Hexerei - verflucht gute Literatur@Kaufleuten, 18.08.
Carola Denzel - Hexerei - Verflucht gute Literatur! So lautete das einladende Motto, unter dem die Lesung im Kaufleuten stand. Was genau man darunter verstehen sollte, nun, darüber scheiden sich die Geister. Eigentlich hatte ich mich auf einen Abend voller Gruselgeschichten, Sagen und Hexen ein...
Kaum hatte ich um kurz vor acht Uhr einen Sitzplatz im Festsaal des Kaufleuten ergattert, gingen auch schon die Lichter aus. Drei Männer und eine Frau betreten die Bühne, setzen sich. Da erklingt eine rauchige, dunkle Stimme zu Gitarrenmusik. „Hello, hello, turn your radio on, is there anybody out there, help me sing my song...“. Diese Worte kommen aus dem Mund Count Vlads, der den Abend musikalisch untermalen soll. Alle kucken gebannt auf diesen Mann mittleren Alters, dem man eigentlich gar nicht zutraut, so eine wundervolle, melancholische Stimme zu haben. Dann ist das Lied aus und der Moderator Hannes Hug ergreift das Wort: „Zwei Männer und eine Frau trinken Wasser, Count Vlad spielt dazu – so sieht der heutige Abend aus.“ Kichern im Publikum, sie alle haben Hugs schelmische Art erkannt. Dann stellt Hug die „Zauberkiste des Salis Verlags“ vor. Es soll nicht die übliche PR mit Autoren, Verlagen etc. sein, kein Hokospokus, kein Simsalabin, nur gute Geschichten.
Mit Irrgast von Mireille Zindel beginnt die Lesung. Die Geschichte handelt von der 35-jährige Eli, die mit ansehen muss, wie ihr Freund Elias direkt vor ihrer Haustüre niedergestochen wird. Nach diesem Ereignis fällt Eli in ein tiefes Loch, kann sich kaum noch an irgendetwas erinnern, ausser, dass ihr Elias ein „richtiges Arschloch“ gewesen sein muss. Als weitere Figur tritt Anna, die Nachbarin, auf, die Eli wie ein Stalker verfolgt und nachahmt. Trotzdessen ist Eli mit ihr befreundet, braucht sie sogar, um aus ihrem seelischen Tief heraus zu kommen. Dann folgt wieder ein Gitarrenspiel von Count Vlad. Man muss schon genau hinhören, um zu erkennen, dass es My Heart Will Go On ist, das er da singt. Denn das Schmalzige, Gekünstelte an diesem Liebeslied fehlt, anstatt dessen tritt eine Ernsthaftigkeit, die das Publikum bis ins Innerste bewegt und perfekt auf die traurige Geschichte der Eli einstimmt. Die Autorin ist leider aus familiären Gründen verhindert und so liest die junge Schauspielerin Ann-Kathrin Studer statt ihrer. Ihre klare, zarte Stimme fesselt die Zuhörer sofort. Sie erzählt aus der Sicht Elis, wie sie das Messer in den Rücken ihres Freundes eindringen sieht, wie der Detektiv Krieg sie ausfragt, nicht locker lässt, sie geradezu provoziert und Eli doch nie eine Antwort weiss. Man vergisst, dass es Ann-Kathrin Studer ist, die da vorliest, und nicht Eli selbst, wenn sie ihre Gedanken vorträgt: „Da erinnere mich, dass ich ihn hatte umbringen wollen. Und ich begreife, dass es dazu für immer zu spät ist.“ Schallender Applaus, nicht nur über das spannende Buch, sondern auch Studers Stimme wird in den höchsten Tönen gelobt.
Anschliessend ist der renommierte Ethnologe und Journalist David Signer mit seinem Buch Keine Chance in Mori dran. Ein skelettierter Antilopenkopf wird auf den Tisch gestellt. Zuerst erklärt er den Zuhörern, sie sollen die alten Klischees über Afrika vergessen, dann fügt er lachend hinzu, um neue zu schaffen. Schon hat er das Publikum gewonnen, alle schmunzeln. Eigentlich gehe es in dem Buch jedoch um eine chancenlose Liebesgeschichte. Serge macht sich nach Afrika auf, um Max zu suchen, von dessen Vater er den Auftrag hat, ihn zurückzuholen. Count Vlad singt wieder ein passendes Lied, Africa von Rose Laurens, in seiner ganz eigenen Art interpretiert. Dann beginnt Signer zu lesen. Es beginnt damit, dass Serge eine Bar betritt. Auf dem Schild am Eingang steht „Wenn Sie trinken möchten, um zu vergessen, zahlen Sie bitte im Voraus.“ Überall im Saal hört man Gekicher. Signers sanfte Stimme passt gut zu dem gutgläubigen, etwas naiven Serge, der die Mentalität der Afrikaner zwar nicht ganz zu verstehen scheint, aber akzeptiert. Das tut er, indem er jedem Einheimischen die erbetene Fanta zahlt und mit den viel zu jungen Mädchen, die ihm der Dorfführer aufdrängen möchte, bereitwillig tanzt. Jedoch, was er ganz und gar nicht akzeptiert, ist, dass er mit den Damen auf sein Zimmer gehen soll. Als ihm das angeboten wird, denkt er sich nur in depremierend-sarkastischem Ton, „manchmal gibt es nichts Schlimmeres als die Erfüllung von Fantasien“. Wieder lacht der ganze Saal, diesen Satz kennen wohl einige aus ihrem eigenen Gedanken-Repertoire. Serge verweigert allerdings zu Recht, denn kurz darauf wird er von einem Freund darauf hingewiesen, dass diejenige welche regelmässig vom Zimmer ihres armen Opfers die Polizei angerufen habe, um aus dem Ahnungslosen noch etwas Geld herauszupressen. So versucht Serge verzweifelt, das Mädchen abzuwehren und lässt auch ihre Ausrede, sie müsse mal auf die Toilette, nicht gelten. Daraufhin pinkelt die Verschmähte in eine Ecke ausserhalb des Gebäudes und er wird deswegen aus dem Hotel geworfen und muss auch noch Strafe zahlen. So stolpert der gutherzige, verwirrte Serge quer durch Afrika und verliert sich selbst etwas aus den Augen. Dabei will er doch eigentlich nur seinen Freund Max wieder ins schöne Zürich bringen. Signers Stimme verstummt, die Zuhörer klatschen begeistert.
Zur dritten und letzten Lesung wird eine heimelige, rot-weiss karierte Tischdicke vor dem Autor ausgebreitet. Hug erklärt, „das Buch ist so gut erfunden, dass das viele Wahre schon schmerzt“. Es geht um Menschen wie du und ich und der Autor von Gschnätzlets, Silvano Cerrutti, fügt hinzu, dass sich die Menschen nun mal unterbewusst mit dem Proletariat identifizieren und gerade deshalb so gut darüber lachen können. Dann stimmt Count Vlad ein schweizerisches Volkslied an. Erst jetzt frage ich mich, wo die Hexen eigentlich bleiben. Doch da beginnt der Journalist Cerrutti schon mit einem Gedicht in Mundart: Uri, Schweiz und Unterwald sehen mich nicht mehr gern“. Dabei knackt er mit den Händen, verzieht das Gesicht und ich frage mich, ist das nur Show oder ist Cerrutti wirklich so? Er flucht, er wolle keine Lindenstrasse und keinen Derrick, er sei nur noch „s’Würmli“, jeder Vogel kann ihn picken, er möchte nicht mehr lieb sein oder böse, er will kein Radio, er sei ganz klein. Dabei wird auch seine anfangs so zornige Stimme immer leiser und quietschiger. Schliesslich verstummt sie ganz und Count Vlad spielt noch ein Volkslied. Dann sagt Cerrutti, „dies ist der lustige Teil vom Abend gewesen“ und löst Gekicher im Publikum aus. Nun beginnt er seine eigentliche Geschichte. Er schlüpft in die Rolle einer Schweizer Hausfrau, die von den Vorzügen eines eigenen Hauses erzählt. Cerrutti spricht direkt zum Publikum, in einer Wohnung könne man um Mitternacht nicht mehr Radio hören, vom Duschen nach zehn Uhr noch ganz zu schweigen. Cerrutti als Figur der typischen Schweizerin schimpft über die „Reglementitis“ der Behörden in der Landwirtschaft, erzählt die Probleme ihres Cousins als Schweinezüchter und dass sie zu ihrem Bruno immer sagt, „man muss schweigen und vergessen können, wobei das Vergessen-Können die Voraussetzung ist, sonst trägt man ja die ganze Last mit sich herum“. Das Publikum kommt aus dem Lachen gar nicht mehr heraus, es scheint nicht zu bemerken, dass eigentlich immer noch ein junger Mann vor ihnen auf der Bühne sitzt und keine Dame aus der Nachbarschaft. Dem wird mit viel Applaus gehuldigt, auch Cerruttis Lesung scheint ein voller Erfolg zu sein. Tell Me Why I Don’ Like Mondays unterbricht kurz die Lesung, Count Vlad spielt wieder auf. Danach bedankt sich Cerrutti für den Applaus, nur um gleich daraufhin in die Rolle eines Pensionärs zu schlüpfen, „zwangsberuhigt, wie ich immer sage.“ Nachdem er zu Ende gelesen hat, fummelt Silvano Cerrutti am Mikro und wird von Count Vlad darauf hingewiesen, dass es kein Heavy Metal Equipment sein, was wieder zu Lachsalven im Publikum führt. Dann spielt Count Vlad Guess Things Happen That Way, was ebenfalls sehr gut bei den Zuhörern ankommt.
Am Ende der Lesung angekommen, eröffnet Hug ein kleines Interview mit Signer und Cerrutti. Der Moderator geht auf den Titel Hexerei ein, welche Tricks denn die Autoren hätten, um ihr Publikum zu verzaubern. Signer meint, es gäbe keine und zitiert Màrquez, der meint, subreal bedeute, etwas zu fingieren, was man nicht kennt, surreal dagegen, fingiere man, indem man es kenne. Da er, Signer, ja Ethnologe und Schriftsteller sei, treffe dementsprechend das Surreale auf ihn zu. Cerrutti dagegen meint nur, er schreibe bloss nicht über sich selbst. So geht die Unterhaltung zwischen den drei Männern noch kurz weiter, dann singen Count Vlad und Silvano Cerrutti zum Abschluss, wobei auch Cerruttis Stimme erstaunlich gut ist. Dann folgt ein letzter Applaus und es ist Schluss. Was nun aber aus den Gruselgeschichten, den Sagen und Hexen geworden ist? Ich weiss es nicht. Hexerei war auf jeden Fall im Spiel, denn erst jetzt fällt mir auf, dass gar keine Hexen da waren – und ich sie gar nicht vermisst habe.
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