Internationales Filmfestival Locarno 6.-16. August 2008
Diana Pavlicek - Eine Bilanz der ersten 5 Festivaltage Am Mittwochabend 6. August wurde das 61. Internationale Filmfestival in Locarno eröffnet. Den Auftakt machte der Film „Brideshead Revisited“ von Julian Jarrold, mit Emma Thompson in der Hauptrolle. „Brideshead Revisited“ ist die Ve...
Am Mittwochabend 6. August wurde das 61. Internationale Filmfestival in Locarno eröffnet. Den Auftakt machte der Film „Brideshead Revisited“ von Julian Jarrold, mit Emma Thompson in der Hauptrolle. „Brideshead Revisited“ ist die Verfilmung des teilweise autobiografischen Romans von Evelyn Waugh, der die britisch-katholische Aristokratie des Vorkriegs England kritisiert. Im Gegensatz zum Roman steht im Film die homoerotische Beziehung zwischen dem Ich-Erzähler Charles und dem jüngsten Marchmain-Sohnes Sebastian im Mittelpunkt.
An der Eröffnungsrede in der Magistrale zeigte sich das Wetter noch von seiner besten Seite. Je näher jedoch der Auftakt rückte, desto grauer wurde der Himmel über der Piazza. Vertrauen und Beständigkeit war gefragt. Wer den Wolkenbruch über sich ergehen liess, konnte schliesslich die Ouvertüre doch noch auf der Piazza geniessen.Das Wetter hat sich seitdem stetig gebessert und bietet den Festivalbesuchern eine beschwingte sommerliche Festivalslaune.
Vertrauen und Durchhaltewillen sind aber auch hinsichtlich des Programms gefordert.Obwohl Frédéric Maire, Artistic Director, letztes Jahr angekündigt hatte, das Programm für 2008 massiv zu kürzen, so treten dieses Jahr noch immer 18 Filme aus 16 Ländern im Wettbewerb um den Goldenen Leoparden an. Der Schweizer Beitrag “Un autre homme” des Waadtländers Lionel Baier überzeugte jedoch am Samstag 9. August nicht. Vielmehr zeigte sich „Katia’s sister“ (Het zusje van Katia) der einzigen weiblichen Regisseurin im Wettbewerb, Mijke de Jong, als ein valabler Anwärter auf den Leoparden. Hauptperson ist ein 13 jähriges Mädchen, dessen Namen bis zur Schlusssequenz unbekannt bleibt. Es definiert sich über seine ältere Schwester Katia und stellt sich dementsprechend auch immer als „Schwester von Katia“ vor. Sogar als Berufswunsch gibt es an, die „Schwester von Katia“ werden zu wollen. Voller Liebe und Bewunderung versucht sie Geborgenheit in das triste, zerrüttete Familienleben zu bringen. Die Mutter, eine alkoholabhängige Prostituierte kommt mit der Erziehung ihrer Kinder nicht klar. Zur Eskalation kommt es, nachdem sich Katia entschieden hat, als Stripperin ihr Geld zu verdienen. Die Mutter zieht aus und überlässt ihre beiden Töchter ihrem Schicksal. Erst ganz zum Schluss erfahren wir den Namen des Mädchens: „Lucia“. Doch schon viel früher sind wir eingetaucht in ihre Welt. Sein wirkliches Gewicht entfaltet der Film jedoch erst nach der Visionierung, wenn einem bewusst wird, dass die Wirklichkeit wohl noch viel härter und grausamer ist und dass in der Realität viele „Lucias“ mit solchen Problemen kämpfen, statt ihre Kindheit zu geniessen.Isolation und Einsamkeit sind auch Thema im Wettbewerbsfilm „Parque via“, das Erstlingswerk des jungen Mexikaners Enrique Rivero (geb. 1976). Er zeigt in ruhigen, durch komponierten Einstellungen das triste Leben des alten „Beto“, ein Indio. Dieser bewacht und pflegt als alleiniger Hausangestellter über mehrere Jahre eine luxuriöse Villa in Mexico City. Sein Leben ist monoton und besteht neben Putzen und Fernsehschauen aus den spärlichen Besuchen einer Prostituierten. Als das Haus endlich verkauft werden kann, sind Benos Dienste nicht mehr gefragt. Die Besitzerin, eine begüterte, ältere Dame ohne offensichtliche Emotionen, zeigt plötzlich Herz und bemüht sich, Beno eine gute Zukunft zu ermöglichen. Doch dieser kann sich mit der Vorstellung einer baldigen „Freiheit“ nicht abfinden und wartet mit einer schrecklichen Tat auf. Ein Leben im Gefängnis erscheint ihm besser, als ein freies Dasein ohne Arbeit.
Filme aus den USA fehlen im diesjährigen Wettbewerb ganz. Dafür sind sie an vier Abenden gleich mehrfach auf der Piazza Grande vertreten. Doch es sind die Deutschen, Philipp Stölzl und Hannes Stöhr, die diese Bühne in der ersten Hälfte des Festivals erobern konnten. Stöhr brachte mit seinem Film „Berlin Calling“ und dessen Techno/Elektro-Sound die Piazza nach Mitternacht zum rocken. Paul Kalkbrenner ist DJ und Hauptdarsteller des Films. „Berlin Calling“ zeigt das Leben des DJs Ickarus, Berlins Elektro-Nächte sowie den Kampf gegen Drogen. Paul Kalkbrenner, der auch alle Tracks für den Film komponiert hat, überzeugt mit einer guten und authentischen schauspielerischen Leistung. Erstaunlicherweise vermag die elektronische Musik, ohne nur einmal monoton zu werden, als roter Faden durch den Film zu führen.
Gute Chancen auf den Publikumspreis hat auch der Film des deutschen Regisseurs Philipp Stölzl. Mit „Nordwand“ zog er am Samstagabend die fast 8000 Zuschauer in den Bann. Mit „Nordwand“ will Stölzl das nahezu vergessene Filmgenre des Bergfilms wiederbeleben, aber auf seine ganz eigene, nüchterne Art. Der Film spielt 1936, als das Bergsteigen noch eine olympische Disziplin war. Somit verwundert es nicht, dass die jungen Bayern, Toni Kurz (Benno Fürmann) und Andi Hinterstoisser (Florian Lukas), begeisterte Bergsteiger, vom Nationalsozialismus, ungewollt, instrumentalisiert wurden. Sie sollten zu Helden des Dritten Reichs werden, indem sie als erste die Eigernordwand erklimmen. Die Wahl, den packenden Film mit seiner beeindruckenden, massiven Bergkulisse neben dem Lago Maggiore, unter freiem Himmel zu zeigen, erwies sich als goldrichtig.
Die Spannung steigt weiter und zwar auf morgen, Dienstag 12. August: den Schweizer Filmtag. Am Abend wird auf der Piazza der vielversprechende „Marcello Marcello“ von Denis Rabaglia gezeigt.Die weiteren fünf Festivalstage werden zeigen, ob sich das Programm aus der Senke ziehen kann, denn neben den erwähnten Filmen hat man wenig Packendes und schon gar nichts Neues entdecken können.Auch schafft man keine sieben Filme mehr pro Tag, denn das Warten auf Türöffnungen verschlingt mehr Zeit denn je.
Weitere Infos: www.pardo.ch