Kosovo-Tagebuch: Teil 3
Simon Knopf - 10.08.2008 - Rundfahrt Am Sonntagmorgen ruft uns Fatmir um halb zehn an und meint, wir sollen uns mit ihm in einem Café am Mutter Teresa Bvd. treffen. Er wolle uns mit einem Mieteauto etwas durch den Kosovo führen. Etwas „Historia“ zeigen, wie er es nennt. Auf dem Weg zur ...
10.08.2008 - Rundfahrt
Am Sonntagmorgen ruft uns Fatmir um halb zehn an und meint, wir sollen uns mit ihm in einem Café am Mutter Teresa Bvd. treffen. Er wolle uns mit einem Mieteauto etwas durch den Kosovo führen. Etwas „Historia“ zeigen, wie er es nennt. Auf dem Weg zur Verabredung treffen wir vor dem Museum of Kosovo auf eine Einheit von amerikanischen Soldaten. In einer losen Gruppe stehen sie vor dem Eingangstor des Museums, plaudern miteinander und gleichen eher einer Schulklasse als einer KFOR Truppe. Wenn da nicht überall die Gewehre wären. Diese baumeln aber, Schulranzen gleich, auch auf eine eher lässige Art an den Schultern der GIs. Ich bin erstaunt, wie jung die Soldaten aussehen.
Vis à Vis von Fatmir sitzt ein kleiner, sportlich gebauter Mann, dessen Haupt schon vom einen oder anderen grauen Haar geziert wird. Fatmir stellt ihn uns als den Bodyguard des Premiers vor. Als dieser hört, dass wir aus der Schweiz sind, beginnt er zu strahlen. Er möchte, dass ich Zuhause die Zeitungen von 1999 nach Meldungen über die UCK absuche. Er will wissen, ob es damals Fotos von ihm gab. „Terrorist“ meint er und zeigt mit dem Zeigefinger grinsend auf seine Brust.
Die Strasse nach Drenica ist gesäumt von Autofriedhöfen, in denen sich ausgeschlachtete Autos und die Gerippe von Lastwagen stapeln. Auch sieht man immer wieder halb fertige Häuser, an denen vermutlich über Jahre hinweg immer wieder etwas gebaut wurde. Die Strukturen der Gebäude haben oft etwas Wucherndes. Manchmal ist jedes Stockwerk in einem anderen Stil und auf andere Art errichtet. In vielen Fällen besteht das Erdgeschoss aus Ramschläden oder Garagen, in denen stets zwei, drei Männer darauf warten, jemandem ihre Dienste als Mechaniker oder Autowäscher anbieten zu können. An manchen Häusern scheint aber schon seit längerem nicht mehr gebaut worden zu sein.
Eingangs Prekaz biegt Fatmir rechts ab. Kurz bevor die Strasse leicht einen Hügel hinaufführt, sehe ich auf der rechten Seite eine grosse, weisse Tafel. Darauf abgebildet das Konterfei von Adem Jashari und darunter der Schriftzug „Bac, u cry“. Dasselbe Motiv ist mir schon als Flagge am Hotel Illyria in Pristina und auf T-Shirts aufgefallen. „Alter, es ist vollbracht“ soll der Satz sinngemäss bedeuten.
In Prekaz, dem Heimat- und Sterbeort der Jasharis, hat man versucht die zwei ehemaligen Wohnhäuser des Klans im Originalzustand des „Märtyrerkampfes“ zu bewahren. Die beiden Gebäude sind eingerüstet und überdacht. Die Mauern sind mit Einschusslöchern übersäht. An manchen Stellen, dort wo Granaten einschlugen, ist der Verputz kreisförmig um das Loch abgesprengt worden. Auf der anderen Strassenseite befindet sich ein halbfertiger Gedenkgarten für die Familie. Undefinierbare Betonflächen bilden eine Art Platz, der kleine Friedhof der Jasharis ist gerade hinter Bauzäunen und Plastikplanen verborgen.
Auf dem Parkplatz stehen Autos mit schweizer und österreichischen Kennzeichen. Eltern zeigen ihren Kindern in den Ferien die Stätten des Freiheitskampfes. Ein Wallfahrtsort. Christoph nennt es „Ballenberg“. Die Jasharis waren hier von serbischen Einheiten belagert worden. Als schliesslich Adem Jashari, dem letzten noch Lebenden, die Munition ausging, soll er mit der albanischen Flagge in der Hand und ein Lied flötend aus dem Haus getreten und erschossen worden sein.
Wir fahren weiter Richtung Peja. Mehrere Male sehen wir Kinder am Strassenrand, die den vorbeibrausenden Autos zuwinken und kleine Schalen mit Äpfeln zum Verkauf hinhalten. Mir fällt auf, wie regelmässig UCK-Gedenkstätten, Friedhöfe und Plaketten an Hausmauern auftauchen. Die Landschaft erinnert etwas an die Toscana, doch fast nirgends kann sie einfach nur schön sein. Wo man hinblickt, stösst man auf Spuren des Konflikts, oder auf publikumswirksames Zelebrieren von angeblichem Heldentum. Mir kommt unweigerlich Nordirland in den Sinn, wo ich ähnliches gesehen habe. Jeder Gefallene wird zum Helden gemacht, jeder zum Märtyrer.
Die VW-Vertretung in Peja heisst „White House“ und ist ebendiesem nachempfunden. Der Lokale Sender, der aus dem Radio eiert, spielt zwischen Songs aus aller Welt den O-Ton von „Lock, Stock and Two Smoking Barrels“.
Nach dem Mittagessen, auf der Fahrt in Richtung Prizren beginnt die Landschaft irgendwann nur noch in Form von einzelnen Schnappschüssen an mir vorbeizuziehen. Ich merke, dass ich von den vielen Eindrücken gesättigt bin. Zudem ist Fatmirs Tour eher einseitig: Denkmäler von UCK-Kämpfern und Verweise auf diejenigen Orte, wo damals Gefechte stattfanden. „Das ist Historia, darüber musst du schreiben!“ sagt er immer wieder zu mir.
Magere Kühe am Strassenrand. Rund um Gjakova die rostenden Gerippe einer einstigen Industrie. Von Zeit zu Zeit der Konvoi einer Hochzeitsgesellschaft.
In Prizren findet dieser Tage ein Filmfestival statt, das Dokufest. Christoph und ich haben unsere Hoffnung, für die Reportage mit ein paar Kulturschaffenden in Kontakt treten zu können, auf einen kurzen Besuch des Städtchens gesetzt. Doch bei der Ankunft hat mich bereits jeglicher Elan verlassen. So ist es schliesslich Christoph, der doch noch einige Leute ankickt. Wir werden zum Pressebüro vom Dokufest geführt, wo uns Gjergj, ein Journalist, schliesslich einigen Filmemachern vorstellt. Nach einem kurzen Gespräch mit Shota, Arben und Leke verlassen wir die malerische Stadt mit Telefonnummern, Email-Adressen und neuer Zuversicht, was unsere Reportage betrifft.