Raymonda @ Opernhaus Zürich
Christina Ruloff - Ballett – wie man es sich vorstellt und wünscht: Heinz Spoerlis Neueinstudierung von Alexander Glasunows Raymonda begeistert und entzückt am Opernhaus Zürich.Zu Beginn – hinter einem von der spätmittelalterlichen Tapisserie beeinflussten Vorhang – verabschiedet sich der...
Zu Beginn – hinter einem von der spätmittelalterlichen Tapisserie beeinflussten Vorhang – verabschiedet sich der Kreuzritter Jean de Brienne von seiner Braut Raymonda. Er schenkt ihr als Liebespfand einen weissen Schal. Doch in seiner Abwesenheit betritt der Sarazene Abderachman die Szenerie und stürzt die junge Frau in Verwirrung und Verzweiflung. Mit grossem Gefolge und genussvoll zur Schau gestellter Virilität verkörpert er das Gegenteil ihres Verlobten: Er verspricht Abenteuer, Leidenschaft, vielleicht auch Brutalität. Und so sehr Raymondas Freunde und Vertraute ihr den neuen Bewunderer auszureden suchen, der Mann fasziniert und öffnet eine neue Welt. Nachts, in herrlich blaues Licht getaucht, vermischen sich die sanktionierten Hoffnungen und geheimen Sehnsüchte, verschwindet das Bewusste im Unterbewussten: In ihrem Traum ersetzt der Sarazene den geliebten Verlobten, der mit dem Schal ihre Treue einfordert. Als dieser überstürzt aus dem Krieg zurückkehrt und seinen Widersacher im Duell besiegt, ist Raymondas aus den Fugen geratene Welt wieder in Ordnung. Und doch meint das Publikum am Ende auf der grossartigen Hochzeitszenerie Zweifel und Reue gepaart mit Schuldgefühlen in Raymondas Tanz zu entdecken...
Raymonda und ihr Verlobter - noch nicht vereint: Aliya Tanykpayeva und Stanislav Jermakov.
Heinz Spoerli inszeniert Raymonda ganz neu, befreit das Ballett von altmodischem Formen und unnötigen Längen und schafft so ein mitreissendes Ballett – atmosphärisch, voller Stimmungsschwankungen und entsprechend tänzerischer Vielfalt und mit einem starken Zug nach vorne. Die Primaballerina Aliya Tanykpayeva verdeutlicht die Zerrissenheit der Raymonda virtuos und meistert zugleich die schwierigsten Partien mit unerhörter Leichtigkeit. Das Grande Adagio, wo sie zwischen Traum und Realität, zwischen den beiden Männern hin- und hergerissen ist, gehört zu den grossen Höhepunkten des Abends. Hier tritt der Konflikt zwischen Verlobten und Verehrer, zwischen Stanislav Jermakov und Vahe Martirosyan offen und sichtbar zu Tage. Während ersterer betont durch den weissen Schal mit geschmeidigen Bewegungen Harmonie ausstrahlt, überzeugt letzterer mit athletischer Erotik. Das Werben wird nicht einfach abgetanzt, sondern wirkt mit Drängen und Dringlichkeit echt und berührend. Das körperbetonte Duell ist logische Folge dieser Rivalität.
Treue oder Leidenschaft? Vahe Martirosyan als Verführer.
Das letzte Bild bietet leider wenig an Spannung, dafür umso mehr an visueller und tänzerischer Schönheit: Hier und insbesondere im Schlussbild konnte das ganze, fantastische Zürcher Ballett glänzen. Die einzelnen Variationen erregten mit ihren scheinbar unendlichen Drehungen begeisterten, spontanen Applaus. Die Leistungen der Tänzerinnen und Tänzer sind schlicht grossartig. Hierin liegt vielleicht auch die einzige Schwäche des Zürcher Ballett, nämlich in der Absenz nicht eines herausragenden Tänzers (davon gibt es genügend), sondern einer herausragenden Person, die als Persönlichkeit überzeugt.
Das Ensemble des Zürcher Balletts tanzt - und wie!
Hervorgehoben werden muss noch das wie immer das Orchester der Oper Zürich: Ohne die spannende und nuancierte musikalische Begleitung unter der Leitung von Michail Jurowski hätte der Abend nicht halb so viel Freude bereitet. Raymonda stellt den ersten grossen Höhepunkt in der neuen Saison dar und beweist, dass kaum etwas so viel Freude macht, wie klassisches Ballett!
Weitere Spieldaten:» So, 01.11.2009» Sa, 07.11.2009» So, 08.11.2009» Sa, 14.11.2009» So, 15.11.2009» Mi, 25.11.2009» Mi, 10.03.2010» So, 14.03.2010» Fr, 18.06.2010