Review: Lou Reed @ Hallenstadion
Patrick Holenstein - Eine der letzten grossen Legenden des Rock, genauer gesagt der Singer-/Songwriterszene, hat Zürich besucht. Dabei nahm er eine Handvoll alter und neuer Fans mit auf einen Streifzug durch die deutsche Hauptstadt, deren Namen sein Meisterwerk trägt: Berlin.
Melancholischer Rockpoet
Ein Kinderchor leitet das Konzert ein und bald ist man mitten in Berlin. Auf der Tapete flimmern immer wieder kleine Filme. Beim Opener, der zugleich Titelsong der Platte ist, bekommt der Zuschauer Einblick in die Szenerie einer kleinen Kneipe. Als Intro erklingt „Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit…“, um gleich darauf den melancholischen Klängen Platz zu machen, für die man ins Hallenstadion gekommen ist. Voller Spielfreude legen Lou und seine Band los. Neun Musiker sind um den Rockpoeten versammelt, alleine vier an Gitarren. Unterstützt werden sie von einem Orchester und einem zwölfköpfigen Kinderchor. Nun hat das Zürcher Hallenstadion seit jeher ein kleines Akustikproblem, umso mehr erfreut es, dass hier die Töne glasklar aus den Boxen kommen und kaum etwas vom sonst nicht seltenen Sounddurcheinander zu hören ist. Sehr versiert und ohne den geringsten Anflug von Unsicherheit, aber voller Leidenschaft spielt sich die Truppe durch das komplette Album. Sie schwelgt in ausführlichen, traumhaft anzuhörenden Instrumentalparts und Gitarrensolos und setzt immer wieder Höhepunkte, wie Men of good Fortune oder den Abschluss des regulären Sets, Sad Song. So Musik zu hören, Musik auf diesem Niveau, macht einfach nur Spass. Lou Reed zeigt deutlich, warum er seinen Ruf hat. Ruhig steht er, stoisch und gelassen, auf der Bühne, seine Gitarre um den Hals. Als wäre er alleine, singt er seine Zeilen und entwickelt dabei eine Ausstrahlung, die sagen will: „Ich bin einer von euch.“ Das ist Lou Reed und genau dafür lieben ihn die Fans. Nichts war zu spüren vom zwiespältigen Verhältnis zum Meisterwerk in seinem Oeuvre, Berlin. Damals wurde es von der Presse in der Luft zerrissen. Reed kam damit nicht klar und verschloss sich. Er ist bis heute kein Freund der schreibenden Zunft und treibt nicht selten seine Spässe mit Journalisten. Umso schöner ist es, dass allem Anschein nach der Meister mit seinem Werk Frieden geschlossen hat. In Zürich jedenfalls ist nicht der Hauch von Unzufriedenheit zu spüren.
Nostalgische Magie
Die obligatorischen Klatsch- und Pfeiffspielchen lässt die Band nach dem Hauptset minutenlang anschwellen, dann betritt sie für einen Zugabenblock die Bühne. Drei Songs gibt es als Nachschlag, darunter den Hit Satellite of Love. Dann verlassen die Musiker die Bühne endgültig. Walk on the wild Side, seinen grössten Hit, bleibt Lou Reed schuldig, aber das macht nichts, denn irgendwie hätte es gar nicht in den perfekten Konzertabend gepasst, bei dem das Publikum ruhig, fast andächtig, den Klängen gelauscht hat. Es war eines jener Konzerte, bei dem die Luft deutlich spürbar voller nostalgischer Magie ist. Eine Magie, die wohl bei den meisten der Anwesenden noch lange anhalten wird.