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20. Mai 2009, 00:53 Kolumnen

Reise ins Wunderland

Tian Hartmann - Ich will noch nicht fort von hier. Hamburg liegt zwar nicht weit, Busreisen nach Kopenhagen und Flüge nach Thessaloniki kosten auch nicht mehr als n' Appel und n' Ei. Doch mir gefällt's ausgesprochen gut hier in Berlin, weshalb ich vom Verreisen absehe. Ich komme auch so auf To...

Ich will noch nicht fort von hier. Hamburg liegt zwar nicht weit, Busreisen nach Kopenhagen und Flüge nach Thessaloniki kosten auch nicht mehr als n' Appel und n' Ei. Doch mir gefällt's ausgesprochen gut hier in Berlin, weshalb ich vom Verreisen absehe. Ich komme auch so auf Touren und erlebe allerhand Abenteuerliches hier.

Letztes Wochenende, zum Beispiel, da war ich mit Dexter unterwegs. Dexter ist Weltreisender und hat einen Zwischenstopp in Berlin eingelegt. Ein paar Wochen hauste er in meinem Zimmer, ennet des Schreibtisches. Wir zogen zusammen durch die Stadt, auf der Suche nach ein bisschen Zerstreuung. Die Nacht zuvor war schon waghalsig genug, wir verbrachten sie in einem heruntergekommenen Elektroklub zusammen mit tanzenden Clowns, nackten Künstlern, semi-berühmten Bierflaschenmusikern und anderen interessanten Gestalten. Wir hatten Spass, gaben uns als Davoser Bergbauern aus, erläuterten Melktechniken und waren am Schluss irische Seemänner. Ein intensives Erlebnis, darum wollten wir es am nächsten Abend ein wenig ruhiger angehen.

Planlos ziellos irrten wir durch die Stadt, ein bisschen verloren, je länger, desto orientierungsloser. Um uns herum nur grosse, dunkle Wohnhäuser. Keine Bars, keine Musik, kein Leben. Irgendwann, kurz bevor wir uns endgültig verschollen wähnten, kreuzte eine Gruppe junger Menschen unsere verlorenen Kreise. Wir beschlossen, unauffällig und mit gebührendem Abstand zu folgen. Weiter ging's kreuz und quer durch die Berliner Nacht, die immerhin bald wieder lebendiger wirkte als die letzten vierzig Minuten davor. Schlussendlich standen wir vor einem grossen Tor, das nur halb angelehnt war und eigentümlich einladend wirkte, weshalb wir uns von unseren Führern verabschiedeten. Der Eingang führte auf einen Innenhof, der mit farbigen Lichterketten spärlich beleuchtet war. Es duftete nach frischgebratenen Buletten, ein untrügliches Zeichen für gute Feiern und die Schlange vor dem Eingang war beträchtlich, das Eintrittsgeld seine Bezeichnung nicht wert. Der Klub einmal mehr schmuddelig grau wie Berlin im Regen, das anschliessende Konzert farbig und pulsierend wie die Stadt an einem Sommersonntag. Les Haferflocken Swingers. Ein Geheimtipp für Stadtreisende und andere auf der Suche nach ertanzten Schweissreigen, Nachtreisen ohne Ziel und guter Hauptstadtmusik. Berlin-Helsinki-Moskau-Neverland. Jede Woche aufs Neue.

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