Aus dem Callcenter II

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Herr Schneider ruft an. Bei ihm ist eingebrochen worden. Alles weg, auch der Chronomath den er vor Jahren bei unserem Unternehmen gekauft hat. Vor Jahren...

- Ein Chronomath, moment ich suche den in unserer Datenbank.

Ich sitze immer noch am selben Computer, habe immer noch das selbe Headset auf wie vor Monaten, doch ich mache unterdessen Kundendienst für ein anderes Unternehmen, telefoniere offiziell auch aus einer anderen Stadt. Produktsupport. Ich weiss angeblich Bescheid über die Verarbeitung des Velos, soll die bayrische Hausfrau beraten was Matratzen, Küchentücher oder - maschinen, was Einmachgläser und Glätteisen angeht, erkläre dem Heimwerker wie er das neue Stereo-Unterbauradio in die Küche montiert und helfe aufs Geratewohl Plattenspieler und Aussenthermometer zu installieren.

Mittlerweile hat Herr Schneider mir mehr über seine - hab ich wieder was gelernt - Uhr erzählt die ihm entwendet wurde. Er braucht fürs Polizeiprotokoll den Preis, damit ihm die Versicherung den dann erstatten kann. Den ansehnlichen Chronomathen habe ich nun in unserer Datenbank gefunden, gebe den läppischen Preis an den Herren weiter, wünsche ihm viel Glück und verabschiede mich.

Oft ist es sehr einfach zu helfen. Manche Kunden setzen einfach die Batterie falsch in die neue Wanduhr; darauf muss man aber erstmal kommen. Und wer denkt daran, dass die undurchsichtige Schutzfolie über dem Display des MP3-Players die Ursache für die immergleiche Anzeige ist? 80 % der Reklamationen sind Bedienungsfehler. Etwa die Hälfte davon enttarne ich als solche, der Rest wird ersetzt, wir sagen repariert.

Ich habe nur die Artikelbeschreibung und eine Bedienungsanleitung in Schwarz/Weiss. Das heisst, ich weiss bei der Universal-Fernbedienung beispielsweise nicht wo der rote und wo der blaue Knopf ist.

Normalerweise klingelt das Telefon permanent. Natürlich bestimmt auch das Fernsehprogramm die Frequenz. Während Werbepausen schiessen die Anrufe nach oben. Ich brauche stets die Artikelnummer, sonst ist die Suche uferlos. In den letzten Jahren wurden etwa 60 verschiedeneTee-Services verkauft - was auch immer das ist. Etwa 20 davon haben irgendwelche Rillen, 20 haben Blumen, 10 sind beige und ebensoviele weiss. Die passende Ersatzuntertasse ohne Artikelnummer zu finden ist also schier unmöglich. So liege ich auf manch einem Telefontisch in Deutschland während die Anrufer im Nebenzimmer keuchend den Artikel suchen auf dem die Nummer praktischerweise direkt draufsteht.

Manche Kunden sind unverschämt. Alles liegt schon bereit. Profimässig. Kassenbon, Artikelnummer und die 15.99€ Jacke selber ist auch zur Hand. Kaputt. Natürlich. Abgewetzt, mehr als das nach einem Jahr üblich sei, eine neue soll kostenlos her, die Bestellnummer dazu ist schon rausgesucht. Ich wimmle freundlich ab und verbinde zum Kollegen am Nebentisch, der Bestellhotline in einer - wie faszinierend - anderen Stadt.

Und schon klingelts wieder.

Es meldet sich ein Herr.

Herr Schneider.

- Guten Tag Herr Schneider!

Es geht um einen Chronomathen. Bei Herrn Schneider wurde eingebrochen und unter anderem wurde sein Chronomath gestohlen.

- Herr Schneider, wir haben doch vor ein paar Tagen schon miteinander gesprochen. Genau über diese Uhr!

- Nein. Ich habe noch nicht bei Ihnen angerufen!?

- Doch, letzte Woche, sie wollten doch den Preis wissen. Fürs Polizeiprotokoll.

- Nein, ich habe... dann, wirklich dann...

Und plötzlich dämmert es uns beiden.

Letzte Woche, das war nicht Herr Schneider.

Oder! - schiesst es mir durch den Kopf - spreche ich hier gerade mit dem oberabgebrühten Dieb?