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18. Oktober 2008, 13:15 International

Kosovo-Tagebuch: Teil 1

Simon Knopf - Im August 2008 verbrachten der Fotograf Christoph Oeschger und ich rund drei Wochen in der Republik Kosovo. Unser Ziel war eine Kombireportage über die Perspektiven einer jungen Generation in diesem Land. Wärend dieser Zeit flossen meine Eindrücke und Erlebnisse in ein Journal...

Im August 2008 verbrachten der Fotograf Christoph Oeschger und ich rund drei Wochen in der Republik Kosovo. Unser Ziel war eine Kombireportage über die Perspektiven einer jungen Generation in diesem Land. Wärend dieser Zeit flossen meine Eindrücke und Erlebnisse in ein Journal. In den kommenden Wochen werde ich Teile davon wöchentlich im Bereich "International" veröffentlichen. Auf Grund der schieren Menge an Text wird es sich dabei aber lediglich um Auszüge und Fragmente handeln.

08.08.08 - Die Ankunft

Der Flughafen Pristina ist ein unscheinbares, nicht sehr grosses Gebäude, vor dem Christoph und ich nun stehen. Kaum 15 Minuten sind seit der Landung vergangen. Um uns herum Familienmitglieder, die sich umarmen, dazwischen einzelne UN-Mitarbeiter und ein, zwei KFOR-Soldaten. Für einen Moment fühle ich mich etwas verloren, besonders weil mir gerade jetzt einfällt, dass wir keine Ahnung haben, wie Fatmir, unsere Kontaktperson, eigentlich aussieht. Noch während ich mir überlege, was wir machen würden, falls er nicht auftaucht, tritt ein Mann mittleren Alters auf uns zu. Er ist etwa 1.80 gross, trägt ein blaues Hemd und Jeans. Auf seiner Boxernase sitzt eine neumodische Sonnenbrille. Es ist Fatmir, der uns in gebrochenem Deutsch begrüsst und fragt wie der Flug war.

Es herrscht strahlend schönes Wetter und ein leichter Dunst hängt über den Hügeln in der Ferne. Zwischen Bäumen hindurch kann man auf dem eingezäunten Flughafenareal Teile eines grossen, dreckig-weissen UN-Zeltes sehen. Vermutlich eine Lagerhalle. Zum ersten Mal seit dem Abend vor dem Abflug meldet sich wieder diese Mischung aus Nervosität und Spannung bei mir.

Wir nehmen ein Taxi, um vom Flughafen in die Stadt zu gelangen. Das Fahrzeug ist ein Mercedes, der vermutlich irgendwann Ende der 80er gebaut worden war. Dementsprechend fühlen sich die Stossdämpfer des Fahrzeuges an. Kaum haben wir den Parkplatz verlassen, beginnen auch schon die Eindrücke auf mich einzuprasseln. Auf beiden Seiten der Strasse nach Pristina wechseln sich halbfertige Häuser, Rohbauten aus rotem Ziegelstein und Prachtgebäude ab. Schnell einmal fällt mir die Dichte der kleinen Garagen auf, in welchen Männer auf Kundschaft warten. Reifenwechsel, Autowäsche und Service als Möglichkeit, etwas Geld zu verdienen. Immer wieder säumen Stände den Strassenrand. Wassermelonen und Feuerholz. Auf eines der unverputzten, aus rotem Backstein errichteten Häuser zeigend, meint Fatmir, dass hier vor neun Jahren alles zerbombt gewesen sei. Irgendwann werden die Häuser dichter und schliesslich passieren wir eine lange Betonmauer aus Fertigelementen. Nach etwa hundert Meter krümmt sie sich von der Strasse weg zu einem Trichter. Der Eingang zum riesigen UN-Gelände. Schon wenig später fahren wir durch das Verkehrsgewusel von Pristina. Auf der zwanzigminütigen Autofahrt habe ich bereits vier Seiten meines Notizbuches gefüllt. Ich komme mir gerade wie ein Schwamm vor, der sich mit Wasser voll saugt.

Das Mehrfamilienhaus, vor dem das Taxi schliesslich hält, hat schon bessere Zeiten gesehen. Die Fassade hat an mehreren Stellen stark gelitten. Die Mauer des Nachbarhauses ist mit unzähligen kleinen Löchern übersäht. Die Wohnung, in welcher Christoph und ich die nächsten drei Wochen hausen werde befindet sich im obersten Stock und bietet vom Wohnzimmer aus einen schönen Ausblick über die Innenstadt. Die Mutter einer Bekannten von Christoph hat uns diese Bleibe netterweise zur Verfügung gestellt. Fatmir ist ihr Ehemann. Ein ehemaliger Boxer, welcher in seinen jungen Jahren im jugoslawischen Boxteam war. Kaum haben wir die Wohnung betreten, holt Fatmir auch schon Fotos aus einer Schublade. Darauf er, mal als junger Athlet, mal zusammen mit irgendeinem Staatsoberhaupt.

Wir werden in die Innenstadt und auf die grosse Terrasse des Grand Hotel Prishtina geführt. Ein klobiger Bau, den die Schriftstellerin Paula Huntley eine „Tito-Ära-Monstrosität“ genannt hat. Huntley war ein Jahr nach dem Krieg mit ihrem Mann in Pristina. Er war am Aufbau eines Rechtssystems beteiligt, sie arbeitete als Englisch-Lehrerin. Ihr Tagebuch aus der Zeit wurde einige Jahre später als Buch veröffentlicht. „The Hemingway Book Club of Kosovo“. Seither hat sich offensichtlich einiges verändert. Das Grand, welches Huntley als „Loch“ beschrieb, ist belebt. Vor dem Haupteingang parken neue Mittelklasse-Limousinen und ein teurer Mercedes Sportwagen.

Fatmir beginnt von sich zu erzählen. Er habe hier eine Boxschule und sein Plan sei es, noch dieses Jahr in die Schweiz zu kommen, um in Zürich auch eine zu eröffnen. Nebst einigen Gästen, kennt er auch den Kellner, welcher ihn grinsend „Al Pacino“ nennt. Dies sei, weil er in Frankfurt vor einigen Jahren zwei Schutzgeldeintreiber erschossen habe, gibt Fatmir bereitwillig Auskunft. In seiner Erklärung schwingt ein gewisser Stolz mit. Neun Jahre habe er dafür im Gefängnis gesessen. Ebenfalls habe er zwei Jahre im Kroatienkrieg gekämpft. Daher stamme auch die Narbe an seinem Unterarm.

Als ich ihm zuhöre, schwanke ich etwas zwischen einer Art Faszination, und Zweifel darüber, wie viel an seinen Geschichten wohl wahr ist. Ich überlege, dass es vielleicht interessant wäre, noch eine andere Version davon zu hören.

Nach einer ausgiebigen Siesta machen sich Christoph und ich gegen Abend erneut auf in die Innenstadt. Auf dem Mutter Teresa Boulevard flanieren Familien durch die einsetzende Dämmerung. Kinder ziehen mit Fahrrädern und Rollerblades ihre Runden um Passanten. Alle paar Meter grillen Männer Maiskolben auf kleinen Holzkohlegrills. Jugendliche verkaufen Mobiltelefone sowie Flaggen und T-Shirts des noch jungen Staates. Die Szenerie versprüht fast schon Freienstimmung. Wir treffen erneut Fatmir auf der Terrasse des Grand. In abgehackten Sätzen und mit grossen Sprüngen erklärt, oder vielmehr erzählt er uns die Geschichte des albanischen Volkes und des Kosovo. In seiner Version nehmen vor allem das Heldentum seitens der Albaner und die angebliche Niederträchtigkeit der Serben viel Platz ein. Das Gespräch erinnert mich stark an eines, das ich vor Jahren einmal mit einem katholischen Taxifahrer in Belfast hatte. Manchmal frage ich mich, ob Geschichte tatsächlich nur für Aussenstehende zwei Seiten besitzt.

Irgendwann beginnt die Aussenbeleuchtung zu flackern und fällt kurze Zeit später vollends aus. Ein, zwei Mal sträuben sich die grossen runden Lampen danach noch gegen die Finsternis, bleiben dann aber endgültig für den Rest des Abends dunkel.

Laut Fatmir würden sowohl Strom- als auch Wasserversorgung nicht mehr für die Bevölkerungszahl der Stadt ausreichen. Fliessend Wasser gebe es deshalb auch nur zweimal täglich, jeweils zwischen 6 und 10 Uhr. Ich ertappe mich dabei, dass ich den Gedanken irgendwie abenteuerlich finde.

Es ist kurz nach halb zehn, als wir durch einige Seitengassen unseres Viertels der Nase nach gen Hause spazieren. Wir stehen in einer schmalen Strasse inmitten von Grundstücksmauern und zweistöckiger Einfamilienhäuser, als auch hier der Strom ausgeht und auf einmal totale Dunkelheit herrscht. Ich weiss nicht, ob ich dies in einer Stadt je erlebt habe. Eine kurze Sekunde lang erhellt der Blitz eines nahenden Gewitters den Himmel hinter dem Minarett einer Moschee. Danach stottern auch schon überall kleine Benzingeneratoren zum Leben und erhellen nach und nach einzelne Fenster.

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