Couleur 3 oder weshalb es sich zumindest in der Romandie lohnt, Radiogebühren zu bezahlen
Antonio Fumagalli - Musikalischer Einheitsbrei sogar auf den Staatssendern? Couleur 3 zeigt, dass es auch anders geht. Eine Liebeserklärung. Ein Mann mit dem Aussehen eines etwas in die Jahre gekommenen Punks geht durch die Strassen einer Westschweizer Kleinstadt, wie immer auf der Suche nach sein...
Ein Mann mit dem Aussehen eines etwas in die Jahre gekommenen Punks geht durch die Strassen einer Westschweizer Kleinstadt, wie immer auf der Suche nach seinem nächsten Opfer. Seine Absicht ist allerdings absolut harmlos, seine Arbeitsgeräte bestehen ja auch nur aus Mikrophon und Aufnahmegerät. „Bonjour Madame, was halten sie von den Gratis-Parkplätzen für Fussgänger?“ Die Dame gesetzten Alters bleibt stehen, ziemlich irritiert ob des akustischen Überfalls und antwortet, ohne gross zu überlegen: „Super ist das, es sollte viel mehr davon geben!“ Sie hätte sich wohl mehr Gedanken über den Sinn der Frage gemacht, wenn ihr bewusst gewesen wäre, dass sie Patrick Dujany, einem der Aushängeschilder des Westschweizer Radiosenders „Couleur 3“, gegenübersteht. Wie kein anderer schafft es „Duja“ dank einer Mixtur aus Charme, Schlagfertigkeit und einer gehörigen Portion Unverfrorenheit, seinen Gesprächspartnern die teils absurdesten Antworten zu entlocken – ganz zum Vergnügen seiner Zuhörer, bei denen seine „micro-trottoirs“ längst Kultstatus geniessen.
Die zahlreichen satirischen Einlagen sind aber nur eine Facette des umfangreichen Programms von Couleur 3, der Schwerpunkt liegt eindeutig bei der Musik. Und zwar richtiger Musik! Nicht die Einheitsbrei-Klänge der Privatradios! Nicht die dem jungen Hörer selten entsprechende klassische Musik! Und schon gar nicht das allzu oft die Grenze zum Schlager touchierende Fahrstuhl-Gesülze von DRS 1! Natürlich kommt es der Quadratur des Kreises gleich, ein heterogenes Publikum musikalisch auf seine Kosten kommen zu lassen. Couleur 3 versucht es auf seine Weise: Einerseits pfeifen die Programmverantwortlichen auf die Zwänge der Hitparade und haben den Mut, ihre Hörer dementsprechend häufig unbekannte Tracks entdecken zu lassen, andererseits werden die individuellen Gouts in den abendlichen Spartensendungen befriedigt.
Und das Beste daran? Keine Sekunde Werbepause unterbricht den Hörgenuss! Als öffentlich-rechtliches Rundfunkprogramm darf Couleur 3 am Billag-Honigtopf lecken, verwendet die Mittel für meine Begriffe aber weit kreativer als sein Deutschschweizer Pendant DRS 3. Zudem erlauben die öffentlichen Gelder die Aufrechterhaltung einer Nachrichtenredaktion, die diesen Namen auch verdient. Die Frage muss erlaubt sein, wofür der rechtschaffene Radiokonsument in der Deutschschweiz eine monatliche Gebühr entrichtet, wenn er zumindest auf musikalischer Ebene kaum einmal einen echten Mehrwert gegenüber den Privatradios geboten kriegt. Couleur 3 zeigt, dass es auch anders geht: Unkonventionelle Musik, kompetente News-Journalisten und eine gute Prise Satire – was will man mehr? Eigentlich nur, dass so etwas auf beiden Seiten der Saane möglich ist.
In der Deutschschweiz ist Couleur 3 – leider – nur über Kabel und Internet flächendeckend empfangbar. Die Live-Sendung „Que de la musique“ von und mit Patrick Dujany ist von Montag bis Donnerstag jeweils von 9 Uhr bis 13 Uhr zu hören. Auf der Homepage des Westschweizer Fernsehens können überdies verschiedenste „micro-trottoirs“ von Duja angesehen werden.
*Antonio Fumagalli ist in Zürich aufgewachsen und zwecks Studium vor bald fünf Jahren nach Genf gezogen. Er berichtet einmal monatlich „aus der Romandie“.