mimikry's neuster Blog

Der Milchbuben-Streik

Der Milchbuben-Streik

29.05.2008

CC für "Schnell-Leser": Das Beste kommt meistens am Schluss. (s. auch Blog von patti-on-tour)Hand aufs Herz: Wann habt ihr das letzte Mal in eurem Leben gestreikt? Erinnert ihr euch noch...? Bei mir war das im Militär letztmals der Fall gewesen. Da i... [mehr]
5408 mal gelesen | 30 Kommentare

mimikry's Freunde

mimikry

mimikry

Besucher

2885 Besucher seit 29.01.2008

Studium

Geschichte
Universität Zürich

Liebesleben

In einer Beziehung

Der Milchbuben-Streik

29.05.2008 um 23:28

CC für "Schnell-Leser": Das Beste kommt meistens am Schluss. (s. auch Blog von patti-on-tour)

Hand aufs Herz: Wann habt ihr das letzte Mal in eurem Leben gestreikt? Erinnert ihr euch noch...? Bei mir war das im Militär letztmals der Fall gewesen. Da ich mich als Ältester und Einziger damals für mein Verhalten konsequent nicht entschuldigt habe, sondern eine durchaus giftige Stellungnahme auf das berühmt berüchtigte Formular 6.5 schrieb, hätte mir das zum Schluss beinahe ein paar Tage Arrest in einer engen Zelle mit Bibel und Dienstreglement eingebracht. Indirekt führte diese Angelegenheit dazu, dass ich und mein verletzter Stolz sich trotz unseres vorher gemeinsam fest gelegten Plans entschlossen, eine Offizierslaufbahn einzuschlagen, was im Endeffekt einige meiner besten Kollegen hämisch als grössere Strafe titulierten.

Nun ja, ansonsten bin ich ja ganz schön friedlich. Ganz nach dem Motto: „Grind abe ond dorre!“ trage ich sämtliche Bürden und Prüfungen mit meist stoischer Ruhe und lasse mich öffentlich nur selten aus der Ruhe bringen. Was sich in mir abspielt, will ich nicht weiter erläutern. Man stelle sich einfach einen Vulkan vor, in dessen Krater eine erstarrte Schicht von Lava das brodelnd heisse Magma abdeckt. Bisweilen lassen sich auch auf dem Badmintonfeld gewisse zögerliche Eruptionen, welcher Art auch immer, bei mir beobachten.

Die Herleitung des Begriffs „Streik“ aus dem Englischen, unter der man eine kollektive Arbeitsniederlegung mit dem Ziel, den im Rahmen des Arbeitskampfes aufgestellten Forderungen Nachdruck zu verleihen, wird vielen noch geläufig sein. Wenn nicht, sei an dieser Stelle auf www.wikipedia.org verwiesen, auf der man sich meist verlässlich updaten lassen kann. Zugleich ist dort auch ein Hinweis auf den historisch ältesten Streik zu finden, der sich unter dem Slogan „Wir sind hungrig!“ unter der Herrschaft von Pharao Ramses III. um 1155 v. Chr. beim Bau eines Totentempels in Ägypten abgespielt hat und auf Papyrus überliefert wurde.

Hunger ist in der Schweiz glücklicherweise schon lange kein Thema mehr. Das, was wir heute als Hunger verstehen und benennen, hat nichts mit dem zu tun, was gewisse Generationen vor uns in den Zeiten des Pauperismus auszustehen hatten. Die Symbolik von Robert Köhlers Gemälde aus dem Jahr 1889 spricht Bände und demonstriert den sozialen Unterschied deutlich (Vergleich Unternehmerhaus-Arbeitersiedlung, Vergleich Unternehmer-Arbeiterkleidung, Vergleich Unternehmer-Arbeiterteint, erhöhte/untertänige Stellung).In den damaligen Anfängen der Industrialisierung ging erstmals so richtig die soziale Schere zwischen Ober- und Unterschicht auf. Durch eine vertikale Arbeitsteilung gelangte die Mittel- und Oberschicht, qualifizierte Arbeiter und Unternehmer, zu immer grösserem Wohlstand. Hingegen konnte es sein, dass ein Lohnarbeiter, der sechs oder sieben Tage in der Woche jeweils 14 oder gar 15 Stunden arbeitete, nicht genügend verdiente, um sich oder seine Familie zu ernähren. Das Geld reichte auch nicht, wenn der Rest der Familie ein zusätzliches Einkommen heimtrug.

Die Querelen um die durch Kinderhand hergestellten Eurobälle einer Schweizer Grossbank mit momentaner Schräglage mögen da gewissen Parallelen aufzeigen, doch schlagen sie keine hohen Wellen, weder in den Medien noch in der Politik. Es sind ja nicht unsere Kinder, die missbraucht werden. Unsere Kinder kommen ja in den Genuss einer guten, soliden Ausbildung, die ihr und ich mit Steuergeldern finanzieren. Degressive Steuerpolitik und „flat tax“ lasse ich links liegen.

Dass meine Mutter bereits vor Vollendung ihres dreizehnten Lebensjahrs mit einem gefälschten Ausweis in der Bally in Dottikon arbeitete und 100 Prozent ihre Lohns zu Hause auf den Tisch zu legen hatte, sei nur am Rande erwähnt und soll denen, die sich denken, dass das alles „olle Kamellen“ eines angehenden Lic. Phil. seien, zeigen, dass sich oftmals überholte und veraltete Entwicklungen in der Geschichte wiederholen, was ja eben den Sinn des Geschichtsunterrichts in der Schule ausmacht. Dass man den Boden unter den Füssen nicht verliert und ihn zu kultivieren oder neuerdins eben zu renaturieren beginnt, wenn man denn eines Tages selbstständig über den Verlauf seines Lebens entscheidet.

Eben bei der heutigen Preisentwicklung der Milch und der Preispolitik von „Milchproduzenten“ wie die Firma aus dem Emmental (Eigentlich sollten ja Kühe als Produzenten aufgeführt werden, oder? Aber die werden in den Medien einfach übergangen, die armen Schweine...) sehe ich gewisse Grundzüge von Missständen, die nun den seit langem in einem strukturellen Wandel begriffenen Bauernstand in voller Härte treffen. Unter fadenscheinigen Gründen, minimale Senkung des Fettgehalts, wird der Milchpreis für den Endverbraucher verbilligt, obwohl dies ja zusätzliche Produktionskosten bei der Entrahmung verursacht. Sollte damit vielleicht der wachsende Markt der linienbewussten (schein-)übergewichtigen Nichtlaktoseallergischen erschlossen werden?

Die langjährigen Existenzängste der Bauern werden im Gegenzug verniedlicht, banalisiert und die Forderung nach einem fairen Milchpreis überhört oder einfach in den Wind geschossen. Für Insider, die nicht nur einfach zum Milchregal marschieren und sich über den Katzenjammer des ehemaligen „Nährstandes“ aufregen und denken: „Statt Subventionen einzusacken, sollen die mehr arbeiten wie wir auch!“, ist der Fall klar: Die Bauern sind durch die Lösung von der Milchkontingentierung, die Öffnung des Marktes und die Abnahmeverträge mit den Milchverarbeitungsgiganten zu wild zappelnden Fischen an der Angel der Profit einstreichenden Grossverteiler geworden. Ja, mit dem Lebensmittelgrosshandel lässt sich tüchtig Geld verdienen. Zufälle gibt es, dass aber erstaunlich viele Firmen und Grossanleger in diesen Handel einsteigen, die Zigarettenmultis seien hier einzig erwähnt, und dass weltweit die Lebensmittelpreise ansteigen, ist mehr als eine Verkettung einiger zufälliger Kausalitäten.

Mit dem sich nun seit zwei Tagen von Süddeutschland her ausbreitenden Milchstreik der Bauern versucht sich der an der Angel zappelnde Fisch vom Haken zu lösen. Dies hat zur Folge, dass heute allein auf einem einzigen mir wohlbekannten Bauerngut im Fricktal 1300 Liter Milch nicht den Weg in den Tanklastwagen, sondern in die Jauchegrube gefunden haben. Das mag befremdend wirken, vor allem im Hinblick auf die vorgängig thematisierte weltweite Nahrungsmittelknappheit. Wenn man aber bedenkt, dass tagtäglich bei Schweizer Detailhändlern aufgrund der Marktstrategie, zu der der Kundenservice gehört, stets frische, wirklich frische Waren in den Verkaufsregalen feilzubieten, tonnenweise Lebensmittel im Abfall landen, so erscheint das Vorgehen gewisser Bauern beinahe normal zu sein.

Kommen wir zum Schluss, zum Wesentlichen:Damit sich das gestrige Bild nicht wiederholt, sind alle Endkonsumenten freundlich eingeladen, ihre Milch statt im Laden bei streikenden Bauern gratis abzuholen. Ihr könnt euch wahrscheinlich vorstellen, was ich in den nächsten Tagen als Gastgeschenk mitbringen werde...

Infos zum Streik!

Kommentare
Login oder Registrieren
mimikry 02.06.2008 um 17:32
Als voreingenommener Schlichter in dieser Privatfehde ( darf man bei der Milchwirtschaft trotzdem die ausserwirtschaftlichen Punkte nicht ausser Acht lassen, die einen gewissen staatlichen, fast schon merkantilistisch angehauchten Interventionismus nötig machen. Rein betriebs- und marktwirtschaftliche Lösungsmuster reichen meines Erachtens nicht aus, sorry. Leistungsorientierte Stallfütterung ist billiger. Klar. Was ist aber mit Tierschutzauflagen, extensiver Landschaftspflege, Hygienenormen etc.? Wenn das die Milchverarbeitermultis auch zahlen würden und in ihre mehr fadenscheinigen Preisberechnungen einbezögen, wären wir vielleicht wieder bei einem Milchpreis von einem Franken pro Liter und alle wären zufrieden. Dass aber den Milchverarbeitern daran liegt, diese durch Abnahmeverträge eingegangenen Abhängigkeiten der Bauern schamlos auszunützen und nur eigene Kosten zu optimieren suchen, zeigt sich nicht erst seit der eigenen Sendepause und dem verhängten Redeverbot. Wer Kommunikation hemmt oder verbietet, fürchtet eine Eskalation durch verschwiegene Tatsachen.
@Patti: Schaffe, schaffe...
mimikry 30.05.2008 um 23:36
Sollen sie(?) doch Gesetze, Wahlen und Abstimmungen abschaffen, wenn nicht alle SVP wählen und alle SVP-Anliegen unterstützen. Wohl eher nicht, oder?
Ein Gleichnis für den Bibelkundigen:
Das mit der Rentabilität ist so eine Sache, die man nicht so einfach aus dem Bauch heraus abtun kann. Nicht allen ist nämlich alles gleich viel wert.
In der Schweiz zahlst du beispielsweise in einem Restaurant wenig bis gar nichts für ein Glas sauberes Wasser. Es ist also quasi wertlos. Am Titicacasee verzichtest du dankend auf ein Glas Wasser, obwohl es ebenfalls gratis ist. Sollte Schweizer Wasser doch einen gewissen Wert haben, den man nicht jeweils realisiert?
mimikry 30.05.2008 um 13:44
Danke. Passe mich den momentanen Lebensumständen an. Nörgler verändern scheinbar mehr: in Wissenschafts- wie in Politikkreisen. Nietzsche, Foucault ................ und Blocher lassen grüssen
mimikry 30.05.2008 um 04:07
Danke für die Richtigstellung, obwohl die Verknüpfung nicht ernsthaft beabsichtigt gewesen wäre.
Form 6.5 ist eigentlich ein Allerwelts/-Melde-/Bestell-/ Kritik-/Notizblock in der Schweizer Armee. Jeder AdA lernte in den ersten Ausbildungswochen den Umgang samt pingelig einzuhaltenden Formalitäten.