DVD der Woche: Vierzig Gewehre
Christina Ruloff - Visuell visionär, prägnant erzählt und thematisch zeitlos: Sam Fullers Western Vierzig Gewehre hat alles, was einen grossen Film ausmacht.Die Wolken ziehen gewaltig über die Wüste und werfen drohend ihre Schatten auf die Erde. Hufschläge ertönen, Pferde stürmen zielgerade...
Die Wolken ziehen gewaltig über die Wüste und werfen drohend ihre Schatten auf die Erde. Hufschläge ertönen, Pferde stürmen zielgerade durchs Land und wirbeln Staub wie einen kleinen Tornado auf. Die ersten, charakteristisch langen Einstellungen zeigen die karge Welt des Westens, wie sie nicht mehr lange existieren wird. Griff Bonnell, Marshall im Dienste der US - Regierung, weiss um das Ende seiner Welt, das zugleich seine Existenz in Frage stellt, ja überflüssig macht. Sein letzter Auftrag konfrontiert ihn mit der Grossgrundbesitzerin Jessica Drummond, deren Schutztruppe – die dem Film seinen Titel gibt – eine Kleinstadt im Griff hält...
Eine Bande junger Männer besäuft sich, schlägt zum Spass Fenster ein und krönt ihr Amüsement damit, den örtlichen Marshall – einen wehrlosen, alten und erblindenden Mann – niederzuschiessen. Ein ganzes Dorf, erwachsene Männer und Frauen, lassen sich regelmässig terrorisieren, aus Angst vor Schlimmerem. Der Sheriff ist tief in Korruption und Vetternwirtschaft verstrickt. Und der vermeintliche Revolverheld Griff Bonnell? Er schaut mit scharfem Blick und fast väterlichem Verständnis auf die so bekannten Verhältnisse und rät dem lokalen Marshall, das Weite zu suchen. Es geht ihn alles nichts mehr an, er will nur noch seinen Auftrag erfüllen und es nach Kalifornien schaffen.
Was für eine Einstellung! Was für ein Regisseur! Vierzig Gewehre hat nur schon visuell so viel zu bieten.
Sam Fuller (sein berühmtester Film ist wohl Pickup on South Street, der Inbegriff eines Film Noir) schildert in kontrastreichem, hartem Schwarzweiss eine Gesellschaft, in der sich auch mit dem Ende des Frontiers nichts ändern wird. Die Bilder, langsam geschnitten und auskomponiert bis zum Letzten, sind nicht nur eine visuelle Freude, sondern verdichten die mal wütenden, meist aber resignierten Sequenzen zu einer allgemeingültigen Geschichte um Feigheit, Gewalttätigkeit und Verlorenheit des Individuums. Griff Bonnell (Barry Sullivan) ist auch kein Held, sondern eine schäbige, umso menschlichere Version von Gary Cooper, der sich für das Allgemeinwohl und das Gute nicht zu Heldentaten hinreissen lässt, sondern unter seinem Ruf als Killer leidet und an der eigenen Vergangenheit zu ersticken droht. Mag er seine Opfer (wie die Indianer die zu schlachtenden Tiere) im Voraus um Vergebung bitten, selbst verziehen hat er sich nie.
Barbara Stanwyck für einmal in Nöten!
Einen starken Partner findet er dank Fuller – Regisseur, Drehbuchautor und Produzent in genialer Personalunion – in der von Barbara Stanwyck (der mörderisch gelangweilten Ehefrau aus Billy Wilders „Double Indemnity“) verkörperten Grossgrundbesitzerin. Fuller verwendet die damals fünfzigjährige Stanwyck nicht wie üblich als dekorativen Blumentopf oder schwache Schulter für den Helden. Der im leitmotivisch verwendeten Lied (eine Idee, deren Urheberschaft Fritz Lang mit „Rancho Notorious“ für sich in Anspruch nimmt) besungenen „High Ridin’ Woman“ hat das Leben so viel abgefordert, dass sie niemanden mehr an sich heranlassen will. Und trotz dem (für die 50er Jahre moderaten) Gewäsch über den starken Mann, der die Frau schliesslich zähmt, ist sie es am Ende, die über ihren Schatten springt, und dafür sorgt, dass der gebeutelte Antiheld es doch noch nach Kalifornien schafft. Das Ende, eine beeindruckend simple und unspektakuläre Antiklimax nach dem brutalen Showdown, ist der Höhepunkt eines grossen Filmes, der auch nach wiederholtem Schauen eine innere Spannung und existenzielles Unbehagen hervorruft und nicht umsonst Regisseure wie Godard und Leone beeinflusst hat.
- Titel: Vierzig Gewehre
- Regie: Sam Fuller
- Darsteller: Barbara Stanwyck, Barry Sullivan
- Sprachen: Deutsch, Englisch