„Mit jedem Tag, der dir Hoffnung gibt, mit jedem Ziel, das noch vor dir liegt, mit all der Sehnsucht, die in dir wächst – Blick nach vorn. Mit jeder Wahrheit, die du erkennst, mit jedem Zweifel, gegen den du kämpfst, mit jedem Schlag, der dich taumeln lässt - Blick nach vorn.“ Dies ist nicht ein Zitat eines vor langer Zeit verstorbenen Philosophen, sondern der Refrain aus dem Eröffnungsstück (
Blick Nach Vorn) des neuen Albums von Max Herre, für dessen Beendigung sich der Stuttgarter Musiker fünf Jahre Zeit liess. Fünf Jahre, in denen er nicht nur den Nektar des Lebens geniessen konnte, sondern auch seine Irrwege gehen musste. Zuerst die Geburt von Sohn Jamil, dem zweiten Kind seiner Beziehung mit
Joy Denalane, dann die Trennung mit der
„alles zusammenbrach“ (
Wir haben’s gesehen) und so scheint
Ein Geschenkter Tag vordergründig ein Werk seiner persönlichen Vergangenheitsbewältigung zu sein, bietet jedoch auch für den scheinbar ausgeschlossenen Dritten eine Art Lebenshilfe. Das Album kann zwar nicht eine Anleitung liefern, wie die Tiefen des Lebens zu vermeiden sind, vermag aber dem Hörer als Ratgeber zu einer erfolgreichen Bewältigung derselben zu dienen. Einerseits ergibt sich die Einsicht, dass unser subjektives Leid keine private Angelegenheit bleiben muss, ja bleiben soll, andererseits zeigt Herre auf, wie das Prinzip Hoffnung ein Stück Halt geben kann
„in einer Zeit, in der nichts mehr stimmt“ (
Wir Haben's Gesehen). Die melancholischen Töne des Albums beinhalten in ihrer Rhythmisierung immer etwas Fortschreitendes, das sich in Zeit und Raum entfaltet, um auf dem Grund der Hoffnung ein Potential zu entwickeln, das mit etwas Geduld auf einmal wieder in Fröhlichkeit umschlagen kann. So gesehen beinhalten die Elegien immer ein heiteres Moment, welches die Wahrnehmung der Traurigkeit als solche erst ermöglicht und zugleich die Gewissheit entfalten lässt, wonach das Dunkel nicht das Ende bedeutet, sondern Licht allmählich wieder eindringen wird, um den Raum auszuleuchten. Was diesen Wechselgang nicht einfach erscheinen lässt, ist das subjektive Empfinden, dass die Zeiten des Dunkels, wenn man in ihnen gefangen ist, länger zu dauern scheinen als jene des Lichts, in Wirklichkeit dies jedoch nicht sind und wenn doch, sie es nicht sein müssen. Herre möchte uns vermitteln, dass jeder Tag
Ein Geschenkter Tag ist und dieses Geschenk nicht verweigert werden sollte. Man kann es zwar hinterfragen, den Schenker suchen und nach seinen Motiven forschen, aber dadurch verfehlt man das Wesen des Geschenks, wonach es eben (ohne Selbstzweck des Schenkers) geschenkt und nicht etwa geliehen wird. Der Mensch hat das Potential, sich jedes Glück selbst zu nichte zu machen und dieses Potential sieht Herre sinnbildlich als
„Teufel, der niemals ruht“ und mit dem man sich nicht einlassen sollte. Wir dürfen nicht
„in Morpheus Armen ruhen“ (
Der Teufel und der Traum), sondern müssen stattdessen dem Licht zu seiner Ausbreitung verhelfen.
Doch Ein Geschenkter Tag hat noch viel mehr zu bieten. So kann der aufmerksame Hörer etwa durch die Verbindung von Fragmenten aus dem ganzen Album Vermutungen über Herres Moral bzw. seine Verhaltensgrundsätze aufstellen: In Alles Da singt der Stuttgarter „Obwohl ich dich erst kenn‘, warst du mir nie fremd“ und erschafft sich somit ein Fundament, worauf er dann in Ein Geschenkter Tag ein „Was du gibst, ist was du kriegst“ entwickelt. Platziert man dazwischen seine Erkenntnis, dass „Ich weiss, du weisst, wovon ich singe“ (Wir Haben's Gesehen) und „Sieh‘, dir geht’s genau wie mir“ (Weg Von Hier), ergibt sich ein auf der seelischen Verbundenheit der Menschen gründendes Plädoyer für Nächstenliebe. So liessen sich unzählige weitere Gedankengänge aufzeigen, denen man freilich nicht beipflichten muss, aber trotzdem ähnelt Ein Geschenkter Tag einer grossen Kammer voller Schätze, die es zu entdecken gilt. Gelingt es dem Hörer, sie zu finden und ist er ferner in der Lage, diese sinnstiftend miteinander zu kombinieren, kann er möglicherweise zusammen mit Herre singen „In meiner Welt ist so viel hell. Endlich seh‘ ich’s klar.“ (Alles Da). Ich wünsche eine gute Entdeckungsreise.
Veröffentlichung CH
18.09.2009
Die offizielle Max Herre Homepage
http://www.maxherre.de/
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