es auszuhalten und am Ende ist man so ausgelaugt als ob man selbst Teil dieser Familie und deren Dispute wäre.
So neigt sich auch der zweite Berlinaletag dem Ende zu. Es ist kalt, neblig und nass und ein bisschen wünsche ich mich in die wunderschöne italienische Villa von Elio und Olivier. Und doch will ich nicht weg, denn nirgend sonst darf man ohne schlechtes Gewissen seine Tage im Kinosaal verbringen. Wettermässig verpasst man draussen ja eh nichts.
- Ana, mon amour (Wettbewerb)
mit Mircea Postelnicu, Diana Cavallioti
- Call Me by Your Name (Panorama Special)
mit Armie Hammer, Timothée Chalamet, Michael Stuhlbarg
- Adiós entusiasmo / So Long Enthusiasm (Forum)
mit Camilo Castiglione, Laila Maltz, Mariel Fernandez, Martina Juncadella, Rosario Blefari
Titelbild: Mircea Postelnicu, Diana Cavallioti in Ana, mon amour