Review: Heitere Open Air
Patrick Holenstein - Die düstere Farbkombination aus verschiedenen Graustufen, in der sich der Himmel über Zofingen bei der Anfahrt präsentierte, liess nichts Gutes vermuten. Die Zeichen standen überdeutlich auf Regen. So sollte dann auch das Motto des ersten Tages sein. Doch trotz der kühlen Te...
Die undankbare Aufgabe des Eröffnungskonzerts wurde den Zürchern von Deep Trip zu Teil. Die Zeltbühne war dann auch nur zu etwa einem Viertel gefüllt, als sie mit ersten wuchtigen Bässen das 18. Heitere Open Air entjungferten. Schon bald wuchs der Andrang vor der Zeltbühne, denn Deep Trip überzeugten. Ihr melancholischer Rock wird nicht selten mit Apocalyptica verglichen, auch wenn die Band das nicht gerne hört. (Mehr dazu im Interview ) Wie faszinierend die Ambivalenz aus kraftvollen Riffs und melancholischen Balladen ist, war eindrücklich zu hören. Einen Teil dazu trägt mit Sicherheit die Geige bei, welche Khin Hong Yip so zu spielen vermag, dass sie sich in die Songs einfügt, aber nicht zu dominant ist. Deep Trip waren ein starker Opener.
Das Konzert war noch nicht zu Ende, das standen schon Breitbild auf der Hauptbühne. Die Bündner fesselten das Publikum von Beginn weg und feierten mit den Fans. Ihren Hit Für 1 hets immer no glangt sangen sie gemeinsam mit einigen Tausend Menschen. Abgerundet wurde der Tag dann von einem sehr unterschiedlichen Dreigestirn. Der für perfekten Funk bekannte Jan Delay, der vergebens versuchte, die Wolken zu verscheuchen. Die als Geheimtipp gehandelten Kanadier von Danko Jones und abschliessend Züri West, welche immer ein sicherer Wert sind und nicht nur mit I schänke dr mis Herz Stimmung machten.
In der Nacht besserte das Wetter immer mehr und so stand einem zweiten, sommerlicheren Festivaltag nichts mehr im Weg. Den ersten Höhepunkt und vielleicht die Überraschung des Heitere war dann Adam Green. Über die Bühne wirbelnd und wild zappelnd wechselte er in einer Selbstverständlichkeit zwischen den Stilrichtungen, als hätte er die Musikgeschichte zum Frühstück gegessen. Mal fühlte man sich in der Discozeit der 70er versetzt, um dann gleich bei den Rock’n’Rollern ein Jahrzehnt davor zu tanzen oder sich in der Singer/Songwriterszene der Gegenwart wieder zu finden, er liess den Funk auferstehen und klang gleich danach wieder popig. Einziger Wehrmutstropfen war, dass Green eine Zugabe schuldig blieb: „Er ist schon im Backstagebereich verschwunden, hatte wohl keine Lust mehr“, meinte der Ansager, der kurz auf die Bühne kam, um das weitere Programm zu verkünden.
Den Samstagabend eröffneten Sektion Kuchikäschtli. Und wie sie das taten. Das Gedränge vor der Zeltbühne war enorm. Scheinbar wollte jeder die Bündner Rapper sehen, was ihren grossen Beliebtheitsgrad zeigte. Danach enterten Sportfreunde Stiller die Hauptbühne und unterhielten mit frechen Sprüchen und dem für sie typischen Fun-Punk. The Locos übernahmen gleich darauf das Zepter. Die Spanier blödelten sich durch ihr Repertoire, unterstützt von einer Art Grille, die im Hintergrund der Bühne aufgebaut war. Der Sänger trat in verschiedenen Verkleidungen auf, zum Beispiel als Priester. The Locos gelten immer noch als Geheimtipp, was sich vielleicht schon bald ändern wird. Am Heitere haben sie jedenfalls begeistert.
Den Part des Headliners am Samstag übernahmen Die Fantastischen Vier. Über sie muss man kaum mehr Worte verlieren. Seit bald 20 Jahren sind sie ein fester Bestandteil der deutschsprachigen Musikkultur. Dementsprechend viele Hits hatten die Stuttgarter dann auch im Set. Von MFG über Sie ist weg, von Tag am Meer bis Populär und aktuelle Sachen, wie Troy oder Geboren, war alles dabei. Die Erwartungen wurden restlos erfüllt, jedoch schlich sich ab und zu doch der Eindruck von Routine ein. Anschliessend durfte Miss Platnum den Abend beenden.
Der Sonntag zeigte sich erneut von seiner besten Seite, sowohl musikalisch als auch vom Wetter her. Der erste Höhepunkt war Seven. Der international erfolgreiche Sänger schaffte es spielend, mit seinem RnB zu begeistern. Für ihn war es eine Art Heimspiel, stammt er doch aus dem Aargau. Auf der Zeltbühne machten sich die Kummerbuben daran, das Publikum zu teilen. Sie, die den Ruf einer starken Liveband geniessen, überzeugten am Heitere nicht alle. „Das tat schon fast weh beim Zuhören, der kann ja nicht singen“, klagte eine Luzernerin, die wohl mehr erwartet hatte. Ihre Interpretationen von traditionellem Schweizer Liedgut sagen nicht jedem zu, gerade weil sie die Lieder im Stil von Tom Waits präsentieren und auch der nicht jedermanns Geschmack ist.
Zu einem undankbaren Zeitpunkt, kurz vor halb fünf, betrat dann Stephan Eicher die Bühne. Das OK des Heitere war besonders erfreut über sein Kommen, er war das erste Mal in Zofingen. Von Beginn weg demonstrierte Eicher, wieso er als Ausnahmekünstler gilt. Ganz alleine, in weissem Hemd unter einem schwarzen Gilet, stand er auf der Bühne. Eine weisse Gitarre um den Hals gehängt, begann er sanft zu singen. Was dann folgte war der absolute Höhepunkt des diesjährigen Festivals. Eicher gab sich als der charismatische Sänger, als der er geliebt wird. Gekonnt wechselten er und seine beiden Mitmusiker zwischen sanften Stücken und schnelleren Parts, steigerten innerhalb der Songs das Tempo sowie die Intensität und variierten die beliebten Hits aus Eichers Fundus, so dass es Spass machte, ihnen zuzuhören. Sogar eine schnelle Foxtrottversion von Mani Matters Hemmige passte, ja begeisterte das Publikum. Als dann störend ein Helikopter über dem Heitere kreiste, baute Eicher ihn in Campari Soda ein und sang vom Ventilator, der jetzt laut summte, anstatt leise, wie im Originaltext und natürlich konnte man im Text Zofingen aus dem Flugzeugfenster sehen. Als zweite Zugabe gab es den letzten Song der aktuellen Platte El Dorado, das wunderschöne Zrügg zu mir. Stephan Eicher setzte klar den Höhepunkt des Wochenendes.
Die schwere Aufgabe, in die Fussstapfen dieses grossartigen Konzerts zu treten, mussten Culcha Candela übernehmen. Diese liessen von Beginn an nicht den Hauch eines Zweifels, dass sie dem gewachsen sind. Im Gegenteil, sie feierten eine entspannte Reggaeparty, liessen das Publikum nach rechts gehen, wieder nach links, sie forderten, man sollte sich hinsetzten, um auf Befehl wieder aufzuspringen. Mit dem Nr. 1 Hit Hamma brachten sie die Stimmung so richtig zum Kochen, bevor dann Wir sind Helden auf der Hauptbühne das Festival abschlossen.
Das Heitere zeigte sich als charmantes, kleines Open Air – knapp 12'000 Besucher pro Tag. Das Gelände ist schön übersichtlich und auch vor den Toiletten kam man um allzu lange Wartezeiten herum. Zwischen Ständen, an denen es Batikstoffe und Kleider, Modeschmuck oder T-Shirts mit mehr oder minder frechen Aufdrucken zu kaufen gab, wurden viele Sitzbankgarnituren aufgestellt, damit man Sitzgelegenheit fand. Der Kultgegenstand war ein Plastikfächer, der am Milchstand verteilt wurde. Vom Kleinkind bis zum gestandenen Besucher waren alle froh über diese Erfrischungsmöglichkeit. Die drei Tage waren sehr beeindruckend – von der Organisation, über das Wetter bis zum Publikum. Ein perfektes, rundum gelungenes Heitere Festival.