Review: Tori Amos im Kongresshaus Zürich
meng tian - Spannende Künstlerin und Persönlichkeit, einzelne Songperlen. Aber wann ist gut nicht mehr gut genug? Vergangenen Dienstag machte Tori Amos mit ihrem neusten Album „Abnormally Attracted to Sin“ Halt im Kongresshaus Zürich. Es war ein zu Toris Songs passender, herbstlicher ...
Vergangenen Dienstag machte Tori Amos mit ihrem neusten Album „Abnormally Attracted to Sin“ Halt im Kongresshaus Zürich. Es war ein zu Toris Songs passender, herbstlicher Septembertag. Meine persönlichen Erwartungen waren hoch. Denn immerhin sehe ich eine der Inspirationsquellen und eins der Vorbilder, was Songwriting angeht, zum ersten Mal live. Nach dem mehr als zweistündigen, für Popkünstler ziemlich langen Konzert musste meine Wenigkeit allerdings feststellen, dass wenn das Konzert sachlich beurteilt werden muss, die Stimmen anderer eingeholt werden müssen. Also wurden die Ohren gespitzt auf dem Heimweg und die Meinungen der Zuschauer bzw. Zuhörer fallen geteilt aus:
Mann, Ende 30, elegant gekleidet: Das war so schön, das ganze Konzert. Wie sie die Vorhänge bei verschiedenen Songs benützt und die Lichtshow dazu setzt. So simple, aber doch so schön. Sie kümmert sich also um musikalische wie auch visuelle Details.
Freundin des Mannes, Mitte 30, ebenfalls elegant gekleidet: Aber ihre Garderobe war ja völlig daneben! Ein Abendkleid und darunter glänzende... was sind das denn? Strumpfhosen? Enge Lackhosen? Dann vor allem die Haltung auf dem Klavierstuhl dort, die gespreizten Beine, und das fast die ganze Zeit...
Frau, Ende 20, alternativ gekleidet: Meine erste Tori Amos CD habe ich von meiner Tante geschenkt bekommen. „Under The Pink“. Mensch, hab ich das damals GELIEBT!! Sie ist so talentiert, spielt so gut Klavier und ihre Songs sind so mutig! Mit der Zeit habe ich sie aber immer weniger gehört. Hat sie überhaupt noch Alben rausgebracht in den letzten 5,6 Jahren?
Frau, Anfang 30, englischsprechend: Sie hat aber viele Songs zusammengemischt. Vor allem am Anfang. Man hatte ja total Schwierigkeiten, überhaupt zu erkennen, welcher Song das jetzt ist. Nun ja, ich habe sie auch schon mal besser spielen sehen. Aber das ist ja schon ne grosse Leistung, in diesem Alter, mit Kind und Mann, noch so intensiv auf Tour zu gehen und überhaupt noch Songs zu schreiben.
Frau, Anfang 20, englischsprechend: Also das war doch sehr schön! Aber die Songs sind ja schon ein bisschen extrem zum Teil. Wieso hat sie denn „God“ nicht gespielt? Das ist mein Lieblingssong.
Frau, Anfang 30, kurze Haare, alternativ gekleidet: Geil. Sie war doch einfach klasse! Was für ne Frau.
Frau, Mitte 50, Alltagskleidung: Das war doch gut, gell?
Ihr Mann, gegen 60 und ebenfalls Alltagskleidung: Ja. Hast du den Zettel für die Garderobe und den Parktplatz?
Nun doch noch ein paar Zeilen vom Autor:
Tori Amos musste schon seit ihrem ersten Plattenvertrag um den Stil ihrer Musik kämpfen. Man sagte ihr, dass das nicht funktioniert, eine Platte mit so wenig Gitarre und so viel Piano. Die Songs sind so direkt, zum Teil verstört, so untypisch für Künstlerinnen. Auch sonst in ihrem Leben hat die Künstlerin einiges durchmachen und Stärke beweisen müssen, was teilweise in ihren Songs Output fanden. Wie das 2003 herausgekommene Album „Tales of a Librarian“ zum Anlass ihrer damals 10-jährigen Karriere beweist, hat sie sich aber nicht geirrt und ihre vielen Songperlen genau so umgesetzt, wie sie künstlerisch umgesetzt werden sollten und nicht kommerziell verwertet werden müssten.
Doch was geschieht, wenn das Gefühl vom Kampf nachlässt? Wenn man eben 17 Jahre lang im Geschäft ist (zählend ab dem Release des ersten Soloalbums) und inzwischen glücklich verheiratet ist und ein süsses kleines Mädchen grosszieht? Was ist, wenn die Intensität der (negativen) Gefühle nicht mehr durchdringt (so wie ihr einstiges akustisches Cover von Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“) in den intelligenten Kompositionen? Klingen die dann nur noch akademisch und nicht mehr so praxistauglich, sprich perfekte Beispiele für Songwriter aber nicht mehr Meisterwerke? Wann ist gut einfach nicht mehr gut genug, egal wie gut es einmal war? Was macht man dann als Künstlerin? Nach hinten schauen, nach vorne schauen oder im Moment leben?
Mein Wunsch für sie: Dass sie sich entscheidet, sich wiederfindet und mit bestimmter Haltung weitergeht. Auch, dass die Leute ihr immer noch zuhören, denn sie ist es wert.