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Thurgauer Tubelworscht vs. Sangaller Olma-Chalpsbrodworscht vs. Appezeller Södwooscht

23.06.2011 um 23:41

Thurgauer Tubelworscht vs. Sangaller Olma-Chalpsbrodworscht vs. Appezeller Södwooscht

Husistein war ein harter Seckel, solche Männer werden heute nicht mehr gemeisselt. Bullig und untersetzt stampfte er durch die Dorfstrassen, den Blick starr in die Ferne gerichtet, den Kiefer in Knirschposition, die Schläfen glühend rotadrig mit Lavaströmen versehen, die Fäuste schwarzadrig geballt, die Frisur gerade so zusammengeschoren, als käme er aus dem I. Weltkrieg nach Hause. Unter der Woche schraubte, schmierte, hämmerte und fluchte Husistein in seiner Opel-Werkstatt herum. Die Dorfbewohner klopften nur zitternd und schuldbeladen bei ihm an, denn Husistein war zwar ein schweigsamer Mensch, doch wenn er sprach, dann zuckte die Umwelt zusammen, in Erwartung eines Schlages nicht unter Stärke 7,5 auf der Erdbeben-Skala. Seine Kommentare zur Autopflege der Kundschaft waren militärisch barsch, seine Blicke auf die vor die Werkstatt gerollten Opel von totalem Entsetzen über die Unfähigkeit der Kunden entstellt. Gefürchtet war sein Gebell unter der Motorhaube hervor: «V’tammisiech, Schofseckel, chasch de Charre grad selber go verschrotte.» «Chomm, gimmer de Schlüssel dött ... gopfertammi, de Siebner, häsch d’Auge im Arsch, sternesiech!» Verbeulte Kotflügel pflegte er mit den Fäusten auszubeulen, für den Radwechsel brauchte er keinen Wagenheber.

Dabei hatte man dem Auto nichts Böses getan, höchstens kein Öl nachgefüllt oder den lottrigen Auspuff übersehen. Und dafür geht man doch zum Automech, oder? Aber Kundenservice hiess für Husistein allerhöchstens, den Kunden am Leben zu lassen. In diesem Thurgauer Dorf einen Opel zu kaufen hiess, Husisteins Jähzorn fürchten zu lernen bis ans Lebensende. Warum doch alle zu ihm gingen? Er war der beste Mech, er machte die fairsten Preise. Trinkgeld nahm er nie. Danke sagte er nie. Das Echo seines letzten Lachens musste in einer Zeit verhallt sein, als zur helvetischen Kartoffel-Anbauschlacht geblasen wurde (II.Weltkrieg).

Am Wochenende, am Samstag um vier Uhr morgens, verschwand Husistein aus seinem Haus, stieg allein in seinen Opel und war bis Sonntag abend spät nicht mehr gesehen. Die Legende besagt, dass Husistein nur mit einem Kanten harten Brotes und einer kleinen Feldflasche Leitungswasser bewaffnet in die Berge aufbrach. Pullover, Regenjacken oder Nylonseile brauchte er nicht. Er stieg in die Berge mit nichts als Nagelschuhen, einem dicken Hemd und einer Bergsteigerhose: Sonnenbrille? Fehlanzeige. Sicherheitshaken? Papperlapapp. Luis Trenker war ein sitzpissender Adilettenwarmduscher Im Vergleich zu Husistein. Der Berg ruft? Quatsch. Hätte Husistein gerufen, der Berg wäre zu ihm gekommen. Was er aber in den Bergen tat? Keine Ahnung. Vielleicht hat er da geredet, mit sich selbst. Oder er hat Deathmetal-Songs komponiert. Oder laut gelacht, geheult. Man weiss nichts.

Husistein war wohl der einzige Thurgauer, der in seinem Leben nie eine Wurst auf dem Brot hatte. Es wäre ihm lächerlich vorgekommen, mehr von der Natur zu nehmen als Wasser, Brot, Berge und ab und zu einen Opel. Vielleicht empfand er das Leben tatsächlich als Knast, vielleicht gönnte er sich nichts, um sich selbst seine Härte zu beweisen. Ja, er war ein harter Seckel. Als er vor ein paar Jahren an einem Herzinfarkt starb, hörte ich das erste Mal, dass er überhaupt ein Herz hatte.

Es gibt neben Husistein einige Menschen, die das Brot ohne Wurst essen, aus welchen Gründen auch immer. Adolf Hitler zum Beispiel hätte nie Wurst gegessen, weil er Vegetarier war. Saddam Hussein auch nicht, weil er kein Schweinefleisch isst. Auch weit bessere Menschen als Husistein, Hitler oder Hussein kann ich mir schlecht beim Servelatessen vorstellen. Zum Beispiel, äh, Gigi Oeri. Nie und nimmer: Luxus und Servelat geht einfach nicht zusammen, klarer Fall von Klassenfrage. Und Servelatprominenz gibt’s ja genug im Land, da steht die Gigi drüber.

Als in der Ostschweiz Ende der 80er Jahre die ersten privaten Grossversuche mit MDMA anliefen und nach dem samstäglichen Drogenkauf eher wenig Geld für feste Nahrung übrig blieb, pflegten mein Freund P. und ich den Hunger mit Bier und Servelat zu verscheuchen. Danach schmissen wir je eine 125 Milligramm-Kapsel vom guten Pulver. Nicht selten, wenn der Ecstasy-Turbo zündete, kotzte mein Freund P. seinen viertelverdauten Servelat im weiten Bogen wieder aus (sein Würgegeräusch dabei klang wie Woa-ahh-schsch-t!, also wie Worscht = Wurst). Ich kroch dann am Boden herum und sammelte die kleinen Stücke auf, klaubte sie auch mal von der Badezimmerwand und versuchte, sie wie ein Puzzle zusammenzusetzen. Aber das gelang nicht, das Hirn war schon woanders, der Wahn von Sinnen. Hätte Husistein uns dermassen verladen gesehen, er hätte uns erwürgt; Freund P. mit der linken und mich mit der rechten Hand, gleichzeitig. Der hätte das gebracht, keine Frage.

Dabei ist Servelat und Brot mindestens im Thurgau ein sehr beliebtes und billiges Essen. Es gibt die Fraktion, die den Servelat in Scheiben schneidet und sie zwischen die Brotscheiben legt: Dabei besteht aber die Gefahr, dass einzelne Scheiben rausfallen, wenn man reinbeisst. Dann gibt es die clevere Fraktion, die den Servelat längs in zwei Teile schneidet, um den besseren Überblick beim Beissen zu haben. Manche halten in der rechten Faust die Wurst, in der linken den Brotkanten und reissen abwechslungsweise mit den Zähnen Stücke raus. Mir gefällt das nicht so, denn einen Servelat in der Faust zu halten, fühlt sich an wie ein toter Schwanz. Andere spiessen den eingeschnittenen Servelat auf einen Haselnussstecken und grillen ihn über dem Feuer im Wald. Mir hat das nie geschmeckt, vermutlich kam mir auch da die Schwanzsache in die Quere.

Die St. Galler lachen natürlich über die primitiven Thurgauer, denn die St. Galler sind dermassen geile Siechen, dass sie die Sangaller Olma-Chalpsbrodworscht erfunden haben und damit jedem, der es noch nicht weiss, vor dem Gesicht rumwedeln. «Di bescht Worscht!» rufen sie dabei mit ihren Arschlochmäulchen. Klar, stimmt ja leider. Ausser natürlich, Fanfaren: die Appezeller Södwooscht, die Siedwurst mit Kümmel und allerlei geheimen Beigaben. Die sollte Gigi Oeri auch mal versuchen, eine De-li-ka-tesse! –Minu könnte das Würschtli für Gigi Oeri kochen, in seinem «Tele Basel»-Kochstudiöli. Ich hätte geheime Metzgeradressen für allerbeste Ware, kein Problem.

Die Ostschweiz ist ansonsten aber eine seltsame, garstige Kammer, man muss da nicht unbedingt reingehen. Denn es kann passieren, dass sich drinnen ein Sangaller und ein Appezeller mit Würsten duellieren und am Boden hockt ein Thurgauer Tubel und nagt an seinem schwanzwarmen Servelat rum, während Husistein motorenölüberströmt in der Ecke steht und auf einen unschuldigen Kunden-Opel eindrischt: «Huere verfluechte Schiiss-Ascona!»

Doch doch, das kann schon passieren – da passieren noch ganz andere Sachen, in der Ostschweiz. Aber davon vielleicht später.

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